Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1

D


Die Wahnsinnstat von Halle liegt nun schon eini-
ge Tage zurück, und doch beschäftigt sie mich noch
immer. Es steckt so viel in ihr, was meine Besorgnis
erregt. Das ist nicht nur die Frage, ob wir Deutschen
ein Problem mit Antisemitismus haben. Der Blick
in die Polizeistatistik reicht für die Antwort: Die
Zahl der Gewalttaten gegenüber Juden hat 2018
einen Höhepunkt erreicht. Umso mehr sind wir
gefordert, das „Nie wieder!“ zu achten und die Ver-
antwortung dafür auch an unsere Kinder und
Enkel weiterzureichen. Ohne Wenn und Aber.
In den Morden von Halle steckt aber noch viel
mehr Hass. Auf Frauen. Auf Migranten. Auf unser
freiheitliches Zusammenleben. Darauf, dass wir
uns alle frei und gleichberechtigt in diesem Land
äußern und bewegen können. Das verlangt von
jedem Einzelnen ein Mindestmaß an kritischem
Bewusstsein.
Doch Halle zeigt: Nicht jeder ist dazu in der
Lage. Unter uns leben Einzelne, die damit über-
fordert sind. Sie wenden und kapseln sich ab von
der Mehrheit, ihren Frust verwandeln sie in Feind-
schaft: Ihr lasst mich nicht teilhaben? Dann zeig
ich euch, was ihr davon habt.
Ein stern-Team rund um meinen Kollegen
Walter Wüllenweber schildert in unserer Titel-
geschichte, wie sich diese Einzelnen inzwischen
über das Internet vernetzen. Wie sie sich finden
und gegenseitig hochschaukeln. Niemand weiß
genau, mit wie vielen Verlorenen wir es hier zu tun
haben. Wüllenweber nennt sie die „Armee der Ein-
zeltäter“. Und er beschreibt kluge Strategien, wie
wir ihnen frühzeitig begegnen können. Denn
keine Sorge: Wir sind viel mehr.
Danke, dass Sie den stern lesen!

17.10.2019 5

EDITORIAL


Florian Gless, Chefredakteur

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