Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1
FOTOS: COURTESY OF S.OLIVER

W


ürzburg, Herrnstraße 5. Man
hört das Brummen der Föh-
ne schon von Weitem. Im
Salon „Coiffure Muammer“
lassen sich Frauen die Haare kunstvoll tou-
pieren. So, als säßen sie in einem Salon in
Paris. Vor 50 Jahren war dieses Laden-
geschäft schon einmal ein Ort des guten
Geschmacks. Hier eröffnete Bernd Freier
seine erste Herrenboutique. In einer Zeit,
in der modische Kleidung für die meisten
Männer irgendwie unpassend schien.
Der junge Würzburger interessierte sich
seit frühester Jugend für ein „gepflegtes Äu-
ßeres“, wie man damals sagte. Freier war ein
echter Hipster seiner Zeit. Regelmäßig fuhr
er nach Paris, um sich dort „à la mode“ ein-
zukleiden. Das fiel auf im spießigen Würz-

burg der späten 60er Jahre. Irgendwann
wurde er von seinen Freunden gebeten,
auch ihnen Kleidung aus der französischen
Metropole mitzubringen, und 1969 machte
Freier Ernst. Der 23-Jährige gab seinen Plan
auf, Karosseriebauer zu werden. Stattdessen
eröffnete er in jener Herrnstraße, wo heute
Figaro Muammer die Schere schwingt, eine
kleine Herrenboutique, damals noch Haus-
nummer 7a. Er nannte sie „Sir Oliver“.
Das klang international und britisch. In
Swinging London schmückten sich damals
viele Geschäfte mit einem „Sir“ im Namen.
Für den zweiten Teil stand Charles Dickens’
Romanheld Oliver Twist Pate. Das war für
damalige Zeiten Avantgarde.
Freier war ein Verkaufstalent. Waren
Kunden Schuhe zu groß, behauptete er,

so trage man das in Paris eben gerade. Und
als im Sommer die Kunden im Freibad
relaxten, packte er sein Sortiment ein und
verkaufte es auf der Wiese vor dem
Schwimmbecken. Sein erster großer Ver-
kaufsschlager: Hemden mit Madras-Karos.
Bernd Freier war schon damals ein cleve-
rer Geschäftsmann. Normal war ihm zu
langweilig. Als es Schwierigkeiten mit dem
Nachschub seiner Karohemden gab, flog
Freier, der damals nur rudimentär Englisch
sprach, nach Indien, um auf eigene Faust
Hemden aus Madras-Stoffen produzieren
zu lassen. Aufgrund seiner leichten Rot-
Grün-Sehschwäche orderte er die falsche
Farbe. Geliefert wurde Lila. Eine Katastro-
phe. Aus der Freier dank einer klugen Tak-
tik einen Riesenerfolg machte: Er über- 4

VON WEGEN KLEINKARIERT


Die Zukunft ist kariert. Genau wie die Vergangenheit. Die Jubiläumskampagne von S. Oliver

Der Erfolg des Mode-Multis S. Oliver hat viel mit dem richtigen Riecher


seines Gründers zu tun. Und mit seiner Farbenblindheit


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