Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1
redete den Kaufhausbesitzer Hans Rudolf
Wöhrl, die lila Madras-Hemden in das
Sortiment seines Nürnberger Kaufhauses
aufzunehmen. Skeptisch orderte Wöhrl ma-
gere 100 Stück. Innerhalb weniger Tage wa-
ren die ausverkauft. Was Wöhrl nicht wuss-
te: Bernd Freier hatte Freunde, Bekannte
und Familienmitglieder in die Nachbar-
stadt gebeten, um bei Wöhrl seine
lila Hemden zu kaufen. Bernd Freier
zog von Anfang an die große Show
ab, er hatte immer eine Vision.
Was aus dieser Vision geworden
ist, beweist der heutige Flagship-
Store gleich um die Ecke von der ers-
ten Herrenboutique in Würzburg.
S. Oliver ist eines der größten Mode-
unternehmen Deutschlands. Welt-
weit gibt es die Kollektionen für
Männer, Frauen und Kids in mehr
als 9207 Verkaufsstellen. 344 eigene
Läden gehören zum Unternehmen.
In Rottendorf, nur wenige Minuten mit
dem Zug entfernt, befindet sich mittler-
weile der Hauptsitz von S. Oliver. Schon
vom Bahnsteig aus erkennt man das riesige
Bürogebäude. Ganz klar: Die Gemeinde
und Region sind stolz auf das Unter-
nehmen, das sich zu einem der Schlacht-
schiffe der deutschen Modeindustrie
entwickelt hat. Von den 6400 Mitarbeitern
weltweit arbeiten rund 2000 in Rottendorf.
Neben S. Oliver gehören die Modemarken
Comma und Triangle sowie das Taschen-
label Liebeskind Berlin zum Imperium.
Nach wie vor bestimmt der 73-jährige
Freier die Geschäfte. Ein neuer CEO wird
gesucht, angeblich soll der Topmanager
Claus-Dietrich Lahrs, der zuvor Dior, Hugo
Boss und Bottega Veneta leitete, die Posi-
tion übernehmen.
Keine leichte Aufgabe für den künf-
tigen Kapitän an Bord. Wäre der Beklei-
dungsmarkt ein Meer, man würde es
mit „unruhige See“ beschreiben. Stür-
me in Windstärke 8 fegen über die
Industrie. Modeketten wie Zara und
Primark greifen S. Oliver von unten an.
Wendige, kleinere Marken sind bei der
„Generation Instagram“ angesagter.
Auch aus dem Premium-Segment wollen
Labels wie Hugo Boss, Marc O’Polo oder
Marc Cain in das Fahrwasser der großen
Tanker gelangen.
50 Jahre nach der Gründung von S. Oliver
ist der Markt so schwierig wie nie zuvor. Ein
Milliardenunternehmen kann man nicht
führen wie eine kleine Herrenboutique.
Dennoch sind Bernd Freiers cleverer
Kampfgeist und sein Wille zum Erfolg auch
heute die Treiber seines Unternehmens.
„BF“, wie er im Unternehmen genannt wird,

hat immer noch einen guten Riecher – und
ein großes Netzwerk. In vielen Bereichen
war er in Deutschland der Erste. Koopera-
tionen mit Weltstars? S. Oliver nahm be-
reits 2006 die US-Sängerin Anastacia als
Co-Designerin unter Vertrag. Dieter Boh-
len war genauso Markenbotschafter wie
Wladimir Klitschko oder der in Würzburg
geborene Basketballspieler Dirk Nowitzki.
Eine Antwort darauf, wie man in heraus-
fordernden Zeiten erfolgreich bleibt, gibt
S. Oliver jetzt mit der „Anniversary Collec-
tion“, die in diesen Tagen zum 50. Firmen-
jubiläum lanciert wird. Das Designteam
ging dafür in das Archiv des Unter-
nehmens und fand in einem Regal jene
Madras-Hemden, die Bernd Freier einst
aus Indien mitgebracht hatte. Daraus ent-
stand eine modische Kollektion, die auf
unterschiedliche Art mit dem berühmten
Muster spielt. Die Linie kommt zur rich-
tigen Zeit: Karos sind in der Mode der-
zeit ohnehin die neuen Streifen. Sollte
also passen. Die Farben sind kräftiger als
damals, die Schnitte der Kleider, Shirts,
Jacken und Pullover moderner.

D


ie Richtung ist klar: S. Oliver
orientiert sich an Marken
wie Tommy Hilfiger. Genauso
selbstbewusst wie der ame-
rikanische Designer geht man mit dem
Markennamen um, den fast alle Deutschen
kennen. Das Logo prangt auf Sweatshirts
oder baumelt als Goldanhänger an Damen-
jeans. Neben der limitierten Kollektion
wird das Thema aber zugleich „breit“
gespielt, denn S. Oliver muss auch den
Massenmarkt bedienen. Und die Kunden
abseits der deutschen Metropolen kaufen
eher weniger auffällige Karovarianten.
Trotzdem hofft das Unternehmen darauf,
dass man mit der modischen und qualita-
tiv hochwertigeren Linie eine neue Ziel-
gruppe erreichen wird. Eine, die S. Oliver
bisher nicht als Modemarke, sondern als
Bekleidungsfabrikant wahr genommen
hat – in Rottendorf wird hart daran ge-
arbeitet, Onlineshopper wieder in die
Einkaufsstraßen zu locken.
Ein Zukunfts-Store wird in dieser Woche
in Stuttgart eröffnet. Dort soll es einen
Mix aus stationärem und digitalem
Shoppingerlebnis geben. Getestet werden
beispielsweise LED-Screens, die den Kun-
den personalisierte Einkaufsempfehlun-
gen anzeigen. Neuland für die Marke –
aber auch für die angeschlagene, einst
er folgsverwöhnte, deutsche Modebran-
che. Wieder betritt Bernd Freier neues
Terrain. So wie schon damals in der Herrn-
straße 7a. 2 Marcus Luft

te: Beer
und FF

1 – 25 Quadratmeter große Welt: Bernd Freiers
erste Herrenboutique S. Oliver in Würzburg


2 – Aufgrund von Lieferengpässen ließ Freier
in Indien Hemden aus Madras-Karo-Stoffen
nähen – sie waren der Anfang des Welterfolgs


3 – Provokation als Werbemittel – Tüte von 1992


4 – Cooler Männerlook mit Lederjacke aus der
Jubiläumskollektion


5 – Kurze Daunenjacke mit Madras-Karo,
ca. 170 Euro


6– Schwarzer Rollkragenpullover mit Claim,
ca. 150 Euro


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