Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1
PROTOKOLL: CATHRIN WISSMANN FOTO: GETTY IMAGES

Mode ist für mich Freiheit. Ich mag es, mich mit ihr auszudrü-
cken – privat wie auf der Bühne. Sie ist keine schützende Hülle,
sondern legt frei, wer ich bin. Natürlich kostet es manchmal
Überwindung, im Kleid auf die Straße zu gehen. Aber ich brauche
diese Intensität, um mich zu spüren. Vor einigen Jahren spielte
ich eine Transsexuelle in einem „Polizeiruf 110“. Beim Dreh
unterhielt ich mich mit Statistinnen, die früher Männer gewesen
waren. Sie sagten, sie hätten keinen Fetisch für Frauenkleider,
sondern den Wunsch, sich zu finden. Das hat mich beeindruckt.
Auch mir geht es mit Mode nicht darum, mich zu verkleiden,
sondern ich selbst zu sein.
Das Deutsche Mode-Institut hat mich vergangenes Jahr zum
„Krawattenmann des Jahres“ gekürt. Zwar trage ich selten einen
Schlips, aber die Begründung der Jury hat mir gefallen. Es hieß,
ich würde mich wie selbstverständlich über Gendergrenzen hin-
wegsetzen. Das Selbstverständliche daran ist entscheidend. Es ist
eben nicht als Provokation oder als Extravaganz zu verstehen.

Vielleicht wird es ja in Zukunft eine Zeit geben, wo man sich gar
nicht mehr vorstellen kann, dass es einmal getrennte Damen-
und Herrenabteilungen in Geschäften gab.
Meine private Kleidung trage ich nie am Set. Vor allem nicht mei-
ne Schuhe. Von Kostümbildnern höre ich oft: „Zieh einfach deine
eigenen an. Man sieht sie nicht im Bild.“ Doch das funktioniert
nicht. Tatsächlich entwickele ich jede Rolle zuerst über die Schu-
he. Ich betrachte jede Vorstellung im Theater wie einen Tanz, eine
Choreografie oder Bewegung. Nur einmal machte ich eine Ausnah-
me. Da war diese Jacke, die ich unbedingt haben wollte. Damals
drehte ich den Film„Code Blue“. Ich überzeugte die Kostümbild-
nerin, dass die Jacke perfekt für meine Rolle sei. Wir vereinbarten
vertraglich, dass ich nach dem Dreh die Hälfte des Kaufpreises
zurückzahlen musste. Die Schauspielerin Corinna Harfouch, mit
der ich im Anschluss arbeitete, sagte: „Du wirst sie nie anziehen!“
Sie hatte recht. Ich habe sie nie angehabt. Es wäre so, als würde ich
auch auf der Straße im Fatsuit aus „Hamlet“ rumlaufen. 2

Der traut sich
was: Zu einem
Store-Event von
Prada erschien
Lars Eidinger
mit weißen Shorts
und Handtasche

LARS


EIDINGER
43, Schauspieler,
DJ, Künstler, Mode-Fan

„Es geht nicht darum, mich zu verkleiden,


sondern ich selbst zu sein“


MEIN MODEMOMENT


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