Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1
gehen. Farrow gibt sich unbeeindruckt.
Sein Buch handelt von seinen nervenauf-
reibenden Recherchen gegen Harvey
Weinstein, die zum Sturz des Filmprodu-
zenten beigetragen haben – und zum
Durchbruch der #MeToo-Bewegung. Er
dokumentiert zudem die sexuellen Über-
griffe weiterer mächtiger Männer wie
Donald Trump und Jeffrey Epstein und
deckt ihre Netzwerke auf, mit denen sie
ihre Opfer einschüchterten, terrorisierten
und zum Schweigen brachten.
Farrows jungenhaftes Gesicht schim-
mert noch vom Puder, der ihm für den
Auftritt im Frühstücksfernsehen vor zwei
Stunden aufgetragen wurde. Dort wollte
der Interviewer vor allem über Matt Lauer
reden, eine Moderatorenlegende des Fern-
sehsenders NBC. In Farrows Buch bricht
eine ehemalige Angestellte erstmals ihr
Schweigen und berichtet, dass sie von
Lauer auf einer Dienstreise vergewaltigt
wurde und der Sender ihr eine siebenstel-
lige Summe zahlte, damit sie nicht an die
Öffentlichkeit ging. Diese Enthüllung ist
eine neue „bombshell“, wie sie in den USA
sagen. Sie legt einmal mehr offen, dass
Missbrauch und Vertuschung in einigen
Unternehmen noch immer System haben.
Farrow setzt sich an den Konferenz-
tisch, aus der Nähe betrachtet ist die Ähn-
lichkeit zu seiner Mutter frappierend,
die zu seinem Vater eher verborgen. Er ist
der Sohn von Hollywoodschauspiele-
rin Mia Farrow und Amerikas wohl be-
rühmtestem lebenden Regisseur Woody
Allen – obwohl seine Mutter in einem
Interview einmal andeutete, ihr Ex-Mann
Frank Sinatra könne Ronans Vater sein.
Er wächst mit einer ganzen Schar von
Geschwistern auf, 13 werden es schließ-
lich sein, die meisten von seiner Mutter
adoptiert.
1992, Ronan ist vier Jahre alt, zerbricht
die Ehe seiner Eltern in aller Feindselig-
keit, und die Dramen seiner Familie wer-
den zum Schlagzeilenfutter der Boule-
vardmedien weltweit. Die Affäre seines
Vaters mit Ronans damals 21-jähriger
Schwester Soon-Yi kommt ans Licht, und
seine siebenjährige Schwester Dylan be-
richtet, der Vater habe sie sexuell miss-
braucht. Es folgen Gerichtsverhandlun-
gen – Woody Allen wird nie einer Straftat
für schuldig befunden – und erbitterte
Sorgerechtskämpfe. Als Woody Allen spä-
ter Soon-Yi heiratet, wird aus dem Vater
gleichzeitig Ronans Schwager. Farrow hat
mit seinem Vater gebrochen, in Interviews
nennt er ihn nur noch beim Nachnamen.
Dies alles sind, gelinde gesagt, prägen-
de Erlebnisse für ein Kind, und doch –

R


onan Farrow ist in diesen Tagen
gefragt wie kaum ein anderer in
den USA. Als in einem Konferenz-
raum seines amerikanischen Ver-
lages in Manhattan endlich das
lange angebahnte Gespräch be-
ginnen soll, kaut er gerade. „Sorry, ich kom-
me im Moment nicht mal mehr zum
Essen“, sagt er zur Begrüßung. Der Jour-
nalist Farrow, 31, bestimmt in den USA
zurzeit neben Donald Trump und dessen
Politik die Schlagzeilen.
Sein Buch „Catch and Kill“ ist gerade er-
schienen, unter dem Titel „Durchbruch.
Der Weinstein-Skandal, Trump und die
Folgen“ auch auf Deutsch. Die Enthüllun-
gen darin versetzen einige sehr mächtige
Männer in Aufruhr, sie lassen teure An-
wälte gegen Passagen seines Werkes vor- 4

Ronan Farrow,
31, Journalist
aus berühmter
Familie: Seine
Eltern sind
Schauspielerin
Mia Farrow
und Regisseur
Woody Allen


Von Nicolas Büchse


„ AUCH ICH


HABE FRAUEN


LANGE GESAGT,


SIE SOLLEN


SCHWEIGEN“


Ronan Farrow brachte mit den


Enthüllungen um Filmproduzent


Harvey Weinstein die # MeToo-Bewegung


ins Rollen – Ansporn lieferte ihm


auch seine eigene Familiengeschichte


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GESELLSCHAFT

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