FOTOS: SPENCER PLATT/GETTY IMAGES; ANDER GILLENEA/AFP; REBECCA SMEYNE/THE NEW YORK TIME
oder gerade deswegen – entwickelt Ronan
Farrow sich zu einem Wunderknaben.
Mit 11 Jahren geht er aufs College, mit 16
beginnt er sein Jurastudium in Yale. Zwi-
schendrin bereist er mit seiner Mutter für
Unicef Afrika, und mit 21 fängt er unter
Präsident Obama im US-Außenminis-
terium an, hier berät er auch Hillary Clin-
ton, ehe er sich beim Fernsehsender NBC
dem Journalismus zuwendet und dort auf
einen der größten Skandale der vergan-
genen Jahre stößt: die Vorwürfe gegen
Harvey Weinstein. Seine Vorgesetzten
wollen den Fall vertuschen, deshalb ver-
öffentlicht Farrow seine Enthüllungen im
Magazin „New Yorker“.
Reihenweise hat Ronan Farrow in den
vergangenen zwei Jahren mit seinen
Recherchen mächtige Männer wegen
ihrer sexuellen Monstrositäten zu Fall
gebracht – nur an einem sehr mächtigen
Mann, seinem Vater Woody Allen, schei-
nen alle Vorwürfe abzuperlen; fast so,
als habe es #MeToo nie gegeben. Hierin
liegt wohl die Tragik seines Tuns, hier liegt
vielleicht auch sein Ansporn, immer wei-
terzumachen. Farrow zupft nun seine
Krawatte zurecht und nickt auffordernd,
er ist bereit zum Interview.
Mr Farrow, besitzen Sie mittlerweile eine
Pistole?
FARROW: Nein. Aber Freunde rieten mir
einmal, eine zu kaufen. Ich war sogar auf
einem Schießstand und habe Zielen geübt.
Das war während Ihrer Recherchen zu
Harvey Weinstein. Sie waren mit den
Nerven am Ende.
Ich sah jeden Tag dieses Auto vor meinem
Haus stehen, zwei Männer darin. Dauernd
bekam ich ominöse Nachrichten auf mein
Handy, manchmal Hunderte an einem
Tag. Ich fühlte mich verfolgt, habe zuerst
gedacht, ich sei paranoid, verrückt ge-
worden. Mit der Zeit fand ich heraus, dass
ich observiert wurde. Weinstein hatte
einen internationalen Spionage-Plot
gegen mich orchestriert, in dem ehe-
malige Geheimdienstagenten des Mossad
mit falschen Identitäten arbeiteten,
fiktionale Firmen erschaffen wurden und
in dem ich und mein Freund beschattet
wurden. Auch meine Vorgesetzten be-
einflusste er, sodass sie sich weigerten,
meine Geschichte über ihn zu senden.
Das sind die Taktiken, die Menschen ein-
setzen können, wenn sie mächtig und
reich genug sind. Sie sollten mich zermür-
ben und die Opfer von Weinstein, mit
denen ich sprach.
Sie zogen aus Angst sogar in die Woh-
nung eines Freundes.
Der Psychoterror setzte mir so sehr zu,
dass ich mich nicht mehr sicher fühlte.
Am schlimmsten war es aber für Wein-
steins Opfer, die Frauen, die von ihm
vergewaltigt und sexuell belästigt worden
waren. Sie durchlebten in ihren Erzählun-
gen die schlimmsten Momente ihres
Lebens wieder. Sie riskierten alles, um die
Wahrheit zu erzählen. Und Weinstein
machte sie ein zweites Mal zu Opfern,
er startete Schmutzkampagnen gegen
sie und konnte sich dabei auf seine mäch-
tigen Freunde in den Medien verlassen.
Als er zum Beispiel erfuhr, dass die Schau-
spielerin Rose McGowan mir berichtet
hatte, dass er sie einmal auf dem Sun-
dance-Filmfestival vergewaltigt hatte,
ließ er über seine mächtigen Kanäle streu-
en, dass sie verrückt und unglaubwürdig
sei. Und viele Medien übernahmen dieses
Bild von ihr.
Was hielten Sie von Harvey Weinstein,
bevor Sie zu recherchieren begannen?
Ich hatte ihn einmal persönlich getroffen,
auf einer Cocktailparty. Wir hatten eine net-
te Unterhaltung, ich hatte einen positiven
Eindruck von ihm. Und mein Partner Jona-
than Lovett war Redenschreiber für Barack
Obama, Weinstein ließ ihn fragen, ob er
auch für ihn tätig werden könnte. Gehört
hatte ich aber auch, dass manche ihn für
einen Tyrannen hielten, und es gab auch
Gerüchte von einer Besetzungscouch, al-
so dass Schauspielerinnen ihm sexuelle
Gefälligkeiten gaben für Rollen. So wie ich
haben ihn viele Leute gesehen, und viele
Leute haben nicht weiter darüber nachge-
dacht. Doch das änderte sich bei mir, als mu-
tige Frauen mir ihre Geschichte erzählten.
Viele der Frauen hatten über Jahre ge-
schwiegen, manche hatten noch nicht
einmal ihren Partnern und Freunden
davon erzählt, was Weinstein ihnen
angetan hatte. Warum öffneten sie sich
Ihnen gegenüber?
Es ist nicht mein Verdienst, dass sie ihre
Geschichten erzählten. Sondern allein
ihrer. Sie sind durch die Hölle gegangen,
um es zu tun. Viele waren eingeschüchtert
worden und genötigt, Verschwiegenheits-
erklärungen zu unterzeichnen, andere
fürchteten, nie wieder eine Rolle zu be-
kommen, wenn sie auspackten. Ich kam in
einem Moment zu ihnen, in dem es noch
immer schwer war, damit in die Öffentlich-
keit zu gehen. Noch immer glaubte die
Gesellschaft Opfern sexueller Gewalt
allzu oft nicht, noch immer schrieben vie-
le Leute ihnen eine Mitschuld zu. Ich
konnte aber sagen, dass ihre Geschichten
jetzt endlich etwas verändern könnten.
Ich konnte auf Beispiele verweisen. Ich
konnte sagen, dass die ersten mächtigen
Männer ihre Posten räumen mussten
„ WEINSTEIN
HAT EINEN
SPIONAGEPLOT
GEGEN MICH
ORCHESTRIERT“
Harvey Weinstein
im August vor einer
Gerichtsanhörung.
Der Prozess gegen
ihn soll im Januar
2020 beginnen
Ganz rechts:
Ronan Farrow mit
seiner Mutter Mia.
Mit dem Vater
Woody Allen (r.)
hat er gebrochen,
seine Schwester
Dylan wirft Allen
sexuellen Miss-
brauch vor, der
Regisseur wurde
aber nie verurteilt
80 17.10.2019