Focus - 19.10.2019

(Jacob Rumans) #1
FOTOGRAFIE

FOCUS 43/2019 101

D


eutlich verspätet erscheint
Sebastião Salgado in dem
Apartment seiner Familie
im wohlhabenden Viertel
Higienópolis. „Der Verkehr
in São Paulo“, stöhnt er und
holt tief Luft. Dann nimmt
der weltberühmte Fotograf
sich Zeit für das Gespräch. Gerade ist der
75-Jährige von einer Reise nach Indone-
sien und Japan zurück, wo er an einer
Konferenz teilnahm und einen Vortrag
über Amazonien hielt.
Der brasilianische Künstler schuf ein-
dringliche Bilder zu Armut, Flucht, Krieg
und immer wieder zur Bedrohung der
Natur. Er bereitet eine Ausstellung und
ein Buch über Amazonien vor, eines sei-
ner Lebensthemen, das nach den mas-
senhaften Brandrodungen an Brisanz
noch gewonnen hat. Salgados Arbeit war
stets politisch. Für seine Bücher, seine
Kunst und sein Engagement erhält er am


  1. Oktober in Frankfurt den Friedens-
    preis des Deutschen Buchhandels.


Herr Salgado, Sie reisten oft nach Amazonien,
in Ihrem Aufforstungsprojekt pflanzten Sie
fast drei Millionen Bäume – wie haben Sie die
Ereignisse der vergangenen Wochen erlebt?
Die Brände sind nur eine Konsequenz
der Position, die der aktuelle Präsident
Brasiliens einnimmt. Als er gewählt
wurde, hat er gleich seine Einstellung
zu Amazonien verbreitet, hat angefan-
gen, die Indigenen-Behörde Funai ausei-
nanderzunehmen, die Finanzierung des
Umweltinstituts Ibama zu kürzen, also
die Kontroll- und Schutzinstrumente für
Amazonien und die Indigenen beendet.
Die Landbesitzer Amazoniens haben
gesehen, dass sie die Macht auf ihrer
Seite haben, und fingen an, den Wald
abzuholzen und brandzuroden, um ihre
Flächen zu vergrößern.
Es schmerzt, wenn man üppigen Regen-
wald sieht und dann die abgeholzten und
verbrannten Flächen. Schon länger nahm
die Zahl der Eindringlinge in Naturparks und
indigene Gebiete zu, die der Kontrollen ab.
Ja, es war absehbar. Wer in Amazonien
arbeitet, den Indigenen, dem Regenwald
nahe ist, der wusste schon, dass das pas-
sieren würde. Heute sagt der Präsident,
dass er für das Amazonasgebiet ist. Aber
er ist für die wirtschaftliche Ausbeutung,
beruft sich auf die nationale Souveränität.
Niemand stellt diese infrage, ein großer
Teil Amazoniens ist brasilianisch. Aber die
Welt muss auf die Zerstörung reagieren.

Bedrohtes Idyll
Immer wieder lebte Sal-
gado bei Indio-Stämmen,
hier im Urwald Brasiliens.
Geschundene Arbeiter
Tagelöhner in einer Gold-
mine der Serra Pelada (r. o.).
Entlegene Regionen
Badende Kinder im Fluss
Caru im Norden Brasiliens.
Größtes Landtier
Ein Elefant beim Sonnen-
bad in Sambia.
Archaische Kreatur
Riesenschildkröte auf den
Galapagos-Inseln


Salgado zeigt die Schönheit und


das Grauen der Schöpfung

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