Focus - 19.10.2019

(Jacob Rumans) #1

LEBEN


100

75

50

25

0

–55

–50
Temperatur in der
Antarktis

°C ppm CO 2 360

400

200

240

280

320

–60

–65

(^2000) vor
300000
vor
200000
vor 100000
Jahren
heute
Touristen, die das Land
per Schiff besuchen
Touristen, die auf dem
Festland übernachten
2018
Kiel
Lübeck
Hamburg
Bremen
Hannover
Magdeburg
Berlin
Potsdam
Münster
Schwerin
Rostock
Neubrandenburg
Leipzig
Essen
7 m steigt der
Meeresspiegel bei
einer vollständigen
Eisschmelze in
Grönland
81 % der Fläche
Grönlands sind mit Eis
bedeckt
1500 m
dick ist die Eisfläche
im Durchschnitt
Überflutungsgebiet bei vollständiger
Eisschmelze Grönlands
Touristenzahlen Grönland in Tausend
Langzeitprojektion Grönland
in 3000 Jahren
bei vierfacher
CO 2 -Konzentration
der vorindustriellen Zeit
Eisschild
heute
Temperatur- und CO 2 -Entwicklung
der vergangenen 300000 Jahre
DEUTSCHLAND
122 FOCUS 43/2019
eindringen dürfen. Die Luft schmeckt sal-
zig, seidig, kühl. Wir wollen mit Schlauch-
booten den weißen Giganten näher kom-
men. Zu acht sitzen wir in jeweils einem
Zodiac, die meisten Gäste in den blau-
en Leih-Parkas der Reederei, mit Hand-
schuhen, Mützen, wasserdichten Hosen
und der Rettungsweste. Das glatte Was-
ser 40 Zentimeter neben uns wirkt zwar
heute bei Windstille wie von Folie überzo-
gen, kann aber tödlich sein: Bei vier Grad
überlebt ein Mensch darin vier Minuten.
Nach Umrundung des ersten Eisbergs
möchte eine ängstliche Mitreisende gern
wieder zurück zum Schiff. Unser Zodiac-
Steuermann ist Schiffskapitän Axel En-
geldrum selbst, und er hält Kurs. Mit Voll-
gas zischen wir zwischen Eisgebirgen und
weißen Gipfeln hindurch, blicken durch
Röhren, Brücken und Löcher, die Sonne,
Wind und Meerwasser in die Kristallge-
bilde frästen. Ein zehn Meter hohes
Exemplar bricht vor uns dumpf krachend
auseinander, das Boot schwankt. An der
Wasseroberfläche schläft eine Walkuh
mit ihrem Jungen, ihre dunklen Rücken
mit den Buckeln dümpeln unmittelbar
vor uns. Wir starren minutenlang wie
gebannt. Dann erwachen die Meeressäu-
ger und verabschieden sich mit einem
Schlag ihrer Fluken. „Was für ein Glück,
dass ich das sehen darf“, denke ich.
Worauf sollen wir verzichten?
Natürlich wünschen wir uns dieses gute
Wetter mit Top-Fernsicht für die restlichen
elf Tage der Expeditionsreise von Grön-
land nach Island – wir sind Touristen, und
für die meisten ist dies die einzige Reise
in die Arktis. Unser Wunsch geht in Erfül-
lung. Egal, ob beim Eisberg-Slalom durch
den Prinz-Christian-Sund, beim Ankern
am Gletscherabbruch im Evighedsfjord
oder der Passage durch den einsamen
Skjoldungen-Sund in Ostgrönland. Die
Sonne scheint, die Sicht ist grandios.
Viele Klimaschützer lehnen Expeditions-
reisen ins Eis ab. Ausgerechnet nach Grön-
land, dem gefühlten Epizentrum der Katas-
trophe, dazu mit einem Kreuzfahrtschiff,
dem Reisesegment, an dem sich die Bewe-
gung mit all ihren guten Beweggründen
derzeit am heftigsten abarbeitet. Ausge-
rechnet mit der Reederei Hapag-Lloyd, die
voriges Jahr bei einer Tour auf Spitzbergen
aus Sorge um die Gäste auch noch einen
Eisbären tötete. Es gibt sicher keinen Gast
an Bord, der nicht darüber nachgedacht
hat, bevor er diese Reise buchte. Wer will
schon absichtlich die Umwelt schädigen?
Faktenreport: Eisschmelze
Grönlands Eismassen sind der Kühlschrank der Nordhalbkugel. Ein
ungebremster Temperaturanstieg wird weltweit Konsequenzen haben
Quellen: IPCC, Nasa, VisitGreenland, NRK Meteorologisk Institutt
Gletscher-Kurs Der Boom bei neuen
Expeditionsschiffen bringt noch mehr
Schiffsgäste nach Grönland
Land unter Wenn Grönlands Eis
schmilzt, rückt die Küste bis
Hannover und Berlin vor. Die
Eismassen der größten Insel der
Welt ließen den Meeresspiegel
global um sieben Meter
ansteigen und
würden weite Teile
Nordeuropas sowie
Deutschlands
überschwemmen
Kurvendiskussion Das Gleichgewicht von CO 2 -Gehalt in
der Atmosphäre und Temperatur gerät aus der Balance

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