Focus - 19.10.2019

(Jacob Rumans) #1
Fotos: Florian Generotzky für FOCUS-Magazin, privat

FOCUS 43/2019 3

EDITORIAL

wenn Sie wollen, vergessen Sie die
Geschichte gleich wieder. Wenn Sie es
können. Die Geschichte handelt von dem
13-jährigen Leo, der mit 19 Mitschülern
auf dem Starnberger See an einem Ruder-
kurs teilnimmt. Zwei Erwachsene, es sind
Mediziner und erfahrene Ruderer, haben
die Aufsicht. Sie verteilen die Kinder,
alles Anfänger, auf mehrere
Boote und begleiten sie auf
den See. Nur Leo setzen sie in
ein Einmannboot. Sie sagen,
er solle ein paar Kreise in der
Nähe des Stegs rudern und
später der Gruppe über den
See folgen. Dann lassen sie
Leo zurück.
Kennen Sie den Starnberger
See? In dieser Jahreszeit, es
ist Frühling, ist er kalt. Käl-
ter noch als im Winter. Das
Schmelzwasser aus den Alpen
kühlt ihn auf unter acht Grad.
Wer dann ins Wasser fällt,
der erstarrt in wenigen Minu-
ten, weil ihm das Blut aus den
Gliedern weicht. An jenem Tag
wühlen Böen der Windstärke
fünf den See auf. Nur erfahre-
ne Ruderer sollten aufs Wasser.
Leo ist ein Anfänger. Der Junge trägt
keinen Neoprenanzug, keine Schwimm-
weste. Er musste sein Handy abgeben.
Er hockt in einem Renn-Einer. Das Boot
reagiert extrem sensibel, schon ein klei-
ner Fehler kann es zum Kentern bringen.
Leo ist allein. Um 18.15 Uhr sehen ihn
seine Mitschüler zum letzten Mal. Um
19 Uhr bemerken sie sein Verschwin-
den. Um 19.30 Uhr beginnen die beiden
Betreuer mit der Suche nach ihm. Um
20.02 Uhr alarmiert ein Betreuer, auf drin-
gende Bitte von Leos Vater, die Polizei.
Wenige Minuten später wird das Boot des
Jungen entdeckt. Es ist vollgelaufen. Leo
fehlt. Seine Leiche wird Tage später vom
Grund des Sees geborgen.
Leo ertrank am 19. April 2015. Einige
Monate später stand die Anklage gegen
die beiden Aufsichtspersonen. Die Staats-

anwaltschaft München II wirft ihnen vor,
den Jungen durch „fahrlässige Unterlas-
sung“ getötet zu haben.
Seither warten die verwaisten Eltern
von Leo darauf, dass sich ein Gericht der
Todesumstände ihres Sohnes annimmt.
Doch das Landgericht München II sah
sich überlastet. Der Fall liegt seit knapp
einem Jahr beim Amtsgericht Starnberg.
Die zuständige Richterin ließ nun die Ver-

Herzlich Ihr

fahrensbeteiligten wissen, sie erwäge, die
Sache in den kommenden Wochen gegen
eine Geldbuße einzustellen.
Das soll es gewesen sein? Nach vier-
einhalb Jahren Warten ein paar Euro als
Buße. Kein Verfahren, kein Urteil, keine
Strafe. Der Rechtsstaat sieht sich außer-
stande, nach dem Tod eines Menschen
seine wichtigste Aufgabe zu erfüllen:
Schuld und Verantwortung zuzumessen,
dem Recht Genüge zu tun.
Ich weiß: Viele Richter in
Deutschland kommen ihrer
Arbeit nicht hinterher. Die
Zahl der unerledigten Ver-
fahren wächst, weil Tausen-
de Richter fehlen und weil
geschickte Verteidiger Pro-
zesse in die Länge ziehen.
Angeklagte kommen aus der
U-Haft frei. Oder sie erhalten,
wegen des jahrelangen War-
tens auf ein Urteil, eine deut-
lich mildere Strafe.
Ich weiß auch: Richter kön-
nen ihre Aufgabe nur erfüllen,
wenn sie wirklich unabhän-
gig sind. Niemand darf sie zu
einem Urteil zwingen. Kein
Minister, keine schweigen-
de Mehrheit und sicher kein
Journalist.
Es steht mir ein Urteil über die beiden
Angeklagten im Fall Leo nicht zu. Es steht
mir nicht zu, ein womöglich gewünschtes
Strafmaß herbeizuschreiben.
Aber ich weiß auch, dass der Fall des
toten Jungen vom Starnberger See ein
Urteil braucht. Und deshalb führe ich Kla-
ge. Über Richter, die nicht erkennen, dass
der Rechtsstaat steht und fällt einzig mit
seiner Fähigkeit, Recht zu sprechen. Am
Ende von Leos Geschichte steht jedenfalls
ein Urteil über den Rechtsstaat. Manche
wollen diese Geschichte vergessen. Wir
dürfen das nicht.

Von Markus Krischer, stv. Chefredakteur

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Leos Eltern am Ufer des Starnberger Sees Ihr Sohn (r.) ertrank dort vor
viereinhalb Jahren. Kein Gericht will über den Todesfall urteilen

Das Leben von Leo muss mehr


wert sein als eine Geldbuße


Wir freuen
uns auf Sie,
liebe Leser!

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