Focus - 19.10.2019

(Jacob Rumans) #1
POLITIK

LinkeCDUAfDSPDGrüneFDP

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26

(^98)
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Sonstige
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„Wenn am nächsten Sonntag
Landtagswahl wäre, wen
würden Sie wählen?“
in Prozent
F o t o s :
dpa, Markus C. Hurek /FM, imago images
30 FOCUS 43/2019
D
as Altenburger Logenhaus ist
ein mehr als 200 Jahre alter
Bau, der ein wenig Pracht in
der Thüringer Kleinstadt ver-
strömt. Den Eingang säumen
vier Säulen, den großen Saal
erleuchten vier glitzernde Leuchter, auf
einer Bühne steht ein Flügel. Eigentümer
des betont bürgerlichen Etablissements
ist die Großloge der Alten Freien und
Angenommenen Maurer von Deutsch-
land. Ausgerechnet eine solche Kulisse
grafie: Die Mitte wird nun von den Ext-
remen gebildet.
Gemeinsam vereinen beide nach Pro-
gnosen gut die Hälfte der Wähler auf sich.
Die Union, die sich einst im Zentrum breit-
gemacht und den Freistaat 25 Jahre lang
regiert hat, kämpft mit ihrem Spitzen-
kandidaten Mike Mohring darum, nicht
hinter die AfD zu fallen. Grüne, SPD und
FDP folgen abgeschlagen mit einstelligen
Werten. Wenn es überhaupt noch weiterer
Bestätigungen bedurfte, so markiert die
hat sich ein Linker für seinen Wahlkampf
ausgesucht. Der Linke, das ist Thüringens
Ministerpräsident Bodo Ramelow.
125 Kilometer entfernt bietet der
Marktplatz von Bad Langensalza eben-
falls bürgerliches Ambiente. Stadthäuser
mit mittelalterlichen Fassaden schmiegen
sich aneinander, der 81 Meter hohe Turm
der Marktkirche überragt als Wahrzei-
chen des Kurorts die Szenerie. Die AfD
fällt hier mit Björn Höcke ein, mit Bier-
wagen, Bierbänken, Bratwurst, Sonnen-
schirmen, Klappliegestühlen und einer
kleinen Bühne mit großen Lautsprechern.
Daraus dröhnen Reden und Schlagermu-
sik von Kleinkünstlern, die sonst bei Fir-
men-Events Stimmung machen. Die als
„Familienfest“ titulierten Wahlkampf-
Events der Partei erfüllen wirklich jedes
Proletarierklischee.
AfD und Linke sind in Umfragen kons-
tant die stärksten Parteien vor der Land-
tagswahl am 27. Oktober in Thüringen.
Das bedeutet – jedenfalls nach den Maß-
stäben der klassischen politischen Geo-
der einstige Gewerkschaftssekretär als
erster Bürger des Landes. Seine Partei,
die Enteignungen für ein ganz norma-
les staatliches Instrument hält und die
mit der Zerschlagung des Kapitalismus
letztlich die Geschäftsgrundlage der bür-
gerlichen Gesellschaft zerstören möchte,
verschwindet hinter der Bodo-Show.
Die Bodo-Show
Wer das Altenburger Logenhaus betritt,
schreitet unter einem Ausspruch des Phy-
sikers und Mathematikers Archimedes
hindurch: „Noli turbare circulos meos“ –
störe meine Kreise nicht! Das ist zugleich
eine hübsche Metapher, um den Wahl-
kampf Ramelows, der hier an einem
der ersten kalten, windigen und nas-
sen Herbstabende des Jahres auftritt, zu
beschreiben. Es geht nur noch um ihn.
Was seine Partei von einem
Spitzenrepräsentanten er-
wartet, interessiert ihn nicht,
auf den meisten seiner Pla-
kate tauchen weder Name
noch Logo der Partei Die
Linke auf. Ramelow ist so
selbstbewusst, dass er sich
das Recht herausnimmt
auszurasten, wenn ihn je-
mand auf Twitter kritisiert.
Dass Politiker immer
freundlich sein müssen,
gilt eben nicht für Rame-
low. Auch Journalisten, die
in seinen Augen zu imper-
tinent nachfragen, blafft er
Auf der einen Seite Feelgood-Sozialist Bodo, auf der anderen der rechte Revoluzzer
Endphase des Wahlkampfs im Land von
Luther und Wartburg das Ende einer bun-
desrepublikanischen Gewissheit: Wahlen
werden nicht mehr in der Mitte gewonnen.
Es sind die Ränder, die nun beanspruchen,
die neue Mitte zu sein.
Und das tun sie paradoxerweise mit
umgekehrten Vorzeichen: So behauptet
die AfD, die einzige bür-
gerliche Kraft zu sein, die
verblieben sei. Zugleich
umschmeichelt sie rech-
te Extremisten, die nicht
weniger wollen, als die
Republik aus den Angeln
zu heben.
Genau andersherum ist
es beim ersten Minister-
präsidenten, den die
Linkspartei stellt: Bodo
Ramelow ist in fünf Amts-
jahren zum milden Lan-
desvater mutiert. Dem
Regierungsalltag leicht
entrückt, inszeniert sich
Die Gegner Bodo Ramelow und Björn Höcke unterhalten sich bei einer
Landtagssitzung in Erfurt. Das Verhältnis ist professionell
Die alte Mitte Spitzenkandidat Mike Mohring muss befürchten, bei der
Wahl am 27. Oktober hinter der AfD zu landen
Quelle: Forschungsgruppe
Wahlen

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