Focus - 19.10.2019

(Jacob Rumans) #1
POLITIK SICHERHEIT

Fotos: Britta Pedersen/dpa, ddp images

36 FOCUS 43/2019

I


m Ruhrgebiet schätzt man Klartext.
Auch Peter Henzler, Vizepräsident
des Bundeskriminalamts (BKA)
und vor 63 Jahren in Gelsenkir-
chen geboren, handhabt das so.
„Ein blödsinniger Artikel“, tadel-
te er den FOCUS-Reporter Anfang
September auf dem Herbstempfang der
Sicherheitsbehörden im Berliner Schloss
Charlottenburg. „Absoluter Quatsch, was
Sie da geschrieben haben!“
Henzlers Zorn galt dem Bericht über
ein kurzes Video, das am 19. Dezember
2016 kurz nach dem Terroranschlag auf
den Berliner Weihnachtsmarkt entstan-
den war. Der Film zeigte nach FOCUS-Re-
cherchen den Ersthelfer Sascha H., der
mit anderen Männern in eine Rauferei
geriet und später eine schwere Kopfver-
letzung erlitt. Er liegt seitdem im Koma.
Die 3,8 Sekunden lange Szene aus der
Terrornacht nährte den Verdacht, dass
Komplizen dem Mörder Anis Amri bei
der Flucht halfen – unter Einsatz von
Gewalt. Trotz dieser Hinweise auf eine
Täterclique stufte das BKA den Film weni-
ge Wochen nach der Tat als nutzlos ein.
„Keine Verfahrensrelevanz erkennbar“,
hieß es in einem Vermerk.„70-mal habe

Bei der Aufklärung des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt unterlaufen dem BKA


immer neue Pannen. Behördenchef Holger Münch gerät zunehmend unter Druck


Amri und die Schläfer vom BKA


ich den Film angesehen. Da war nichts
von Sascha H. zu sehen“, polterte Henz-
ler am Biertisch im Schlossgarten.
Nur zweieinhalb Wochen später, am


  1. September, wurde der BKA-Vize öffent-
    lich von seinen eigenen Leuten widerlegt.
    Kriminalrat Florian Bülow informierte den
    parlamentarischen Untersuchungsaus-
    schuss des Deutschen Bundestags, dass
    bei einer erneuten Überprüfung des Films
    der Ersthelfer Sascha H. tatsächlich bei
    einer „körperlich/verbalen Auseinander-
    setzung“ mit Unbekannten identifiziert
    worden sei. Zudem sei H. von seinem Ehe-
    mann wiederkannt worden. Der Urheber
    des Videos sei in seinem Urlaubs-
    ort auf Mallorca erstmals ange-
    hört worden – 33 Monate nach
    dem schwersten islamistischen
    Anschlag auf deutschem Boden.
    Die Vorgänge sind peinlich
    für den BKA-Vize Henzler und
    seinen Chef, BKA-Präsident
    Holger Münch, 58. Der frühe-
    re Staatsrat beim Senator für
    Inneres und Sport in Bremen
    leitet die Bundesbehörde seit

  2. Das BKA ist die Zentral-
    stelle der deutschen Kriminal-


polizei. Die 6300 Mitarbeiter ermitteln
bei schweren Verbrechen wie Terroran-
schlägen. Doch ausgerechnet beim bisher
verheerendsten islamistischen Attentat in
Deutschland mit zwölf Toten und 50 Ver-
letzten gibt es offenbar schwere Pannen.
Im politischen Berlin wachsen deshalb
die Zweifel, ob Münch sein Amt noch
richtig im Griff hat. Der Präsident sitze
nicht mehr sicher im Sattel, heißt es sogar
im Kanzleramt.
Das BKA habe wohl „hochrelevan-
tes Beweismaterial nicht richtig aus-
gewertet“, kritisiert Irene Mihalic von
den Grünen, einst selbst Polizeibeam-
tin. Und FDP-Innenpolitiker Ben-
jamin Strasser (FDP) fragte im
Bundestag: „Warum blockieren
die Sicherheitsbehörden stän-
dig die Aufklärungsarbeit des
Untersuchungsausschusses?“
Kriminalrat Bülow blieb die
Antwort im Ausschuss schul-
dig. Er gestand aber ein, dass
die Bundesanwaltschaft auf-
grund der FOCUS-Enthüllung
eine erneute Überprüfung des
Videofilms angeordnet habe.
„Die Tatsache, dass das

Vorgesetzter
Innenminister
Horst Seehofer, 70,
fühlt sich von
Münch schlecht
informiert

Ermittler
BKA-Chef Holger
Münch, 58 (r.),
und sein Vize
Peter Henzler, 63,
geraten bei
der Aufklärung
des Berliner
Terroranschlags
immer stärker
unter Druck

Attentäter
Anis Amri wurde
von mehreren
deutschen
Sicherheits-
behörden beob-
achtet. Trotzdem
wurde er nicht
gestoppt. Der
BKA-Resident in
Marokko lieferte
Hinweise auf
einen Anschlag

... OB BALD JEDER ÜBER DAS MEER LAUFEN KANN?

EGAL


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