Focus - 19.10.2019

(Jacob Rumans) #1
AUSLAND

Foto: Damon Winter/The New York Times/laif


FOCUS 43/2019 43

Oppositionsführerin Nancy Pelosi ist der politisch-kulturelle Gegenpol zum Präsidenten.


Sie treibt das Amtsenthebungsverfahren voran und kalkuliert auch dessen Scheitern ein


Die Lady, die Trump das Fürchten lehrt


W


er Nancy Pelosi treffen
will, braucht viel Zeit
und noch mehr Geduld.
Die Präsidentin des ame-
rikanischen Repräsen-
tantenhauses („Speaker
of the House“) kommt mit über einer
halben Stunde Verspätung zum Presse-
termin im US-Kapitol. Es geht – wie so oft
in diesen politisch turbulenten Tagen –
um das mögliche Amtsenthebungs-
verfahren gegen US-Präsident Donald
Trump. Insgesamt sechs Ausschüsse hat
die mächtigste Frau im Kongress mit den
Voruntersuchungen beauftragt. „Wir
wollen die Wahrheit herausfinden“, sagt
Pelosi knapp.
Die 79-jährige Polit-Veteranin aus der
kalifornischen Demokraten-Hochburg
San Francisco wirkt kosmopolitisch-ele-
gant, als sie im hellblauen Hosenanzug
und mit goldener American-Eagle-An-
stecknadel am Revers vors Mikrofon tritt.

cher Rhetorik. Für einen kurzen Augen-
blick lässt sie dabei doch einen Gefühls-
hauch aufblitzen. „Das ist eine sehr, sehr
traurige Zeit für das amerikanische Volk
und für unser Land“, sinniert sie. „Und
es besteht nicht der geringste Anlass,
sich darüber zu freuen, dass wir womög-
lich bald einen amtierenden Präsidenten
anklagen müssen.“ Doch das sei nun ein-
mal die verfassungsmäßige Pflicht des
Kongresses als oberste Kontrollinstanz
und Gegengewicht („Checks and Ba-
lances“) innerhalb der US-Regierung.
Pelosis Kommentar ist vor allem ein
Appell an die Parteibasis. Viele Demo-
kraten-Wähler, aber auch zahlreiche Kon-
gressabgeordnete verhehlen längst nicht
mehr ihre Abscheu gegenüber Trump.
Viele würden den 73-jährigen früheren
Reality-TV-Star („The Apprentice“) lie-
ber heute als morgen aus dem Weißen
Haus jagen und hinter Gitter bringen.
Die studierte Politologin und Gattin eines

Wahl, als die Voruntersuchungen für ein
Impeachment-Verfahren zu starten.“
Dass Trump wild um sich schlägt und
Biden mit vulgären Fäkal-Ausdrücken
beleidigt („Er war nur deshalb ein guter
Vizepräsident, weil er Barack Obama in
den Arsch gekrochen ist“), hat die Grande
Dame der US-Politik mit Vorliebe für
High Heels vom Präsidenten nicht anders
erwartet. Sie sagt: „Er lügt, er hetzt, er
verleumdet – das ist leider sein Stil.“
Als Pelosi am Mittwochabend bei
einem Treffen mit Trump im Weißen Haus
die Syrien-Politik des Präsidenten kriti-
sierte, reagierte dieser mit einem Wut-
ausbruch und attackierte sie als „dritt-
klassige Po litikerin“. Daraufhin brach
die Demo kratin das Gespräch ab. Kurz
darauf legte Trump via Twitter noch ein-
mal nach: „Nancy Pelosi braucht ganz
schnell Hilfe. Entweder stimmt bei ihr
oben (im Kopf) etwas nicht, oder sie mag
unser großartiges Land nicht. Sie hat völ-

Ihr sanfter Blick, so scheint es, soll die
konsequente Härte überstrahlen, mit
der Pelosi ihre Partei durch das politi-
sche Haifischbecken Washington steuert.
Bloß nicht von Trump aus der Reserve
locken lassen.

„Staatsfeindin“ und „Radikale“
Der Präsident hat Pelosi in seinen hass-
erfüllten Twitter-Tiraden und Kampag-
nenreden bereits als radikale Staatsfein-
din beschimpft. Er hat sie die Anführerin
einer „unheiligen Allianz aus korrupten
Demokraten, Bürokraten eines geheimen
Staates im Staate sowie verlogenen Nach-
richtenmedien“ genannt, die unter dem
Deckmantel des Impeachments einen
„Coup“ gegen ihn plane. Mit ihrer ruhi-
gen Art will Pelosi der Welt das Gegenteil
demonstrieren. Nach mehr als 30 Dienst-
jahren im Kongress ist sie viel zu abge-
brüht, um in Trumps Fallen zu tappen.
„Unsere Komitees fahnden, sie über-
prüfen Indizien und sammeln Beweise“,
referiert Pelosi mit staatsanwaltschaftli-

Multimillionärs lehnt diesen Wut-Populis-
mus ab. „Ein Amtsenthebungsverfahren
ist eine viel zu ernste Angelegenheit“,
betont sie im Gespräch mit FOCUS.
Wohl deshalb hat sich Pelosi lange Zeit
gegen die Forderungen der demokrati-
schen Basis nach einem Impeachment
gesperrt. Ihrer Einschätzung nach lieferte
nicht einmal der Report des US-Sonder-
ermittlers Robert Mueller eindeutige Be-
weise dafür, dass der Präsident sein Amt
zum eigenen Vorteil missbraucht habe.
Pelosis vehementer Widerstand brach
erst, als sie von jenem verhängnisvollen
Telefonat zwischen Trump und dem ukrai-
nischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj
erfuhr. Im Verlauf des Gesprächs soll
Trump den von US-Militärhilfe abhängi-
gen Amtskollegen dazu gedrängt haben,
in Kiew Ermittlungen gegen Joseph Biden
einzuleiten. „Die Ukraine-Affäre hat uns
den Beleg geliefert, wie Trump gegen
die US-Verfassung verstoßen hat“, sagte
Pelosi in einem Interview mit „Vanity
Fair“. „Da bleibt uns gar keine andere

lig die Nerven verloren. Es war sehr trau-
rig anzusehen. Betet für sie. Sie ist eine
sehr kranke Person.“
Dagegen konterte Pelosi: „Wir haben
gerade einen Zusammenbruch seitens
des Präsidenten erlebt; traurig, das zu
sagen.“
Meist lässt Pelosi die Angriffe auf ihre
eigene Person kommentarlos abperlen.
Dennoch hetzt der Präsident weiter: „Sie
ist völlig aus dem Häuschen, steht total
unter der Fuchtel der radikalen Linken.“
Für Pelosi und ihre Mitstreiter offenbaren
diese Attacken eher schiere Angst als
Dominanz. Sie entlarvten einen offen-
kundig schwer angeschlagenen Mann,
der nervlich angegriffen sei, heißt es
in Pelosis Umkreis. Auf die Frage von
„Vanity Fair“, ob sie noch irgendetwas
an dem Präsidenten und seinen Repub-
likanern überrasche, erklärte sie: „Mich
überrascht gar nichts mehr.“ Dabei wirkte
sie wie eine nachsichtige Mama, die sich
an die einstigen Ungezogenheiten ihrer
fünf Kinder erinnert.
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