Focus - 19.10.2019

(Jacob Rumans) #1
95

100

105

110

115

120

125

4/2019 10/2019

SAP-Aktienkurs in Euro

WIRTSCHAFT

Fotos: SAP

64 FOCUS 43/2019

G


eschäftsführer, zumindest die
an der Spitze von Milliarden-
konzernen, sind immer auch
ein wenig Rockstars. Vorbil-
der, Idole, Menschen, die für
etwas stehen, etwas verän-
dern. Und wie ein Rockstar sieht Jennifer
Morgan auch aus, als sie vor die Kameras
tritt. Die neue Frau an der Spitze von
SAP, die erste Chefin eines Dax-Unter-
nehmens. Schwarze Lederjacke, Gold-
schmuck um Hals und Hände, perfektes
Lachen. Mit-CEO Christian Klein wirkt
neben ihr unscheinbar. Die Bühne gehört
ihr. Die Amerikanerin gestikuliert viel,
spricht von Innovation und Zukunft für
den deutschen Software-Konzern. „Es
gibt einen Kampf um die besten Talente.
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auf
eine gute Unternehmenskultur fokussie-
ren“, sagt die 48-Jährige. Es fühlt sich
nach Veränderung an, nach Aufbruch.
Vergangenen Freitag hatte der bisheri-
ge SAP-Chef Bill McDermott seinen Rück-
tritt verkündet. Der Schritt wirkt wie der
sogenannte Mic-Drop auf der Bühne. Er
lässt das Mikrofon fallen, wenn er nicht
noch mehr erreichen kann. In seinen neun
Jahren an der Spitze machte er SAP zum
wertvollsten Tech-Unternehmen Europas,
aktuell liegen die Walldorfer bei circa 150
Milliarden US-Dollar. Und er tat den wich-
tigen Schritt ins Cloud-Geschäft, das Jen-
nifer Morgan seit April 2019 verantwortet.
Auch wenn die bislang hohen Margen
etwas darunter litten. Die Übergabe an
die erste Frau und den mit 39 Jahren
jüngsten Chef eines Dax-Unternehmens
ist sein Vermächtnis, sein Schubs Rich-
tung Zukunft.
Der Kurs von SAP stieg um acht Pro-
zent unmittelbar nach der Bekanntgabe.
Diversität in der Führung ist gefragt und
gut für die Bilanzen. Studien zeigen, dass
Unternehmen erfolgreicher wirtschaften,
wenn mindestens eine Frau in der Chef-
etage sitzt. Ein weiblicher Führungsstil
ändert die Perspektive, macht langfris-
tig dynamischer, innovativer. Kein Wun-
der, dass gerade ein international ope-

se bei Philadelphia die beiden Söhne,
die inzwischen Teenager sind, während
sie als SAP-Nordamerika-Chefin schnell
Karriere machte. 2017 wurde sie nach 13
Jahren im Unternehmen in den Vorstand
berufen, seit April dieses Jahres leitet
Morgan den Cloud-Computing-Bereich,
trägt die Verantwortung für 33 Milliarden
Euro. Das US-Magazin „Forbes“ wählte
sie in die Top 20 der wichtigsten Frauen
der Tech-Branche. Rockstar eben. Und
doch steht sie für eine Veränderung, die
weiter führt und tiefer geht als „endlich
eine Frau im Dax“ – die Managerin, die
bunte Kleider trägt und auffälligen Mode-
schmuck. Eine, die Frau ist. Seit Jahren
setzt sie sich für gleiche Gehälter von
Männern und Frauen ein und fördert
Diversität im Konzern.
Schaut man auf ihr Twitter-Profil, steht
dort an erster Stelle: „Glückliche Ehefrau
und Mutter.“ Das Menschliche kommt bei
Morgan immer zuerst. Eine Lektion, die
sie mit 13 Jahren von ihrem Vater lernte,
der ihr ihren ersten Job gab – in seiner
Kieferorthopädiepraxis. „Konzentriere
dich auf die Menschen, darauf, dass sie
glücklich sind, und der Erfolg wird fol-
gen“, erzählt sie in ihrem Podcast „A Call
to Lead“, in dem sie mit Persönlichkeiten
von Richard Branson bis Tony Blair, aber
vor allem mit vielen Frauen spricht. Es
ist dieser Blick auf die Dinge, der sie so
modern macht in ihrer Rolle.
Beispiele wie die des amerikanischen
Fahrdiensts Uber haben gezeigt, wohin
eine Firmenkultur führen kann, die nur
Leistung schätzt. Sexuelle Belästigung,
Mobbing und ein verbal ausfälliger CEO.
„Das Problem dort waren ausgebrannte
Mitarbeiter“, erklärt Arianna Huffington
in „A Call to Lead“. Die Unternehmerin
ist eng mit Jennifer Morgan befreundet.
Zwei Frauen, die am Anfang ihrer Karrie-
re auch glaubten, besser und stärker sein
zu müssen als die Männer.
„Als mein Mann einen Unfall hatte und
zu Hause ausfiel, war meine größte Sorge
meine Arbeit“, erzählt die SAP-Chefin.
„Ich hatte Angst, dass meine Kollegen

Sie ist die erste Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens. Die neue SAP-Chefin


Jennifer Morgan baute das Cloud-Geschäft des Tech-Unternehmens auf und zeigt,


dass modernes Management dort anfängt, wo Egomanie aufhört


Die Königin der Cloud


Übergabe Der Amerikaner Bill McDermott (l.)
führte SAP neun Jahre lang. Nun übergibt er an
Jennifer Morgan und Christian Klein

Zugabe Nach Jahren des Wachstums erfuhr
SAP eine Kurskorrektur. Als die neuen Chefs be-
kannt wurden, stieg die Aktie allerdings wieder

Quelle: Finanzen.net

rierendes Tech-Unternehmen die erste
Frau auf den Chefposten hebt. Insgesamt
hinken die deutschen Konzerne hinter-
her. 2018 waren mehr Männer mit dem
Namen Thomas oder Michael unter den
Vorständen in Deutschlands 160 größten
börsennotierten Unternehmen als Frauen
insgesamt.
Und lange erschien es so, dass es vor
allem die Frauen nach oben schafften,
die sich den männlichen Strukturen mög-
lichst gut anpassten. Auf den ersten Blick
könnte man das auch von Jennifer Mor-
gan glauben. Ihr Mann betreut zu Hau-
Free download pdf