Focus - 19.10.2019

(Jacob Rumans) #1
DIGITALISIERUNG

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Entspannt und charmant
Die neue Chefin Jennifer Morgan
ist für ihre bunten Outfits
bekannt. Sie versucht, sich treu
zu bleiben, und stieg bei SAP
trotzdem schnell auf. Nun will sie
den Konzern in die Zukunft
führen. Der Druck ist groß


und Mitarbeiter glauben, dass ich etwas
nicht schaffe, und merken, was los ist.“
Keine Schwäche zeigen, vielleicht auch
keine Gnade. Lange wurden Manager
bewundert, die das ausstrahlten. Huf-
fington nennt sie „brillante Arschlöcher“,
und Jennifer Morgan lacht lange und
zustimmend über den Begriff. Der Pro-
totyp für diesen Managertyp war früher
Mark Zuckerberg, später vor allem Uber-
Chef Travis Kalanick. Männer, die wissen,
wie genial sie sind, die glauben, dass sie
sich deshalb alles erlauben können. Ihre
Zeit sei vorbei. Jennifer Morgan glaubt
das zu wissen. „Verwundbarkeit, Empa-
thie, Offenheit. Uns Frauen wurde lange
gesagt, dass wir diese Qualitäten ver-
stecken sollten, wenn wir Erfolg haben
wollen“, erzählt sie. „Doch es ist genau
das, was uns besser macht.“
Es ist zumindest das, was sie besser
zu machen scheint. Das Cloud-Geschäft
erwirtschaftet inzwischen sogar mehr
Umsatz als die Software-Lizenzen, die
den Konzern in den letzten 47 Jahren
getragen haben. Doch hier fangen auch
die Probleme an, die Morgan nun in den
Griff bekommen muss. Die vielen Fir-
menzukäufe und damit neuen Systeme
wurden nie integriert, und die langjähri-
gen Geschäftskunden wandern langsam
ab. Gleichzeitig ist die Konkurrenz im
Cloud-Business extrem stark. Als sie im
Interview darauf angesprochen wird, win-
det sie sich so geschickt und diplomatisch
heraus, als sei sie bereits US-Präsidentin.
Sie beherrscht den öffentlichen Auftritt
besser als ihr Mit-Chef Christian Klein,
vielleicht sogar besser als Bill McDermott.
Alle Augen sind auf sie gerichtet. Sie ist
nun CEO, Diplomatin, Politikerin, Mutter,
Schwester, Ehefrau, Freundin, Rockstar –
Frau. Als älteste Tochter kennt sie das
Gefühl gut, Menschen nicht enttäuschen
zu wollen, erzählt sie in einer Podcast-Fol-
ge. Das erfordert Mut. Nun wird sie welt-
weit etwa 100 000 Mitarbeiter nicht ent-
täuschen wollen.n


CORINNA BAIER
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