18 REPORT DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT FREITAG, 18. OKTOBER 2019
N
un also auch die
Ananjew-Brüder.
Sehr loyal hatten
sich die beiden Ex-
Multimilliardäre – inzwischen
nur noch auf je 600 Millionen
Dollar Vermögen geschätzt –
immer gegeben. Gegen das Pu-
tin-System hatten sie nie auf-
begehrt – vielmehr nach seinen
Regeln gespielt. Der eine von
ihnen, Alexej, 55 Jahre alt, der
andere, Dmitri, nun 50. Wie
Zwillingsbrüder sahen sie aus
mit ihren Bärten, die ihnen den
Anstrich von russisch-orthodo-
xen Popen gaben. Und damit –
neben den russischen Kunst-
sammlungen und ihren kinder-
reichen Familien – auch sugge-
rieren wollten, dass sie ihrer
Heimat tief verbunden sind
und es gut mit ihr meinen.
VON EDUARD STEINER
AUS MOSKAU
Ein Moskauer Gericht sieht
das nun aber anders. Es hat
entschieden, über beide Ge-
schäftsleute in Abwesenheit
die Festnahme auszusprechen.
Seither sind sie, die das Land
rechtzeitig verlassen haben, in-
ternational zur Fahndung aus-
geschrieben. Was das Gericht
ihnen vorwirft? Die beiden hät-
ten in ihrer eigenen Bank, der
Promsvjazbank, 66 Milliarden
Rubel (930 Millionen Euro)
und weitere 575 Millionen Dol-
lar (521 Millionen Euro) verun-
treut. Geld, das anschließend
gewaschen und zum Teil in die
Niederlande transferiert wor-
den sei, wie es von der Anklage
heißt. Den Brüdern drohen bis
zu zehn Jahre Haft.
Die Causa geht zurück ins
Jahr 2017. Damals herrschte
wieder einmal Panik im russi-
schen Bankensektor, weil be-
kannt geworden war, dass die
Promsvjazbank, eine der größ-
ten im Land, und zwei weitere
systemrelevante Geldinstitute
in Schieflage geraten waren
und vom Staat mit Milliarden-
geldern aufgefangen werden
mussten. Kurz darauf wurden
die Geldhäuser verstaatlicht,
sodass heute eigentlich kaum
noch nennenswerte private
Geldinstitute übrig sind. Im
letzten Moment vor ihrer
Flucht ins Ausland haben die
Ananjew-Brüder noch Geld aus
dem Institut in Sicherheit ge-
bracht, so die Staatsanwalt-
schaft. Wegen des rapiden
staatlichen Zugriffs waren die
Brüder „weiß vor Schock“, wie
ein Insider nach einem Treffen
mit ihnen WELT berichtete.
Der Staat griff beherzt zu: Er
ließ neben der Kunstkollektion
und zwei Privatflugzeugen vom
Typ Bombardier Challenger
650 auch 50 Immobilienobjek-
te, acht Mercedes und einen Ja-
guar beschlagnahmen. Die an-
geblichen Zeugen der Anklage
hätten bei den Verhören die
Namen der Brüder aber nie ge-
nannt, hieß es von der Verteidi-
gung. Die Jagd nach Unterneh-
mern und insbesondere flüch-
tigen Tycoons hat mit dem Fall
der Ananjew-Brüder einen neu-
en Höhepunkt erreicht. Gerade
2019 wird daher in die Ge-
schichte des Landes eingehen,
haben sich doch seit Jahresan-
fang die Fälle gehäuft wie nie-
mals zuvor.
Und auch wenn jeder Fall an-
ders ist und die Verfahren nicht
immer auf staatlicher Unter-
nehmerfeindlichkeit, sondern
auch auf böswilligen Attacken
früherer Geschäftspartner oder
aktueller Konkurrenten basie-
ren, ist das Gesamtbild inzwi-
schen verheerend – und wirft
Schatten auf die ohnehin
schwache Attraktivität Russ-
lands als Investitionsstandort.
So verkündete dasselbe Mos-
kauer Gericht nur wenige Tage
vor dem Urteil gegen die Anan-
jew-Brüder in einem anderen
spektakulären Wirtschaftsver-
fahren eine ähnliche Entschei-
dung: Sergej Petrowwurde in-
ternational zur Fahndung aus-
geschrieben.
Und Petrow ist nicht irgend-
wer. Mit geschätzt 900 Millio-
nen Euro auf Platz 114 der russi-
schen „Forbes“-Liste, zählt der
heute 65-Jährige zu jenen weni-
gen Vorzeigeunternehmern,
die nicht auf der Grundlage von
Rohstoffausbeutung zu ihrem
Vermögen gekommen sind.
Schon zu Sowjetzeiten wurde
der frühere Militärmajor Pe-
trow wegen antisowjetischer
Propaganda und Aktivitäten in
prodemokratischen Zirkeln aus
der Armee entlassen. Später
baute er Russlands größten
Konzern für Fahrzeugimporte
namens Rolf.
Mit seiner demokratischen
Gesinnung unterstützte er als
nahezu einziger Tycoon die
Opposition gegen Putin, und
zwischenzeitlich in der Rolle
als Abgeordneter stimmte er
nicht für die Krim-Annexion.
Petrow, der seit 2016 in Öster-
reich lebt, wird vorgeworfen,
Anfang 2014 durch einen preis-
lich überhöhten Verkauf von
Aktien einer Firmentochter 3,
Milliarden Rubel (55 Millionen
Euro) ins Ausland geschafft zu
haben. Dabei war die Abwick-
lung damals von den Behörden
als rechtskonform eingestuft
und nicht beanstandet worden.
Seither hat sich der Wind ge-
hörig gedreht, was auch an der
wirtschaftlichen Verschlechte-
rung im Land liegt, die die
Machthaber nervöser und die
Staatssicherheitskräfte aggres-
siver werden ließ. Inzwischen
haben russische Medien aufge-
deckt, dass die – im Fall Petrow
vom Inlandsgeheimdienst FSB
dem Gericht vorgelegte – Ex-
pertise zum Verkaufswert von
einer Firma im Nordkaukasus
durchgeführt wurde, die schon
lange ihren Status als Auditor
verloren hatte und wegen Steu-
erproblemen kurz vor dem
Bankrott steht. Gerade der be-
rüchtigte Geheimdienst FSB
hat in den juristischen Aktio-
nen gegen Geschäftsleute zu-
letzt mehr und mehr die Hände
im Spiel. Die Kooperation zwi-
schen ihm und der Justiz wird
immer enger. Und die wirt-
schaftlichen Aktivitäten der
Geheimdienstmitarbeiter
selbst immer stärker.
Erst kürzlich enthüllte der
renommierte Investigativjour-
nalist Iwan Golunow in einer
Geschichte über die Mafia im
Bestattungswesen, dass FSB-
Leute dort riesige Geldflüsse
kontrollieren. Aus anderen
Quellen wurde bekannt, dass
FSB-Generalmajor Alexandr
Pastuschkow auf seiner Dat-
scha ganze fünf Millionen Dol-
lar (4,53 Millionen Euro) ver-
graben hatte. Golunow wurde
übrigens im Juni wegen angeb-
lichen Drogenhandels festge-
nommen – und nach unerwar-
tet starken Bürgerprotesten
bald wieder freigelassen, ehe
zwei Polizisten wegen des fin-
gierten Drogenvorwurfs gegen
Golunow suspendiert wurden.
Auch Geschäftsleute sind
keine Engel. So hat sich ein
ehemaliger Geschäftspartner
von David Jakobaschwilimit
dem FSB zusammengeschlos-
sen, um mit seiner Hilfe Jako-
baschwili loszuwerden. Der
heute 62-Jährige flüchtete tat-
sächlich im März nach Frank-
reich und ließ wissen, dass er
vorerst nicht mehr nach Russ-
land zurückkehren wird, weil
dort Dinge vor sich gehen wür-
den, die „nicht mehr adäquat“ –
eine russische Umschreibung
für „verrückt“ – seien. Jakoba-
schwilis Vermögen wird auf 750
Millionen Dollar (680 Millio-
nen Euro) geschätzt; er galt im-
mer als politisch loyal. Einst
hatte er mit Partnern den Ge-
tränkekonzern Wimm-Bill-
Dann aufgebaut, den er später
an die Börse brachte und 2011
für 5,7 Milliarden Dollar (5,
Milliarden Euro) an Pepsi ver-
kaufte.
In den vergangenen Jahren
errichtete der gebürtige Geor-
gier ein Museum für seine
Sammlung alter Uhren und
verdiente unter anderem damit
Geld, dass er westliche Trup-
pen in Afghanistan mit Treib-
stoff belieferte. Die russische
Justiz wirft ihm geschäftlichen
„Betrug“ vor. Nicht alle inkri-
minierten Geschäftsleute ha-
ben sich rechtzeitig ins Aus-
land abgesetzt. Einige namhaf-
te Leute sitzen in Russland in
Untersuchungshaft oder wur-
den bereits verurteilt.
Die aufstrebende russische
Internetzeitung „The Bell“ ver-
öffentlichte ein Ranking der
zwölf größten laufenden Fälle
von tatsächlicher oder kon-
struierter Wirtschaftskrimina-
lität und errechnete, dass es
insgesamt um eine Schadens-
summe von etwa 700 Milliar-
den Rubel (9,9 Milliarden Eu-
ro) gehe. Zudem ermittelte sie,
wie die russische Justiz in Sa-
chen Wirtschaftskriminalität
zuletzt urteilte.In fast allen
diesbezüglichen Verbrechens-
kategorien wurden die Ange-
klagten in 99 Prozent der Fälle
verurteilt. Nur in der Katego-
rie „Gründung einer verbre-
cherischen Organisation“ liegt
der Prozentsatz der Verurtei-
lung bei „nur“ 98,85 Prozent
und im Bereich „Geldwäsche“
bei 91,89 Prozent. Dafür liegt
er im Bereich „großer Betrug“
oder „Fälschung von Finanz-
dokumenten“ bei satten 100
Prozent.
WWWer als Unternehmer in dieer als Unternehmer in die
Mühlen der russischen Justiz
gerät, geht also traditioneller-
weise so gut wie sicher ins Ge-
fffängnis. Nicht zufällig sagenängnis. Nicht zufällig sagen
Tycoons wie kürzlich der Top-
Banker und Multimilliardär
PPPjotr Aven, er würde das Landjotr Aven, er würde das Land
nur in dem einen Fall verlas-
sen, wenn strafrechtlich gegen
ihn ermittelt würde – wobei
übrigens er und seine Ge-
schäftspartner der mächtigen
und vielverzweigten Alfa-
Group bereits das halbe Jahr in
London verbringen. Und nicht
zufällig hat der Kreml auch ei-
nen eigenen Ombudsmann für
Geschäftsleute eingerichtet.
WWWeil diese ihr Heil zunehmendeil diese ihr Heil zunehmend
in der Flucht suchen, ist seine
Tätigkeit spätestens mit die-
sem Jahr richtig international
geworden.
REUTERS/MAXIM SHEMETOV
Jagdauf die
Oligarchen
Attacken gegen Unternehmer in
Russland haben viele von ihnen in
den Westen getrieben. Nun werden
sie von Moskau international zur
Fahndung ausgeschriebean.
Wer sind die flüchtigen Tycoons?
BLOOMBERG/ ANDREY RUDAKOV
Moskau hat Superreiche zur Fahndung ausgeschrieben:
Dmitri Ananjew (o.l.) und Alexej Ananjew (o.r.) sowie
David Jakobaschwili (u.l.) und Sergej Petrow (u.r.)
PICTURE ALLIANCE/ DPA/ STANISLAV KRASILNIKOV PICTURE ALLIANCE/ DPA/ VLADIMIR TREFILOV