Die Welt Kompakt - 18.10.2019

(Barré) #1

2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT FREITAG,18.OKTOBER


D


ieser europäische
Gipfel endete für Bo-
ris Johnson mit einem
Sieg. Am frühen Don-
nerstagabend einigten sich die
Staats- und Regierungschefs in
Brüssel darauf, ein bis praktisch
zur letzten Minute ausgehandel-
tes Brexit-Abkommen anzuneh-
men. „Wir sind einem geregelten
Austritt Großbritanniens aus der
Europäischen Union heute einen
ganzen Schritt näher gekom-
men“, sagte Bundeskanzlerin An-
gela Merkel anschließend.

VON STEFANIE BOLZEN,
TOBIAS KAISER
UND CHRISTOPH B. SCHILTZ
AUS BRÜSSEL/LONDON

Nach den Beratungen erklärte
Johnson, es sei ein „großartiger
Abschluss“. Auf Twitter feierte
der britische Premierden neuen
Vertrag mit seinen zwei Slogans:
„Take back control“ und „Let’s
get Brexit done“. Die an Brüssel
abgegebene Souveränität zurück-

zubekommen und den Ausstieg
umsetzen – beides sind Schlacht-
rufe, die erfolgreich bei Millio-
nen Briten verfangen. Denn eine
Mehrheit im Königreich sehnt
den EU-Ausstieg entweder her-
bei oder aber will das jahrelange
Brexit-Drama beendet sehen.
Trotzdem ist Johnsons Tri-
umph nur ein vorläufiger. Am
Samstagmorgen kommt in Lon-
don das Unterhaus zusammen.
Dort lehnt nicht nur die nordiri-
sche DUP den jetzt gefundenen
neuen Kompromiss ab. Auch die
Labour-Partei, die schottischen
Nationalisten und die Liberalde-
mokraten sind dagegen.
Doch möglicherweise hat
Johnson einen überraschenden,
mächtigen Unterstützer auf sei-
ner Seite: die 27 EU-Staaten. Am
Donnerstagmittag verlautete aus
der Downing Street, dass der
Premier den Europäischen Rat
um Schützenhilfe bitten wolle.

Die Staats- und Regierungschefs
sollten eine weitere Verlänge-
rung der Brexit-Frist ausschlie-
ßen. Womit sich das britische
Parlament am Samstag in einer
Friss-oder-stirb-Situation wie-
derfinden könnte. Entweder eine
Mehrheit der Abgeordneten
stimmt dem neuen Vertrag zu –
oder es gibt am 31. Oktober einen
No Deal, den gefürchteten unge-
ordneten EU-Ausstieg.
In London sind inzwischen
viele der Meinung, dass Theresa
Mays dreimaliges Scheitern im
Unterhaus auch damit zu tun
hatte, dass die Option einer Ver-
längerung der Verhandlungen
stets auf dem Tisch lag. Die Par-
lamentarier spielten also auf
Zeit, weil sie wussten, dass sie
das jeweils vorliegende Abkom-
men ablehnen konnten – und ein

No Deal trotzdem ausgeschlos-
sen war. Ob die EU-Regierungs-
chefs (vereint im Gremium des
Europäischen Rats) sich vor
Johnsons Karren spannen lassen
würden, war allerdings nach den
Beratungen völlig unklar. „Seine
Entscheidung wird das britische
Parlament in völliger Freiheit fäl-
len“, sagte Merkel dazu. „Wir ma-
chen keinerlei Vorgaben in diese
Richtung und werden uns mit
jedweder Entscheidung wieder
befassen.“
Diplomaten in Brüssel wiesen
darauf hin, dass das vom Unter-
haus Anfang September erlasse-
ne „Benn-Gesetz“ weiter gilt. Be-
nannt nach dem Labour-Abge-
ordneten Hilary Benn, sieht die-
ses vor, dass der Premier eine
Verlängerung erfragen muss,
sollte es am 19. Oktober keinen
Deal geben. Mit diesem Schritt
hatten die Abgeordneten sicher-
stellen wollen, dass Johnson sie

Zu starker Händedruck?
JJJohnson (l.) und Junckerohnson (l.) und Juncker
albern nach den langen
VVVerhandlungen gelöst herum erhandlungen gelöst herum

S


eit Boris Johnson britischer
Premier wurde, hat er jede
AAAbstimmung verloren. Anbstimmung verloren. An
diesem Samstag steht ihm ein wei-
teres Votum bevor, das wichtiger
ist als fast jedes andere in Großbri-
tannien seit dem Zweiten Welt-
krieg. Werden sich die Abgeordne-
ten im Unterhaus für den Brexit-
Deal entscheiden, den der Konser-
vative in letzter Minute in Brüssel
verhandelt hat? Auf den ersten
Blick sind die Aussichtennicht gut.
AAAuf beiden Seiten des Hauses feh-uf beiden Seiten des Hauses feh-
len ihm Stimmen. Die nordirische
DUP streikt, die Labour-Partei will
nicht, die europafreundlichen Li-
beraldemokraten und schotti-
schen Nationalisten ebenso wenig.
Die einen fürchten um ihren Sta-
tus als Teil des Vereinigten König-
reichs, die anderen treibt politi-
sches Kalkül, die Dritten wollen
den EU-Ausstieg ganz verhindern.
Doch Johnson kann das wider-
spenstige Parlament möglicher-
weise ausspielen. Dank seiner Al-
les-oder-nichts-Taktik hat der To-
rrry-Vorsitzende mehr als eine Opti-y-Vorsitzende mehr als eine Opti-
on. In Brüssel versuchte er, seine
europäischen Amtskollegen davon
zu überzeugen, dass sie ein weite-
res Verschieben der Ausstiegsfrist
aaablehnen sollten. Das Kalkül:blehnen sollten. Das Kalkül:
WWWenn die Parlamentarier konfron-enn die Parlamentarier konfron-
tiert sind mit der Aussicht, dass sie
sich nur zwischen Johnsons Deal
und einem chaotischen Brexit ent-
scheiden können, werden sie im
letzten Moment für den geordne-
ten EU-Ausstieg stimmen.
Brüssel hat klargemacht, dass
der zweite Brexit-Vertrag der end-
gggültig letzte sei. Bei den Proeuro-ültig letzte sei. Bei den Proeuro-
päern in London werden diese
WWWorte auf Entsetzen treffen. Vieleorte auf Entsetzen treffen. Viele
hoffen noch immer, dass das Un-
terhaus im letzten Moment der
Regierung Johnson einen Strich
durch die Rechnung macht und in
einer Verlängerung den Ausstieg
doch noch verhindern kann. Wie
das geschehen soll, ist aber weiter
die Frage. Deshalb steht Johnson
so gut da. Durch sein Vorgehen hat
er sich erfolgreich zum „Mister
Brexit“ gemacht, der das Votum
vom Sommer 2016 umsetzen wird.
Fällt Johnson im Parlament
durch, muss er die Europäer um ei-
ne Verlängerung bitten. Lang wird
die nicht sein, das hat Juncker be-
reits betont. Aber sie könnte lang
genug sein für eine vorgezogene
Neuwahl. Die Konservativen ha-
ben mit Johnson gute Chancen,
diese zu gewinnen. Im Wahlkampf
kann er dann genüsslich das Nar-
rativ ausspielen, dass er einen Deal
hat, die Opposition dagegen nur
Unwägbarkeiten – und ein noch
längeres Brexit-Drama, dessen die
Briten so müde sind. Der EU-Aus-
stieg mag am Ende nicht am 31.
Oktober kommen. Aber er kommt



  • und höchst wahrscheinlich unter
    einem Premier Johnson.


KOMMENTAR


STEFANIE BOLZEN

Johnson


hat gewonnen


D


ie EU-Unterhändler und
Großbritannien haben
sich nach zähen Verhand-
lungen am Donnerstag auf einen
neuen Brexit-Vertrag geeinigt.
Die 27 verbleibenden EU-Staaten
billigten anschließend auf ihrem
Gipfel in Brüssel das modifizierte
Ausstiegsabkommen und sagten
Unterstützung für ein pünktli-
ches Inkrafttreten zum 1. Novem-
ber zu. Kanzlerin Angela Merkel
(CDU) sagte, es seien „unter dem
Strich gute Beratungen zu einem
nicht erfreulichen Ereignis“ ge-
wesen. Das Abkommen eröffne
„die Chance, auch in Zukunft en-
ge Beziehungen mit Großbritan-
nien zu haben“.Der konservative
britische Premierminister Boris

Johnson sprach von einem
Durchbruch. Unklar blieb aber,
ob er den Vertrag durch das briti-
sche Unterhaus bringt. Johnson
hat im Parlament mit seinen To-
ries keine eigene Mehrheit. Die
Abstimmung ist für Samstag vor-
gesehen. Auch das Europäische
Parlament muss noch zustim-

men. Nach tagelangen Verhand-
lungen gaben der scheidende
EU-Kommissionschef Jean-Clau-
de Juncker und Johnson die Eini-
gung am Donnerstagmittag be-
kannt. Juncker bezeichnete das
Abkommen als fair und ausbalan-
ciert. „Wo ein Wille ist, ist auch
ein Deal“, schrieb er auf Twitter.

Johnson erklärte: „Wir haben ei-
nen großartigen, neuen Brexit-
Deal.“ Großbritannien erhalte da-
mit die Kontrolle über seine Poli-
tik zurück.
Sollte eines der beiden Parla-
mente das Abkommen ablehnen,
droht ein ungeregelter Austritt
des Königreichs aus der EU. Jun-
cker schloss eine weitere Ver-
schiebung des Austrittsdatums
aus: „Es wird keine weitere Ver-
längerung geben.“ Merkel sagte
allerdings am Abend: „Wir haben
keinerlei Vorgaben in diese Rich-
tung gemacht.“ Die EU-Chefs
würden sich nach den Entschei-
dungen der Parlamente wieder
mit der Frage befassen. Der briti-
sche Oppositionsführer, Labour-

Ein neues Brexit-Abkommen


steht – aber wie lange?


In letzter Minute einigt sich der britische Premier


mit der EU doch noch auf einen Ausstiegsvertrag.
Aber ob das Unterhaus zustimmt, ist fraglich

Um ein in letzter Minute


geschmiedetes


Brexit-Abkommen


durchs Unterhaus


zu bringen, baut


der britische


Regierungschef auf


einen ungewöhnlichen


Verbündeten


Premierremierremier


setzt fürsetzt fürsetzt fürs


Finale aufinale auf


einen inen Trick

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