POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT FREITAG,18.OKTOBER2019 SEITE 4
gung berufliche Nachteile zu er-
leiden, hat unsere Demokratie
ein ernsthaftes Problem.“ Wis-
senschaftsfreiheit sei unteilbar
und müsse in jedem Fall ent-
schieden verteidigt werden. Auf
dem AfD-Parteitag im Juli 2015
war Lucke von Delegierten
ebenfalls ausgebuht und wüst
beschimpft worden. Lucke ver-
glich das Verhalten der AfD-Mit-
glieder damals mit Leipziger An-
tifa-Aktivisten, die ihn zuletzt
am Reden gehindert hätten.
„Es ist irritierend, dass die
Universitätsleitung und die
Wissenschaftssenatorin sich
nur zu einer halbherzigen Ver-
teidigung von Professor Lucke
durchringen konnten“, so Fröm-
ming weiter. Der Universitäts-
präsident Dieter Lenzen und die
Hamburger Wissenschaftssena-
torin Katharina Fegebank (Grü-
ne) hatten zuvor erklärt, dass
„Universitäten als Orte der Wis-
senschaft die diskursive Ausei-
nandersetzung auch über kon-
troverse gesellschaftliche Sach-
verhalte und Positionen führen
und aushalten müssen – insbe-
sondere vor dem Hintergrund
der deutschen Geschichte“.
AAAuch Lucke selbst kritisiert dasuch Lucke selbst kritisiert das
Statement von Lenzen und Fe-
gebank. „Was die Universität da
mitgeteilt hat, ist an Absurdität
nicht zu überbieten“, sagte er zu
Gabor Steingart im „Morning
Briefing“-Podcast. Es sei „ein
Schlag ins Gesicht für alle“, dass
die Ausschreitungen in der Er-
klärung mit keinem einzigen
WWWort verurteilt würden. Einort verurteilt würden. Ein
„Mob“ habe im Hörsaal jeden
niedergeschrien, der etwas habe
sagen wollen.
AAAuch die FDP sprach von er-uch die FDP sprach von er-
schreckenden Szenen. „Univer-
sitäten leben von einer freien
Debattenkultur über die großen
Fragen unserer Zeit. Wer andere
Menschen niederschreit und
handgreiflich wird, legt die Axt
an die Wissenschafts- und Mei-
nungsfreiheit“, sagte Jens Bran-
denburg, hochschulpolitischer
Sprecher der FDP-Bundestags-
fffraktion. Es sei inakzeptabel,raktion. Es sei inakzeptabel,
„„„wie die Proteste in Hamburgwie die Proteste in Hamburg
ausgeartet sind“, so Branden-
burg weiter. „Nachhilfe in De-
mokratie braucht es an allen
Rändern des politischen Spek-
trums.“
Dagegen empfiehlt die Linke-
AAAbgeordnete Nicole Gohlke Lu-bgeordnete Nicole Gohlke Lu-
cke, den Studenten eine Ausei-
nandersetzung über die AfD und
seine Rolle anzubieten. Er habe
mit der Parteigründung „den
Grundstein für eine Partei ge-
legt, die jetzt die größte Gefahr
fffür Demokratie und ein friedli-ür Demokratie und ein friedli-
ches Zusammenleben darstellt“,
so die hochschulpolitische Spre-
cherin der Linksfraktion. „Wenn
er erwartet, in den Lehrbetrieb
zurückkehren zu können, als wä-
re nichts geschehen, bezeugt er
damit ein weiteres Mal seine
eklatante politische Instinktlo-
sigkeit.“
Kai Gehring, hochschulpoliti-
scher Sprecher der Grünen im
Bundestag, zeigte sich nicht
überrascht über die Auseinan-
dersetzung im Hörsaal. „Es ver-
wwwundert nicht, dass die Rück-undert nicht, dass die Rück-
kehr von Bernd Lucke Studie-
rende emotionalisiert, denn er
hat die Radikalisierung der heu-
te rechtsextremen AfD unwider-
sprochen begleitet.“ Die Wissen-
schaftsfreiheit dürfe „für keinen
Professor Freibrief für rechtsex-
tremes Gedankengut sein“, da
auch an der Universität alle Ver-
fffassungswerte gälten. Gehringassungswerte gälten. Gehring
übt jedoch auch Kritik an den
Studenten: „Die Hochschulen
sind Orte der Wissenschaft, die
diskursive Auseinandersetzun-
gen aushalten müssen – gerade
auch über kontroverse Positio-
nen und angesichts unserer
deutschen Geschichte. Bei aller
Emotionalität muss der eine
oder die andere lernen, mitei-
nander zu streiten, dazu gehört
auch, sich gegenseitig zuzuhö-
ren.“
AAAuch Spitzenvertreter deruch Spitzenvertreter der
Hochschulverbände zeigten sich
besorgt: „Hochschulen leben
vom offenen Diskurs. Diesen
AAAustausch zu verhindern ist derustausch zu verhindern ist der
fffalsche Weg“, sagte der Präsi-alsche Weg“, sagte der Präsi-
dent der Hochschulrektoren-
konferenz, Peter-André Alt,
WELT. „Wir müssen aushalten,
dass auch Positionen vertreten
werden, die wir selbst kritisch
sehen.“ Bernhard Kempen, Prä-
sident des Deutschen Hoch-
schulverbandes, erwartet von
der Hamburger Hochschullei-
tung, „dass sie sich schützend
vor einen Hochschullehrer ihrer
Universität stellt, dessen Frei-
heit der Lehre gestern massiv
verletzt wurde“. Im April hatte
der Hochschulverband vor Ein-
schränkungen der Meinungsfrei-
heit an Universitäten gewarnt.
„Die Toleranz gegenüber ande-
ren Meinungen sinkt. Das hat
auch Auswirkungen auf die De-
battenkultur an Universitäten“,
sagte Kempen damals.
Der Verband „freier zusam-
menschluss von student*innen-
schaften“ (fzs) sieht das anders.
„Einzig die Student*innen kon-
fffrontieren Lucke wirkungsvollrontieren Lucke wirkungsvoll
mit seinem Handeln. Im Detail
mag ihr Vorgehen kontrovers
sein, insgesamt ist es aber not-
wendig im Kampf gegen die Nor-
malisierung rechter Positionen“,
sagte Verbandschef Jacob Büh-
ler. Die von Lucke gegründete
AAAfD habe sich „nicht durch Zu-fD habe sich „nicht durch Zu-
fffall zur größten rechtsradikalenall zur größten rechtsradikalen
Partei der Nachkriegszeit“ ent-
wickeln können. „Er trägt also
die Mitverantwortung für den
Erfolg einer Partei, die eine tat-
sächliche Gefahr für Wissen-
schafts- und Meinungsfreiheit
darstellt, muss deswegen aber
nicht mit ernsthaften Konse-
quenzen rechnen.“
Bernd Lucke war nach der
AAAfD-Parteigründung im AprilfD-Parteigründung im April
2 013 einer von drei Bundesspre-
chern. Im Juli 2015 wurde Frauke
Petry zur neuen Vorsitzenden
gewählt, Lucke trat daraufhin
aus der Partei aus und warnte
vor „islamfeindlichen und aus-
länderfeindlichen Ansichten“.
Er habe zu spät erkannt, dass
immer mehr Mitglieder die AfD
„zu einer Protest- und Wutbür-
gerpartei umgestalten wollen“,
sagte der Ökonom damals. Nach
seinem Austritt gründete er die
Kleinpartei Liberal-Konservati-
ve Reformer. Während seiner
Mitgliedschaft in der AfD wur-
den auch viele seiner Aussagen
kritisiert. So sprach Lucke am
AAAbend der Bundestagswahl 2013bend der Bundestagswahl 2013
von „Entartungen von Demo-
kratie und Parlamentarismus“.
Im Wahlkampf hatte er zuvor
Hartz IV beziehende Migranten
als „sozialen Bodensatz“ be-
zeichnet.
CSU-Politikerin WELT. Doch
auch zu kontroversen Themen
müsse eine konstruktive Ausei-
nandersetzung möglich sein.
„Ich bedauere es sehr, dass dies
im aktuellen Fall nicht möglich
war. Die Wissenschafts- und
Meinungsfreiheit ist eines der
höchsten Güter unserer Demo-
kratie, die es zu respektieren
und zu verteidigen gilt.“
Die stellvertretende SPD-
Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas
äußerte sich zurückhaltend:
„„„Wissenschafts- und Meinungs-Wissenschafts- und Meinungs-
fffreiheit bedeutet nicht, dass Stu-reiheit bedeutet nicht, dass Stu-
dierende kritiklos sein müssen.
Ich wünsche mir Studierende,
die ihre Professorinnen und Pro-
fffessoren auch kritisch hinterfra-essoren auch kritisch hinterfra-
gen.“ Dies gelte auch für eine
„kritische Auseinandersetzung“
mit den Positionen und der Rol-
le Luckes in der AfD.
Scharfe Kritik am Verhalten
der Hamburger Studenten
kommt von Luckes ehemaligen
Parteifreunden. Götz Fröm-
ming, Parlamentarischer Ge-
schäftsführer und forschungspo-
litischer Sprecher der AfD-Bun-
destagsfraktion, sagte: „Die Ver-
hinderung der Vorlesung durch
linksextreme Störer ist ein Skan-
dal. Wenn Professoren, Lehrer
und Beamte befürchten müssen,
nach einer politischen Betäti-
D
er tumultartige Pro-
test gegen eine Vor-
lesung des AfD-
Gründers Bernd Lu-
cke an der Hamburger Universi-
tät stößt überwiegend auf Kritik
in der Politik und bei Hoch-
schulverbänden. Verständnis
zeigten hingegen die Linke so-
wie Studentenvertreter.
VON FREDERIK SCHINDLER
Lucke war am Mittwoch nach
fffünf Jahren Pause als Professorünf Jahren Pause als Professor
fffür Makroökonomie an die Uni-ür Makroökonomie an die Uni-
versität zurückgekehrt, Hunder-
te Studenten verhinderten seine
erste Vorlesung mit lautstarken
Zwischenrufen. Lucke wurde zu-
dem als „Nazischwein“ bezeich-
net und von einem Studenten
geschubst.
Bundesforschungsministerin
Anja Karliczek kritisierte das
VVVerhalten der Studenten underhalten der Studenten und
stellte klar, dass Hochschulen
„Orte der freien Debatte“ sein
müssten. „Das Ringen um Posi-
tionen und das Hinterfragen von
Thesen ist ein Wesenskern von
Wissenschaft“, so die CDU-Poli-
tikerin. Dazu gehöre es auch,
Meinungen auszuhalten, die
man selbst ablehnt. „Debatten
von vornherein zu unterdrücken
widerspricht der Meinungs- und
Wissenschaftsfreiheit und ist
auch kein wirksames Mittel ge-
gen Populismus.“
Katrin Staffler, zuständige Be-
richterstatterin der Unionsfrak-
tion, rief zur Verteidigung der
Meinungsfreiheit auf. Die Aktio-
nen der Studenten seien „nicht
im Sinne der Freiheit von For-
schung und Lehre, wie sie in un-
serem Grundgesetz verankert
ist“. Lucke müsse sich zwar den
VVVorwurf gefallen lassen, „dass erorwurf gefallen lassen, „dass er
zum Erstarken der AfD maßgeb-
lich beigetragen hat“, sagte die
VVVon Polizisten umgeben: Nachon Polizisten umgeben: Nach
seiner verhinderten Antritts-
vorlesung an der Universität
Hamburg steht Bernd Lucke
auf dem Campus
DPA
/ MARKUS SCHOLZ
„Es braucht
Nachhilfe in
Demokratie“
Der Krawall in
einer Vorlesung
des AfD-Gründers
Bernd Lucke löst
Streit über die
Debattenkultur an
den Hochschulen
im Land aus