DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT FREITAG, 18. OKTOBER 2019 POLITIK 7
warten. Bei 631 abgegebenen
Stimmen votierten 498 Abgeord-
nete für die Empfehlung des Ver-
kehrsausschusses, den Antrag ab-
zulehnen. Für den Grünen-Antrag
positionierten sich 126 Abgeord-
nete, sieben enthielten sich.
SPD-Verkehrsexpertin Kirsten
Lühmann machte einen Zwie-
spalt ihrer Partei klar. Tempo 130
bringe weniger Tote, weniger
Schwerverletzte, weniger klima-
schädliches Kohlendioxid (CO2),
zählte sie als letzte Rednerin der
Debatte auf. Es sei aber trauri-
gerweise nicht gelungen, die
Partner der Union zu einem
Kurswechsel zu bringen. Wenn
also der Großteil ihrer Fraktion
dagegen stimme, dann nicht aus
inhaltlichen Gründen, „sondern
allein aus Vertragstreue zu dieser
Koalition.“
Redner von CDU, CSU, FDP und
AAAfD wiesen ein Tempolimit dage-fD wiesen ein Tempolimit dage-
gen vehement zurück. Der CDU-
AAAbgeordnete Gero Storjohann ver-bgeordnete Gero Storjohann ver-
wies unter anderem auf eine dann
nötige „Totalüberwachung unserer
AAAutobahnen“, um die Begrenzungutobahnen“, um die Begrenzung
zu kontrollieren. Auch Karl Hol-
meier (CSU) wandte sich gegen
diese „ideologische Forderung“.
FDP-Verkehrsexperte Oliver Luk-
sic warnte vor einer Bevormun-
dung der Bürger. Die Autobahnen
seien die sichersten Straßen, das
Problem beim Unfallrisiko seien
die Landstraßen. Der AfD-Ver-
kehrspolitiker Dirk Spaniel warf
den Grünen eine „massive Kampa-
gne gegen den Autofahrer“ vor.
Einer aktuellen Umfrage zufol-
ge ist mehr als die Hälfte der
Deutschen für ein Limit auf Auto-
bahnen. 56,5 Prozent der Befrag-
ten sprachen sich dafür aus, wie
eine YouGov-Online-Umfrage im
Auftrag der Online-Autobörse
mobile.de ergab. 16,8 Prozent
lehnten dies ab. Die Bundesregie-
rung hatte einem Tempolimit
kürzlich bereits eine Absage er-
teilt. Minister Scheuer hörte der
Debatte zu, griff aber nicht ein.
SPD-Verkehrsexpertin Lühmann
kündigte an, dass das Thema mit
der jetzigen Abstimmung „garan-
tiert“ nicht abgeschlossen sei.
Wenn im nächsten Jahr ein Ver-
kehrssicherheitsprogramm zu be-
schließen ist, werde die SPD es
wieder aufs Tapet heben.
In Mecklenburg-Vorpommern ist an der Autobahn 24 Tempo 130
schon Realität
DPA
/ JENS BÜTTNER
geleuchtet vor einem extra ange-
fertigten collageartigen Kunst-
werk, das politische und weniger
politische Botschaften vereint,
und wirft seine schwarzen Um-
risse neben das kleine Bild des
CSU-Übervaters.
Der Künstler hat ein Foto von
Strauß gewählt, das diesen als re-
lativ jungen Mann zeigt, lange
bevor er Kanzlerkandidat der
Union werden sollte und viel-
leicht auch wollte. Markus Söder
will derzeit ebenfalls nicht Kanz-
lerkandidat werden. Sagt er zu-
mindest. Zwei Mal habe die CSU
Kanzler werden wollen, führt er
in seiner Rede aus und ergänzt
schmunzelnd: „Keine Sorge – es
bleibt bei zwei.“ CDU-Chefin An-
negret Kramp-Karrenbauer ist
ebenfalls anwesend.
Dieses Versprechen ist freilich
so absurd, dass es als Gelöbnis
verstanden werden muss, sich
nicht daran zu halten. Die CSU
hat in den 70 Jahren im Parla-
ment ja viel erreicht, ihre Minis-
ter, Staatssekretäre, Parlamenta-
rier haben manches Mal Ge-
schichte geschrieben, aber ein
Ziel bleibt: den Kanzler stellen.
Söder hat trotzdem keine Ambi-
tionen. Sagt er. Er könne ja nichts
dafür, dass er darauf angespro-
chen werde, entschuldigt er sich
bisweilen. Doch am CSU-Jubilä-
umsabend fragte ihn gar nie-
mand danach. Und auch nicht am
vergangenen Freitag in Saarbrü-
cken. Da sprach Söder vor dem
Deutschlandtag der Jungen Uni-
on. „Ich habe lange dafür gear-
beitet und habe meinen Traum-
job gefunden“, rief er den Dele-
gierten zu. Gemeint war natür-
lich der des bayerischen Minis-
terpräsidenten. Warum sagte er
das? Weil der Auftritt verschiede-
ner Unionspolitiker von Jens
Spahnüber Friedrich Merz und
Armin Laschet, von Söder bis zu
Annegret Kramp-Karrenbauer als
Schaulaufen für die Kanzlerkan-
didatur beschrieben wurde. Sö-
der wollte also Demut zeigen –
und schaffte es doch nur, damit
weitere Spekulationen anzuhei-
zen. Er kokettiert inzwischen zu
oft mit dem Amt, das er angeb-
lich nicht will.
Mitglieder des bayerischen Ka-
binetts erzählen, dass sie Söder
ebenfalls offensiv mit der Frage
konfrontieren, ob er denn nicht
doch vielleicht mal Kanzler wer-
den wolle. Darüber wird also
nicht nur hinter Söders Rücken
geredet. Er wiegelt dann ab, sein
Platz sei in Bayern. Doch wie lan-
ge gilt das?
Söder ist der Auffassung, dass
Kanzlerkandidat nur werden soll,
wer zum Zeitpunkt, da die Wahl
ansteht, die Menschen bestmög-
lich erreichen könne. Funktionen
in Parteien hält er für zweitran-
gig. Söders Beliebtheitswerte ha-
ben stark zugelegt, Kramp-Kar-
renbauers sind seit Monaten im
Sinkflug.
Die CSU will bei der Kandida-
tenauswahl mehr als ein Wört-
chen mitreden, das hat Söder im-
mer betont. Deshalb hält er auch
nichts von Urwahl-Ideen, wie es
sie in der CDU gibt. Zwar gibt es
einen entsprechenden Antrag
auch auf dem CSU-Parteitag, der
am Freitag und Samstag in Mün-
chen stattfindet, doch werden
ihm keine Chancen eingeräumt.
Der Prozess der Kandidaten-
findung soll einvernehmlich und
auf Augenhöhe mit der CDU
stattfinden. Die CSU unter Söder
will keinen Kandidaten abnicken,
der ihr von der Schwesterpartei
präsentiert wird. Und wahr ist si-
cher: Auch in der CDU könnten
sich immer mehr Leute vorstel-
len, mit Söder in eine Bundes-
tagswahl zu ziehen. „Er tut et-
was, was wir bei anderen vermis-
sen: Er führt“, sagt ein Mitglied
der Unionsfraktion im Bundes-
tag. Es hat Eindruck gemacht,
wie er seine CSU thematisch po-
sitioniert hat. Auch weil er dabei
den Mut aufbrachte, gegen nicht
wenige Gruppen in der eigenen
Partei zu handeln.
Mit der Annahme des Volksbe-
gehrens Artenschutzhat er die
Stammklientel der Bauern ver-
prellt. Danach hat er ein Klima-
schutzkonzept erarbeitet, das
vielen CSUlern viel zu grün gera-
ten ist.
Dann, nachdem die Bundesre-
gierung ein Klimapaket beschlos-
sen hatte, in dem zwar die
Schlüsselrolle der Forschung be-
tont wird, aber trotzdem wenig
Konkretes für die Forschenden
herausspringt, legte Söder für
Bayern eine zwei Milliarden Euro
schwere Innovationsinitiative
vor. Sie mutet wie eine Reaktion
auf die Verzagtheit Berlins in die-
sem Bereich an. Allein 100 Lehr-
stühle für künstliche Intelligenz
will er begründen, das soll sogar
der Kanzlerin Respekt abgenö-
tigt haben.
Auch für diesen Plan gab es
aber Kritik aus den eigenen Rei-
hen. Denn um investieren zu
können, gibt er das seit Edmund
Stoiber sakrosankte Ziel auf, bis
2030 alle Schulden Bayerns abzu-
bezahlen. Das wäre ungefähr so,
als würde die CDU sich von der
schwarzen Null verabschieden.
Doch Söder will nicht Fels in der
Brandung sein, wenn der Boden,
auf dem er steht, schon am Ver-
sanden ist.
Deshalb soll auf dem Parteitag
jetzt auch eine Parteireform ver-
abschiedet werden, die die CSU
strukturell umkrempelt, sie zur
Quotenpartei macht. Frauenquo-
ten werden in allen Gremien vor-
geschrieben, die Parität ist das
Ziel. Auch dem gingen heftige
Debatten voraus. Die Junge Uni-
on wollte sogar die zehn Jahre al-
te 40-Prozent-Quote abschaffen.
Nun akzeptiert sie deren Auswei-
tung und bekommt dafür einen
Posten für Jüngere in den Vor-
ständen auf den verschiedenen
Ebenen.
Söder hat seiner Partei im zu-
rückliegenden Jahr seit der Land-
tagswahl also einiges abverlangt;
verglichen damit hat Kramp-Kar-
renbauer geradezu versucht, die
CDU zu streicheln. Und dennoch
oder deswegen hat Söder heute
anders als die CDU-Chefin keine
Personaldebatte am Hals. Er
kann mit einem besseren Ergeb-
nis bei der Wahl zum Parteichef
rechnen als im Januar. Das ist es,
was die Union unter „Führen“
versteht und was auch CDU-Leu-
te beeindruckt.
Manchem fällt auf, dass Söder
weit häufiger in Berlin präsent
ist, als seine echte oder gespielte
Berlin-Aversion erwarten ließ.
Selbst in der Unionsfraktion
taucht er oft auf, zuletzt am
Dienstagnachmittag. „Locker“
sei sein Auftritt gewesen, wird
berichtet. „Lässig“, sagt ein an-
derer. Solche Beschreibungen
gab es bei Terminen des früheren
Chefs Horst Seehoferin glei-
chem Rahmen nie.
Der kam nur in die Fraktion,
wenn es erheblichen Klärungsbe-
darf gab, wenn Krise war – und
die war seit 2015 eigentlich im-
mer. Genau dies hat Söder abge-
stellt. Er verbreitet gute Laune,
er erklärt die Krisen des vergan-
genen Jahres zum Kapitalfehler
und lässt keinen Spalt mehr zwi-
schen CDU und CSU entstehen.
Schon jetzt heißt es aus der CSU-
Zentrale, er werde Kramp-Kar-
renbauer bei ihrem Gastauftritt
am Samstag in München einen
„noch nie da gewesenen Emp-
fang“ bereiten. Söder will die hef-
tig kritisierte CDU-Vorsitzende
stützen, will ihr helfen, heißt es
aus seinem Umfeld. So viel Gene-
rosität muss man sich auch leis-
ten können. Söders wachsende
Stärke in der Union kann Kramp-
Karrenbauers Schwäche werden.
So muss Söder wohl vor allem
aufpassen, dass er es mit seinen
Beteuerungen, keinesfalls Kanz-
lerkandidat werden zu wollen,
nicht übertreibt. Es könnte
manchen erst auf die Idee brin-
gen, ihn dazu zu drängen. Dass
er mit Verweis auf „seinen
Traumjob“ in Bayern abwinken
kann, ist schwer vorstellbar.
Erst dann stünde er ja wirklich
an der Seite, wenn nicht über
seinem Vorbild Franz Josef
Strauß. Und das nicht nur für die
Dauer einer Rede.
Der CSU-Vorsitzen-
de Markus Söder
und seine Frau
Karin Baumüller-
Söder sitzen beim
Oktoberfest
in einer Kutsche