Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
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Meinung
Deutsche Städte müssen
kinderfreundlicher
werden 4

Panorama
Gar nicht „lol“: Die Wahl
zum Jugendwort des Jahres
fällt bis auf Weiteres aus 10

Spezial


Vincent van Gogh wollte mit seiner
Malerei eine Antwort auf die
Komplexität der Welt geben 15

Wirtschaft
Viele Banken kündigen lukrative
Sparverträge. Was Kunden
tun sollten 24

Medien
Der Einfluss russischer Propaganda:
neun Lageberichte aus Ost- und
Zentraleuropa 31

TV-/Radioprogramm 32
Forum & Leserbriefe 21
München · Bayern 36
Rätsel 12
Traueranzeigen 26

HEUTE


Karlsruhe– Kunden können sich mit dem
Kauf ihrer Sonntagssemmeln künftig Zeit
lassen. Bäckereien dürfen sie nach einem
Urteil des Bundesgerichtshofs auch außer-
halb der vorgeschriebenen Öffnungszei-
ten bedienen – allerdings nur in Filialen, in
denen der Thekenverkauf mit einem Café
kombiniert ist.dpa  Wirtschaft

Berlin– Ein Vorstoß der Grünen für ein
Tempolimit auf Autobahnen ist im Bundes-
tag gescheitert. In einer Abstimmung vo-
tierten 498 Abgeordnete für die Empfeh-
lung des Verkehrsausschusses, den Antrag
abzulehnen. Für den Antrag positionierten
sich 126 Abgeordnete, sieben enthielten
sich. dpa  Seite 4, Wirtschaft

Die Idee ist charmant. Würde sie umge-
setzt, könnten sich Millionen Zuckerkran-
ke den lästigen Piks in die Fingerkuppe
sparen. Statt sich täglich stechen zu müs-
sen, könnten Diabetiker die Höhe ihres
Blutzuckers buchstäblich von der eige-
nen Haut ablesen. Dazu wäre lediglich ein
spezielles Tattoo nötig: Geht es nach For-
schern der Technischen Universität Mün-
chen, ließen sich Schwankungen des Blut-
zuckers dann an der Färbung von Tattoos
erkennen. Dazu würden mit bunter Tinte
Biosensoren in die Körperoberfläche ein-
gebracht. Die Motive sind flexibel – Tri-
bals eignen sich dazu ebenso wie ewige
Treueschwüre oder die Klassiker Anker
und Rose.
„Die von uns mitentwickelten Hautsen-
soren könnten breite Anwendung in der
medizinischen Diagnostik finden“, schrei-
ben Ali Yetisen und sein Team vom Insti-
tut für Messsystem- und Sensortechnik
an der TU München. Kürzlich haben sie

die Methode im FachmagazinAngewand-
te Chemieerläutert. Diverse Farbstoffe,
von den Forschern „minimal-invasiv“ in
die Haut geritzt, wurden getestet. Einige
der Farbmischungen verändern sich bei-
spielsweise abhängig vom pH-Wert und
können auf diese Weise Schwankungen
zwischen basisch und sauer anzeigen.
Der Zuckersensor, der aus den Substan-
zen Glukoseoxidase, Tetramethylbenzi-
din und Peroxidase besteht, schlägt von
Dunkelgrün in Hellgelb um, wenn der Glu-
kosespiegel in den Unterzucker abzuglei-
ten droht.
Aber: Noch sind die Diagnose-Tattoos
nicht reif für Patienten, das wissen auch
die Forscher um Yetisen. Bisher wurde
nur an Schweinehaut getestet. „Die Idee

ist klasse, der Weg zur klinischen Anwen-
dung aber wohl weit“, sagt Martin Rein-
cke, Diabetes-Experte an der Ludwig-Ma-
ximilians-Universität München. „Die heu-
te bei vielen Diabetikern eingesetzten Sen-
sorsysteme haben mehr als 20 Jahre ge-
braucht, bis sie alltagstauglich waren, ver-
mutlich benötigen Tattoo-Sensoren ähn-
lich lange.“ Schon heute tragen Diabeti-
ker, die sich nicht täglich piksen wollen,
kleine Blutzucker-Sensoren in der Unter-
haut von Schulter oder Oberarm. Die mel-
den regelmäßig die Blutzucker-Konzen-
tration zurück; manche sind mit einer
tragbaren Insulinpumpe verbunden, die
dann die erforderliche Dosis abgibt.
„Wenn die Tattoo-Sensoren irgend-
wann für Patienten etwas taugen sollen,

müssen sie besonders in den niedrigen
Blutzucker-Bereichen zuverlässig mes-
sen“, sagt Felix Beuschlein, Diabetes-Ex-
perte am Unispital Zürich. „Lediglich ‚zu
hoch‘ oder ‚zu niedrig‘ anzuzeigen, wäre
zu ungenau.“ Schließlich kann es gefähr-
lich werden, wenn Patienten plötzlich in
den Unterzucker geraten, dann muss der
Diabetiker oder seine Umgebung direkt
gegensteuern.
Bleibt also noch genügend Arbeit für
Ärzte und Sensortechniker, die um die bis-
herige Schwäche der Technik wissen und
daher vorschlagen, eine Vergleichsskala
für verschiedene Hauttypen und Lichtein-
flüsse mitzuliefern. Das schmälert aller-
dings die Freude an der coolen Idee vom
Tattoo als dezentem Diagnose-Helfer:
Wer will schon neben das Herz mit dem
Namen der Liebsten oder über das florale
Ornament eine Farbpalette anlegen müs-
sen, um dann entspannt den Alltag genie-
ßen zu können? werner bartens

von karoline meta beisel,
cathrin kahlweit
und matthias kolb

London/Brüssel – Großbritannien und
die Europäische Union haben einen Aus-
trittsvertrag ausgehandelt – und können
doch nicht sicher sein, dass er ratifiziert
wird. In einem letzten Kraftakt nach Tagen
intensiver Verhandlungen hatten Teams
aus Brüssel und London am Donnerstag
wenige Stunden vor Beginn des EU-Gip-
fels letzte Streitpunkte ausgeräumt. Am
Morgen twitterte Boris Johnson dann:
„Wir haben einen großartigen neuen Deal.
Nun sollte das Parlament am Samstag für
den Brexit stimmen.“ Der scheidende Präsi-
dent der EU-Kommission, Jean-Claude
Juncker, schrieb: „Wo ein Wille ist, ist auch
ein Deal – wir haben einen.“
Wenig später hielt EU-Chefunterhänd-
ler Michel Barnier eine Pressekonferenz in
Brüssel, auf der er bestätigte, was Johnson
verkündet hatte: Vor allem die kritischen
Fragen rund um eine Lösung für Nordir-
land seien geklärt worden. So werde eine
harte Grenze auf der irischen Insel verhin-
dert, die den Frieden in der ehemaligen
Bürgerkriegsregion gefährden würde.
Auch die bis zuletzt umstrittenen Zoll-
fragen sowie ungeklärte Fragen bei der
Mehrwertsteuer in Irland wurden gelöst.
Zudem habe Großbritannien zugesichert,
sich auch in Zukunft an den in der EU gel-
tenden Standards bei Verbraucherschutz
und Produktstandards zu orientieren.
Juncker sagte am Nachmittag eine Stun-
de vor Beginn des EU-Gipfels: „Ich freue
mich über den Deal, aber ich bin traurig
über den Brexit.“ Bei einem Auftritt mit
Johnson äußerte Juncker die Hoffnung,
dass eine Verschiebung des bislang vor-
gesehenen Austrittsdatums 31. Oktober
„nicht nötig“ sein werde. Dafür müssten

aber das Europaparlament ebenso wie das
Unterhaus in London der Einigung zustim-
men. Er kündigte an, dass die EU direkt
nach Verabschiedung des Deals mit Lon-
don über die künftigen Beziehungen ver-
handeln wolle. Dem Vernehmen nach soll
Barnier die Gespräche für die EU führen.
Johnson nannte die Einigung „fair und
vernünftig“ und forderte die Abgeordne-
ten in London auf, in der Sondersitzung
am Samstag mit „Ja“ zu votieren. Aller-
dings könnte es mit der Zustimmung für
den Vertrag im Unterhaus sehr knapp wer-
den. Der letzte Deal, den Johnsons Vorgän-
gerin Theresa May mit Brüssel ausgehan-
delt hatte, war im britischen Parlament auf
breite Ablehnung gestoßen, und auch jetzt
ist es durchaus möglich, dass ein paar Stim-
men fehlen könnten. Der Premier hat versi-
chert, er werde, sollte der Deal nicht durch-

gehen, in Brüssel nicht um eine weitere
Verschiebung des Austrittsdatums bitten.
Nach jetziger Planung tritt Großbritannien
am 31. Oktober aus der EU aus. Allerdings
steht der Ankündigung des britischen Pre-
miers ein Gesetz entgegen, mit dem die
Unterhaus-Abgeordneten Johnson zwin-
gen können, eine Verschiebung zu beantra-
gen. Downing Street weigerte sich, dazu
Stellung zu nehmen. Aus Brüssel verlaute-
te derweil, sollte das Unterhaus Nein sagen
und etwa eine Verlängerung oder ein Refe-
rendum beschließen, werde es an den
EU-27 sein, diese zu gewähren. Es sei da-
von auszugehen, dass dies, trotz Junckers
Einlassung, positiv beschieden würde.
Johnson hatte am Donnerstagmorgen
überraschend einen Deal verkündet, ob-
wohl er die nordirische DUP nicht hatte
überzeugen können; damit fehlen ihm im

Unterhaus zehn Stimmen. Die DUP hatte
erklärt, das ausgehandelte Nordirland-Pro-
tokoll schade der Wirtschaft und beschädi-
ge das Karfreitagsabkommen; deshalb leh-
ne man den Deal ab. Offenbar hatte sich
der Premier entschieden, die Verhandlun-
gen mit Brüssel trotzdem für beendet zu er-
klären. Zahlreiche Brexit-kritische Abge-
ordnete haben mittlerweile angekündigt,
sie würden mit Ja stimmen, um das leidige
Kapitel zu beenden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
war die Erleichterung über den Durch-
bruch bei ihrer Ankunft beim EU-Gipfel in
Brüssel anzusehen. Bei dem Treffen stün-
den viele Themen auf der Agenda, die
„Nachricht des Tages“ sei aber, dass es ge-
lungen sei, ein Abkommen abzuschließen.
Das würde zwar noch geprüft, „aber natür-
lich kennen wir weite Teile dieses Abkom-
mens schon“, sagte sie am Nachmittag in
Brüssel. Die EU habe gezeigt, „dass die 27
zusammenbleiben“. Dass auch Irland mit
der Lösung zufrieden sei, „ist für mich ein
ganz glückliches Zeichen“.
Auch andere Staats- und Regierungs-
chefs wie der irische Taoiseach Leo Varad-
kar oder Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron lobten das Abkommen. Es gab
aber auch zurückhaltendere Reaktionen:
Er freue sich zwar, dass es einen Deal gebe,
„aber das ist nicht das erste Mal“, warnte
der luxemburgische Regierungschef Xa-
vier Bettel mit Verweis auf frühere Deals,
die dann im britischen Parlament geschei-
tert waren.
Nach den Beratungen über den Brexit
wollten die Staats- und Regierungschefs
am Abend außerdem auch über den türki-
schen Angriff auf Syrien und die Aufnah-
me von Beitrittsgesprächen mit Nordmaze-
donien und Albanien diskutieren, die
derzeit vor allem Frankreich von blockiert
werden.  Seiten 2 und 4

Istanbul– US-Vizepräsident Mike Pence
hat am Donnerstag in Ankara versucht,
den türkischen Präsidenten Recep Tayyip
Erdoğan zu einer Waffenruhe in Nordsyri-
en zu drängen. Erdoğan hat eine Verständi-
gung mit der Kurdenmiliz YPG, gegen die
sich die türkische Offensive richtet, bis-
lang kategorisch ausgeschlossen. Vor dem
Gespräch mit Pence war ein Brief von US-
Präsident Donald Trump bekannt gewor-
den. Darin hatte Trump schon am 9. Okto-
ber, dem ersten Tag der türkischen Offensi-
ve, Erdoğan gewarnt, er solle „kein Narr“
sein und den Einmarsch in Syrien lieber
sein lassen. csc  Seiten 4 und 7

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Um die Welt zu entdecken, nehmen Men-
schen einiges in Kauf. Sie fahren wie Gun-
ther Holtorf900 000 Kilometer in einem
engen Geländewagenoder sie probieren
der lokalen Esskultur wegen eineStink-
frucht, die nicht umsonst so heißt. Aber
auch die Menschen am Zielort nehmen eini-
ges auf sich – so haben unsdrei Con-
ciergeserzählt, was sie im Umgang mit
anspruchsvollen Gästen hinnehmen und
was nicht.Weit hinaus – ein Reiseheft.
Liegt nicht der gesamten Auslandsauflage bei

Warnung auf der Haut


Forscher entwickeln Tattoo-Tinte, die sich bei Unterzucker verfärbt


Bundestag lehnt Vorstoß


für Tempolimit ab


„Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal“


EU-Kommissionspräsident Juncker und Großbritanniens Premier Johnson verkünden auf dem


EU-Gipfel einen neuen Brexit-Vertrag. Doch der droht im britischen Parlament zu scheitern


Krisentreffen


in Ankara


Pence will Erdoğan von
Waffenruhe überzeugen

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21 °/6°


LERNEN


Hand drauf: Nach Tagen intensiver Verhandlungen konnten der britische Premier Boris Johnson und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Donnerstag endlich
eine Einigung im Brexit-Streit verkünden. Besiegelt ist der Austritt des Königreichs damit allerdings nicht. FOTO: YVES HERMAN UND FRANCOIS LENOIR / REUTERS, KENZO TRIBOUILLARD / AFP

FOTO: THE ISRAEL MUSEUM

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März April Mai Juni Juli Aug Sep Okt

Schwankende Stimmung, schwankende Währung


Angaben in Euro je britische Pfund


  1. April
    Weitere Verschiebung
    des Brexit-Termins
    24. Mai
    Premierministerin
    Theresa May kündigt
    Rücktritt an
    24. Mai
    Premierministerin
    Theresa May kündigt
    Rücktritt an 24. Juli
    Boris Johnson wird
    Premierminister
    24. Juli
    Boris Johnson wird
    Premierminister
    17. Oktober
    EU-Gipfel
    in Brüssel
    17. Oktober
    EU-Gipfel
    in Brüssel


SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

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Wie konservativ ist die CSU noch? Parteichef Söder im InterviewBayern


(SZ) Dass Faulheit ganz natürlich ist, deu-
tet sich schon im 1. Newtonschen Gesetz
an. „Ein Körper verharrt im Zustand der
Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen
Bewegung, sofern er nicht durch einwir-
kende Kräfte zur Änderung seines Zustan-
des gezwungen wird.“ Klingt technisch, ist
aber weise. Wie gern hätte man solch einen
Körper, der im Zustand der Ruhe verharrt.
Leider ist seit dem 17. Jahrhundert einiges
passiert, was die Gesetzmäßigkeiten der
Trägheit betrifft. Kaum erwacht man, und
mag es noch so früh am Morgen sein, wird
man durch einwirkende Kräfte zur Ände-
rung seines Dämmerzustandes gezwun-
gen. Als vielleicht impertinenteste Kraft
wäre hier der Müllberg an E-Mails zu nen-
nen, der gelöscht und beantwortet werden
muss, damit die Absender ja nicht in ihrer
gleichförmig geradlinigen Bewegung ge-
stört werden. Eine nicht minder starke
Kraft wäre der von Aggression gepflasterte
Arbeitsweg, der im Grunde ein Videospiel
ist. Ampel rot, Ampel grün, SUV geschnit-
ten, juhu, selbstwirksames Hupen, Ziel er-
reicht, Score: 3000 Punkte. Hat das eigent-
liche Erwerbsleben begonnen, es ist jetzt
8.30 Uhr, verlangt das Hirn nach Lob und
Kantine. Nach Kaffee und Boni.
Der Mensch kann gar nicht anders. So
gern er auch rein gar nichts tun würde, so
sehr will sein Kopf Belohnung und Dopa-
min-Moleküle – und so zerren an ihm jene
Kräfte, die Leistung sehen wollen. Kommt
der Sonntag also mit dem Versprechen der
Ruhe daher, schickt das Handy Fitness-Sta-
tistiken. Noch neun Kilometer, dann hast
du den Heldenstatus erreicht. Stimulus
empfangen, Stimulus abgewehrt. Man will
nicht joggen, es ist Sonntag. Dann meditie-
ren? Man will auch nicht meditieren. Mit
großer Wahrscheinlichkeit will man an so
einem Tag auch keine Steuerbelege sortie-
ren, und kriegte man dafür noch so viel
Score auf weiß Gott was für ein Konto. Ge-
hört man zu jenen Verweigerern von Anrei-
zen, die einen zu einer besseren Lebensfüh-
rung bewegen wollen, sollte man auch das
Marktplatz-Center von Neubrandenburg
derzeit meiden. Wie dieOstsee-Zeitungbe-
richtet, steht dort nun ein Mülleimer, der
Musik abspielt, wenn etwas hineingewor-
fen wird. Mal ein Halleluja, mal Wasserge-
plätscher, und mal ein Klatschen.
In diesem Sinne: Applaus. Auch jenseits
von Neubrandenburg gibt es sicher noch
Leute, die sich über eine Plastikmüllprä-
mie freuen würden; oder Menschen, die be-
reit sind, einander Hallo zu sagen oder für
den Nachbar ein Paket anzunehmen, wenn
man ihnen dafür Sternchen ins Bonusheft
einträgt oder feierlich einen WMF-Topf
überreicht. Gar kein Ding. Solange man
dann nicht irgendein Charity-Abo am Hals
hat, das nicht monatlich kündbar ist. Was
hingegen schwierig sein dürfte: jemanden
zu finden, der sich all dem Funktionieren
widersetzt, der träge ist, richtig schön faul,
dessen Körper der Unruhe trotzt. Denn da-
für gibt es leider keine Punkte.

DAS WETTER



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