Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
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von jan kedves

D


ie beste Berliner Band, die nie rich-
tig berühmt wurde, ist zurück,
oder: die schlaueste Berliner Band,
die man aufgrund ihres Namens immer
auch ein bisschen prätentiös finden konn-
te.The Aim Of Design Is To Define Space.
Wer sich so einen Namen gibt, der will ja
gar nicht von jedem toll gefunden werden.
Die Nix-Checker, die Feinde der Schlau-
heit, sollen ruhig mit den Augen rollen.
Wie auch immer: Die Band mit dem mut-
maßlich längsten Bandnamen der Popge-
schichte, gegründet ums Jahr 2000 herum
zwischen Erkner, dem brandenburgischen
Gosen und Berlin-Mitte, pausierte einige
Jahre. Es waren Jahre, in denen Berlin ei-
nen neuen Flughafen bekam, oder so, und

ein altes neues Schloss. Es waren Jahre, in
denen man jedes Mal, wenn man als Jour-
nalist ins Soho House in der Torstraße 1
musste, um dort Star X oder Star Y zum In-
terview zu treffen, daran zurückdachte,
wie schön das war, als die Band draußen –

vor dem einstigen Kaufhaus Jonaß, das
später zum Haus der Reichsjugendfüh-
rung gemacht wurde und noch einmal spä-
ter zum Sitz des Zentralkomitees der SED


  • mit einer Horde supercooler Ostberliner
    BMX-Kids vorbeiradelte, in einer Szene ih-
    res herrlich postadoleszenten „Geboren


im Winter“-Videos (2007). Inzwischen ist
in Berlin so gut wie jeder Freiraum ge-
nutzt, fast jede Lücke, die noch an die Nazis
und/oder die DDR erinnern mochte, mit äs-
thetisch anspruchslosester Investoren-Ar-
chitektur gefüllt. Das Immobilien-Pen-
dant von Spritzschaum, wenn man so will.
Darum scheint es in dem Video zu der
Comeback-Single „AIM #@%!$“ zu ge-
hen. Sie ist gerade auf Monkeytown Re-
cords erschienen, dem Label des berühm-
ten Berliner Rave-DuosModeselektor.In
dem Video sieht man nicht The Aim Of De-
sign Is To Define Space selbst – auch wenn
sie immer noch gut aussehen, besonders
Texter „Schulzky“ und Sänger „Einhorn“.
Man sieht: Berliner Orte, von denen man-
che auch auf den zweiten oder dritten Blick
kaum zu identifizieren sind. East Side

Gallery, Flottwellstraße am Gleisdreieck,
das Ufer an der Stralauer Allee – alles voll
mit dieser generischen, irgendwie moder-
nen, neu hochgezogenen Mutlosigkeit.
Die Musik dazu klingt so, wie sich der Ti-
tel „AIM #@%!$“ schon liest: wirr, wü-
tend, tosend. Der Song ist quasi eine Berli-
ner Überschreibung von „Born Slippy“,
demUnderworld-Hit aus dem britischen
Raver-Film „Trainspotting“. Da ist ein fet-
ter Techno-Rumms, der durch Hall noch
fetter wird. Darüber ist der Laberflash ei-
nes Berliner Ravers gelegt. Er redet ohne
Punkt und Komma, vom „Ost-Blues“, von
der „Besoffene-Ferienwohnung-Boomer-
Invasion“, der „Lonely-Planet-Zomby-Fu-
ckery“, und so weiter. Da ist wohl jemand
nach zwanzig Jahren Afterhour aus dem
Club gestolpert und erkennt seine Stadt
nicht wieder. Alles ist nur noch ein langes,
verstrahltes „Hääää?“.

Hängengeblieben, würde man sagen.
Wobei sich The Aim Of Design Is To Define
Space bewusst sind, dass man als Band ge-
gen Gentrifizierung oder überhaupt gegen
den Wandel einer Stadt natürlich anspie-
len kann – aber aufhalten wird man sie den-
noch nicht. So verlockend ein Neunziger-
jahre-Nostalgie-Trip auch ist, künstle-
risch ist er eher eine Falle. Weswegen die
Band in dem Video gar nicht zu nostalgisch
wird, sondern eher den Nostalgie-Mecha-
nismus selbst befragt: Als Stellvertreter
für sich haben sie einen präpubertären Ska-
ter-Jungen engagiert. Ein unbeschriebe-
nes Blatt, sozusagen. Der Junge blickt
schon sehr lässig und superernst in die Ka-
mera. Und steht vor der Volksbühne. Und
sie haben ihm einRamones-T-Shirt ange-
zogen!
Da lauert also die Frage, was von den gan-
zen kulturellen und subkulturellen My-
then bleibt, wenn sie im Lauf der Zeit Wa-
renform annehmen, wenn sie verscherbelt
werden, als T-Shirt, als Religion, als Le-
bensstil. Und was ist, wenn der Mythos ei-
ne ganze Stadt ist? Eine Stadt, die wie Ber-
lin Beute und Kapital zugleich ist? All diese
Fragen beantwortet das Video nicht, aber
das ist ja auch gar nicht seine Aufgabe.
Die Veröffentlichung dieser tollen Single
werden The Aim Of Design Is To Define
Space an diesem Freitag mit einem Kon-
zert im Kreuzberger SO36 feiern, dem le-
gendären Punk- und Postpunk-Schuppen.
Das passt natürlich ausgezeichnet zum
Thema Nostalgie: „Als Ostberliner
und/oder Zu-spät-Geborene kennen wir
die popkulturelle Insel Westberlin nur aus
Erzählungen: Das Westberlin Nick Caves,
derNeubauten,des Linientreu mit seiner
magischen Anziehungskraft haben wir lei-
der verpasst, also holen wir es uns zurück“,
schreibt die Band mit subtilster Ironie in
der Presseankündigung zum Konzert. Zu-
rückholen geht natürlich nicht, und das
wissen sie auch. Was geht, ist zitieren. Wes-
wegen der Abend, bei dem auch die Bands
GewaltundDie Kerzenmit auftreten wer-
den, unter dem Motto „Dialog mit der Ju-
gend“ steht.
Ein Martin-Kippenberger-Zitat. „Dialog
mit der Jugend“ nannte Kippenberger das
berühmte Selbstporträt, das er 1981 von
sich – mit einbandagiertem Kopf und ge-
brochener Nase – malte, nachdem er im
SO36 mit der sagenumwobenen „Ratten-
Jenny“ aneinandergeraten war. Kippenber-
ger war damals Geschäftsführer des La-
dens und repräsentierte all das, was die
Kreuzberger Punks hassten. Ein aus Köln
zugezogener Kunstheini mit Geld ist Chef
unseres „Esso“? Feindliche Übernahme!
Auf ihn mit zerbrochener Bierflasche!
Das heißt: Auch damals knallte es in Ber-
lin schon, wenn das zu bewahrende Alte
auf das unwillkommene Neue traf, wenn
es um Geld versus symbolisches Kapital
ging. Wem gehört die Stadt? Nur gerade
scheint die Antwort ausnahmsweise leicht
zu fallen: denen, die über sie singen.

Dialog mit der Jugend.Mit The Aim Of Design Is To
Define Space, Gewalt und Die Kerzen. Freitag, 18.
Oktober, 19 Uhr. SO36, Berlin-Kreuzberg.

Henrik Ibsens „Brand“ erschien 1866 und
gilt als der Durchbruch des norwegischen
Dramatikers. Allerdings nicht auf dem The-
ater, nur als Lesestoff. Uraufgeführt wurde
dieses „dramatische Gedicht“ erst zwanzig
Jahre nach seiner Entstehung, in Deutsch-
land wurde es nie populär, was an der Qua-
lität von Ibsens späteren Stücken und auch
an der Übersetzung von Christian Morgen-
stern in gebundener Sprache liegen mag.
Das Stück ist sperrig, lang und argumenta-
tiv stur wie ein störrischer Esel.
Nun zeigt es dennoch das Schauspiel
Frankfurt und hat dafür einen guten
Grund, nämlich die eigens in Auftrag gege-
bene Prosa-Neuübersetzung von Hinrich
Schmidt-Henkel. Die ist hart, klar, elimi-
niert den Schwulst und ist damit ein guter
Außenbeitrag des Theaters zur derzeitigen
Frankfurter Buchmesse mit deren Gast-
land Norwegen. Was jedoch bleibt, ist die
rasante Eindimensionalität des Stoffs.
Davon lässt sich der Regisseur Roger
Vontobel nicht abschrecken und macht
zusammen mit dem Bühnenbildner Olaf
Altmann und dem Lichtdesigner Johan De-
laere imposantes Überwältigungstheater
in einer monumentalen Leere, die in ihrer
Wucht ausgezeichnet zum Text passt. Die
Bühne steht schräg im Raum, lässt sich
hochklappen wie ein Berg, auf dem dann
Brand, der Titelheld, klebt wie ein Priester
auf dem Bauch vor dem Hochaltar. Hinter
dieser Spielfläche ein Abgrund, aus dem
der Nebel genauso heraufsteigt wie das

Volk, Silhouetten im harten Seitenlicht, be-
gleitet von den rumpelnden Klangsphären
von Keith O’Brien und den metaexaltierten
Stimmvolten Katharina Bachs, die hier ei-
ne Art emotionalen Beipackzettel zum Ge-
schehen mitliefert, dessen Absenz man
nicht bedauern würde.
Es geht, trotz der in einigen Momenten
zahlreichen Menschen auf der Bühne, nur
um zwei: um Brand, den Pfarrer, und um
Agnes, die Frau, die sich von ihm mit-
reißen lässt. Es geht also im Kern nur um
Heiko Raulin und Jana Schulz, alle anderen
braucht man lediglich zum Anstupsen der
Handlung. Man könnte auch sagen: fürs
Weiterdrehen der Schraube.
Brand predigt Unabdingbarkeit, will
stets alles oder nichts, opfert dafür seinen
Sohn, der im kalten Pfarrhaus stirbt, ver-
stößt seine Mutter, die auf dem Sterbebett
nicht ihren ganzen Besitz der Kirche über-
schreiben will. Raulin spielt Brand mit
eiskalter Glut, seziert die Sprache, ist ganz
selten weich. Sein Brand hält auch noch die
Wäscheleine, als müsste er einen Ochsen-
karren aus dem Schlamm ziehen. Agnes
springt aus den Armen ihres Bräutigams in
diese Aura der kompromisslosen
(Selbst-)Gerechtigkeit; Jana Schulz wird
dann immer mehr zum menschlichen Spie-
gel von Brands Furor. In ihr sieht man, was
er anrichtet, dabei spürt man, die beiden
könnten es gut haben. Sie versteht ihn,
aber irgendwann will und kann sie ihm
nicht mehr folgen. Nach dem Tod des Soh-
nes fordert Brand von Agnes, die Kindersa-
chen einer Bettlerin zu geben. Und wie
Jana Schulz um das letzte Häubchen ringt,
an dem noch der Geruch des Kindes haftet,
das rührt einen zu Tränen.
Vontobel tut gut daran, das Stück, bei
aller Sprödheit, in seiner Zeit und am nordi-
schen Fjord zu belassen. Die Bezüge zu
Predigern in heutiger Zeit, denen argumen-
tativ nur schwer beizukommen ist, weil sie
nichts anderes hören wollen als ihre eigene
Meinung, stellen sich ohnehin ein. Agnes
geht zugrunde, sagt „danke für alles“,
Brand folgt ihr nach. Ein Mörder seiner
selbst wegen einer Idee, verblendet bis in
den Tod. Volkes Masse übrigens, die bereit
war, Brand zu folgen, kehrt sich von ihm
ab, als der Landrat (Isaak Dentler) von ei-
nem riesigen Fischschwarm im Fjord und
damit vom Reichtum für alle berichtet. Ei-
ne Lüge, aber anders kommt der listige
Landrat dem hermetischen Gedankenge-
bäude Brands nicht bei. egbert tholl

Nicht wieder


zu erkennen


Die Band „The Aim Of Design Is To Define Space“


zeigt im neuen Video Berlins bauliche Mutlosigkeit und


lädt zum „Dialog mit der Jugend“


Von Gottfried Benn gibt es eine Forderung,
eine Art Ermahnung, die ungefähr so lau-
tet: Veranstaltungen in der Kultur sollen
nicht länger dauern als eine Stunde. Und
hier wird’s Ereignis – mit „Klassik vor
Acht“ im Münchner Herkulessaal. Das Kon-
zert ohne Pause kommt um 19. 30 Uhr,
nach exakt einer Stunde, ans Ende. Ist das
die Musikzeit und Konzertform der Zu-
kunft – gut für die ältere, sich schonende
Generation? Yuja Wang, Lang Lang und Da-
niil Trifonov spielten in ihrer Frühzeit
auch schon „vor Acht“.
Der 26-jährige Spanier Juan Pérez Floris-
tán hat sich der Prozedur jetzt schon zum
dritten Mal gestellt, gleichmütig, für sein
Alter bemerkenswert gelassen und gemes-
senen Schritts betritt er das Podium. Um
Mozart, Schubert und Liszt zu spielen, als
Zugaben Peter Tschaikowsky und Alberto
Ginastera.
Eindrucksvoll, denkt man, wie viel musi-
kalische Zeit in eine einzige Stunde hinein-
passt, welche Vielfalt der Formen, der Epo-
chenstile und der künstlerischen Aus-
drucksweisen in zeitlicher Verdichtung
möglich ist. Ruhig an der Musik arbeitend,

nach außen in gezügelter Körperspan-
nung, sitzt Floristán fast brav am Flügel,
selbst wenn die furiosesten Passagenstür-
me, wie am Ende im Mephisto-Walzer von
Liszt, das Äußerste an innerer Bewegung
und Konzentration erforderlich machen.
Mozarts B-Dur-Sonate KV 333 mit ihrer vir-
tuos konzertanten, dabei feingliedrigen
Prachtentfaltung gelingt ihm ebenso wie
Schuberts zyklisch gebaute Wanderer-Fan-
tasie, deren geballten Akkordattacken und
dem tiefgründigen Adagio der Pianist
nichts schuldig bleibt.
Die fast abgeklärte Sicherheit, ja kühle
Dramaturgie, mit der Floristán die pianisti-
sche Kontrolle mit der musikalischen Emo-
tion kurzschließen kann, setzt in Erstau-
nen. Und dass er sich die beiden sprödes-
ten unter den glühenden Klangvisionen
aus Liszts „Années de Pèlerinage“ ausge-
sucht hat, „Sposalizio“ und „Il pensieroso“,
sagt viel aus über des Spaniers Gedanken-
strenge. Und Zugaben spendet er gern:
Tschaikowskys herber russischer „Okto-
ber“ und die monströs rasende Danza Ar-
gentina Nr. 3 von Alberto Ginastera reißen
mit. wolfgang schreiber

Alles oder nichts,


und sei es der Tod


Ibsens störrischer „Brand“ am Schauspiel Frankfurt


Passagenstürme


Das Pianist Juan Pérez Floristán in München


Manche der Berliner Orte sind
auch auf den zweiten oder dritten
Blick kaum zu identifizieren

„Das Westberlin Nick Caves,
der ‚Neubauten‘, des Linientreu
haben wir leider verpasst ...“

(^12) FEUILLETON Freitag, 18. Oktober 2019, Nr. 241 DEFGH
Sie könnten gut miteinander: Jana Schulz
und Heiko Raulin. FOTO: BIRGIT HUPFELD
Ein paar Jahre hat sie pausiert, nun kehrt sie zurück, die BandThe Aim Of Design Is To Define Space. In ihrem neuen
Video reflektieren sie das traurige neue Berlin – ohne Anflug von Nostalgie. FOTO: THE AIM OF DESIGN IS TO DEFINE SPACE
Lösungen vom Donnerstag
9
45
6
2
6
6
1
9
8
4
SZ-RÄTSEL
9421 36785
51784 9326
8632 7 5914
43 56182 7 9
27 15946 38
6893274 5 1
1967 5 3842
75498 2163
32846 1597
Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmal vorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
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Schwedenrätsel Sudokumittelschwer
8 4 7 3 5
1
9 7 2 5 4
8 1 4 9
7 2
5
7
6 9 1
5 3 7
Str8ts: So geht’s
89 65 34
98236745
87 32 65
765 89 3
6798 21
5764 312
54 132
634572198
23451 89
1
4
3
9
6
Str8tsschwer
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