Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
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vonevelynvogel

M


al ist es eine Landschaft, dann wie-
der ein Stillleben. Auch Selbstpor-
träts finden sich zuhauf und na-
türlich wurden auch die allseits beliebten
Sonnenblumen nicht verschont. Die Bilder
kaum eines Malers wurden so häufig ge-
fälscht wie die von Vincent van Gogh. Mit
schöner Regelmäßigkeit tauchen bis heute
angeblich neu entdeckte Originale des hol-
ländischen Künstlers auf. Ebenso regelmä-
ßig werden sie als Fälschungen entlarvt.
Und nur sehr selten wird ein Werk vom Fäl-
schungsverdacht wieder befreit, wie das
Gemälde „Mohnblumen in einer Vase“ von
1886 aus dem Wadsworth Atheneum in
Hartford, Connecticut. Erst in diesem Früh-
jahr befanden Spezialisten des Amsterda-
mer Van Gogh Museums: Die Mohnblu-
men sind echt.
Das 1928 von Jacob-Baart de la Faille er-
stellte Werkverzeichnis Van Goghs ist im
Laufe der Jahrzehnte erheblich ge-
schrumpft. Die Auflage von 1970 verzeich-
nete 913 Ölgemälde – einige sind bis heute
mit Fragezeichen versehen. Der größte
und spektakulärste Fälscherskandal in Zu-
sammenhang mit Van-Gogh-Werken ereig-
nete sich aber schon lange vorher, in den
20er- und 30er-Jahren in Berlin.
Damals flog der Berliner Kunsthändler
Otto Wacker auf, nachdem er 1928 ver-
sucht hatte, gefälschte Van Goghs in einer
Ausstellung bei Cassirer unterzubringen.
In einem Gerichtsverfahren, in dem der
34-jährige Wacker stets adrett im Zweitei-
ler gekleidet auftrat und die gefälschten
Bilder wie stumme Zeugen in Reih und
Glied an der Wand standen, wie heimlich
im Gerichtssaal aufgenommene Fotos bele-
gen, wurde er 1932 wegen Betrugs und Ur-
kundenfälschung verurteilt. Stefan und
Nora Koldehoff haben den Fall Wacker in
dem gerade erschienen Buch „Der van
Gogh-Coup. Otto Wackers Aufstieg und
Fall“ (Nimbus Verlag) minutiös nachge-
zeichnet. Zu jener Zeit florierte der Kunst-
handel in Berlin. Der Kunstsalon von Cassi-
rer war eine geschätzte Adresse in der Sze-
ne. Und eine ebenso geschätzte Bezugs-
quelle für Werke Vincent van Goghs war in-
nerhalb kürzester Zeit der Kunsthändler
Otto Wacker geworden.
Der am 11.August 1898 in Düsseldorf ge-
borene Wacker hatte sich zunächst mit ver-
schiedenen Berufen mehr schlecht als

recht durch das Leben geschlagen. Die Fa-
milie war über Den Haag und Amsterdam
nach Berlin und schließlich in das Maler-
dorf Ferch am Schwielowsee in Branden-
burg gezogen. Der Vater, gelernter Kunst-
schmied, hatte sich das Malen selbst beige-
bracht und betätigte sich mittlerweile
hauptberuflich als Künstler. Auch einige
der Geschwister malten, besonders Bruder
Leonhard. Otto hingegen versuchte, Werke
aus der Familienwerkstatt zu verticken.
Nach dem ersten Weltkrieg trat er unter
dem Namen Olindo (später Olinto) Lovaël
in selbstgemachten Kostümen als spani-
scher Tänzer auf. Schon damals schien er
es mit der Wahrheit nicht so genau zu neh-
men und gab sich als ehemaliges Mitglied
einer spanischen Balletttruppe aus. Die
Einschätzungen seiner tänzerischen Quali-
täten gingen auseinander, manche bezeich-
neten ihn als Schönheits- und Erotiktän-
zer, andere als beeindruckenden Aus-

drucks- und Grotesktänzer. Doch seine
Auftritte müssen ihm wohl eine gewisse Po-
pularität verschafft haben. Dennoch been-
dete er 1924 seine Karriere als Tänzer –
und wurde Kunsthändler.
1926 eröffnete er in Berlin eine schicke
Galerie und präsentierte schon im Jahr dar-
auf eine viel beachtete Ausstellung mit
Zeichnungen und Aquarellen van Goghs.
Der galt längst als Liebling der deutschen
Kunstszene, seine Werke erzielten Spitzen-
preise und hatten auch in Deutschland Ein-
zug in Museen und Privatsammlungen ge-
halten. Wacker knüpfte Kontakte zu dem
Neffen van Goghs, er ließ sich von ausge-
wiesenen Experten wie Jacob-Baart de la
Faille Gutachten ausstellen, bat andere wie
den Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe
um Katalogtexte und erbettelte von zahl-
reichen Van-Gogh-Sammlern Leihgaben,
die er unter seine Fälschungen mischte
und so seine Ausstellungen legitimierte.

Den hauseigenen Bestand an Van Goghs
hatten vermutlich Vater und Bruder eigen-
händig gepinselt.
Um die Provenienzen der Werke abzusi-
chern, erklärte Wacker, er habe sie aus ei-
ner russischen Privatsammlung erhalten,
über die er aber keine genaueren Angaben
machen dürfe. Als es zu der Ausstellung
bei Cassirer kam, erwachten bei den dorti-
gen Organisatoren, Grete Ring und Walter
Feilchenfeldt, Zweifel an der Echtheit eini-
ger Bilder. Bald schon machte es in Berli-
ner Galeristenkreisen die Runde, dass Wa-
cker gefälschte Van Goghs verkauft hatte.
Die Szene war in Aufruhr. Viele Kunsthänd-
ler nahmen Bilder, die sie über Wacker be-
zogen und an Sammler und Museumsleute
im In- und Ausland weiterverkauft hatten,
von ihren Kunden wieder zurück. Auch
weil alle Beteiligten so viel zu verlieren hat-
ten, dauerte es lange, bis es zu einer Ankla-
ge gegen Otto Wacker kam.

In dem Aufsehen erregenden Prozess
wurden mehr als 30 Werke, die Wacker im
Laufe der Jahre als echte Van Goghs ver-
kauft hatte, als Fälschungen erkannt. Da-
bei machten die Van-Gogh-Experten Juli-
us Meier-Graefe und Jacob-Baart de la Fail-
le keine gute Figur. Während Meier-Graefe
lange nicht von seiner früheren Einschät-
zung abweichen wollte, hatte de la Faille

schon vor Prozessbeginn versucht zurück-
zurudern, um seinen Ruf zu wahren. Was
ihn wie Meier-Graefe und andere Kunstex-
perten nicht davor schützte, im Laufe des
Prozesses in der Öffentlichkeit verspottet
zu werden. Unter anderem von Kurt Tu-
cholsky in derWeltbühne.
Otto Wacker wurde schließlich zu einem
Jahr und sieben Monaten Gefängnis sowie
einer Geldstrafe in Höhe von 30000 Mark
verurteilt. Da er das Geld nicht hatte, um
die Strafe zu bezahlen, wurde diese in eine
zusätzliche Gefängnisstrafe von 300 Ta-
gen umgewandelt. So saß Wacker bis Ende
1934 im Knast. Nach der Entlassung war er
finanziell ruiniert, als Kunsthändler voll-
ständig diskreditiert und verschwand erst
einmal von der Bildfläche.
1945 tauchte er schließlich als Tänzer
wieder auf. Unter seinem Künstlernamen
Olinto Lovaël war er in Weimar engagiert
und schrieb auch eigene Tanzstücke – un-
ter anderem eine van-Gogh-Hommage. Er
wurde Tanzreferent der Deutschen Volks-
bühne in Ost-Berlin, künstlerischer Leiter
von Tanzprojekten in der DDR und enga-
gierte sich in den Fünfzigerjahren für die
Kulturpolitik im Sinne der SED.
Otto Wacker starb 1970 in Ost-Berlin.
Bis ans Lebensende bestritt er, dass seine
Van Goghs Fälschungen waren.

Kurt Tucholsky verspottete
die Kunst-Experten
in derWeltbühne

Tanz am Abgrund


Otto Wacker handelte mit gefälschten Van Goghs und versetzte damit die Berliner Kunstszene der Zwanzigerjahre in Aufruhr.


Später machte Wacker als Tänzer Karriere in der DDR. Die Fälschungen bestritt er bis zu seinem Tod


Fast wie eine Kunstgalerie
sah der Gerichtssaal
in Berlin aus,
als sich dort Anfang der
Dreißigerjahre Otto Wacker
(re.) wegen Handels mit
gefälschten Kunstwerken
verantworten musste.
An der Wand entlang
aufgereiht waren Bilder,
die angeblich Vincent van
Gogh gemalt hatte.
FOTO: ULLSTEIN BILD

DEFGH Nr. 241, Freitag, 18. Oktober 2019 SZ SPEZIAL – VAN GOGH 17


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Vincent van Gogh, Selbstporträt

(Detail

), 1887, Joseph Winterbotham Collection, Art Institute of Chicago

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