Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
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Köln -Der Mittelklasse-SUV Mazda CX-5
gefällt nicht nur der Kundschaft, auch Au-
todiebe greifen bei dem Modell gerne zu.
X-Modelle von BMW stehen bei ihnen
ebenfalls hoch im Kurs. Doch insgesamt ist
die Zahl der Autodiebstähle im Bundesge-
biet 2018 zurückgegangen. Kriminelle
stahlen 15 037 kaskoversicherte Wagen,
zeigt eine aktuelle Auswertung des Ge-
samtverbands der Deutschen Versiche-
rungswirtschaft (GDV). Die Versicherer
zahlten 2018 insgesamt 298 Millionen Eu-
ro für Fahrzeugdiebstähle, 2017 waren es
323 Millionen Euro.
Der Verband wertet Diebstähle von kas-
koversicherten Autos aus. Kaskoschutz ist
im Gegensatz zur Kfz-Haftpflichtversiche-
rung freiwillig, daher taucht nicht jeder ge-
stohlene Wagen in den GDV-Zahlen auf.
Laut Polizeistatistik wurden 2018 in
Deutschland 30 232 Kraftwagen gestoh-
len, im Vorjahr waren es 33 263.
Wer eine Vollkasko- oder Teilkaskoversi-
cherung für seinen Wagen hat, ist bei ei-
nem Diebstahl auf der sicheren Seite. Bei
Teilkasko gilt: Der Versicherer zahlt den
Wiederbeschaffungswert – also die Sum-
me, die nötig ist, um ein gleichwertiges
Fahrzeug zu kaufen. Davon wird jedoch die
Selbstbeteiligung abgezogen. Auch in der
umfassenderen Vollkaskoversicherung ist
der Diebstahlschutz enthalten. Auf den per-
sönlichen Schadenfreiheitsrabatt, der die
Höhe der Versicherungsprämie beein-
flusst, wirken sich Diebstähle nicht aus. Au-

tobesitzer müssen also nach solchen Schä-
den nicht mehr zahlen.
Besonders aktiv waren Autodiebe
2018 wieder in Berlin, wo 2877 Pkw gestoh-
len wurden. Ebenfalls stark betroffen war
Hamburg mit 889, Leipzig mit 277 und
Hannover mit 178 Taten. Am seltensten
griffen Täter in Bayern und Baden-Würt-
temberg zu. Die Bundesländer kommen zu-
sammen auf weniger als halb so viele ge-
stohlene Autos wie Berlin. In Bayern sank
der wirtschaftliche Schaden von 16,7 Millio-
nen Euro auf 14,3 Millionen Euro.
Die Polizei rät Autobesitzern, wertvolle

Wagen möglichst in Garagen oder zumin-
dest an belebten Straßen abzustellen. Wer
sieht, dass Personen Autos genau betrach-
ten, sollte misstrauisch werden. Auch bei
einem kurzen Halt gilt es, den Schlüssel ab-
zuziehen, das Lenkradschloss einzurasten
und Fenster und Türen zu schließen. Beim
Verschließen via Knopfdruck sollten Fah-
rer auf das Signal des Autos warten.
Nach Angaben des Bundeskriminal-
amts landen nach wie vor besonders viele
gestohlene Fahrzeuge in Osteuropa. Pkw
werden aber auch nach Zentralasien und
Westafrika transportiert. Die Täter sind oft

hoch qualifiziert und spezialisiert. Das Ge-
schäft ist für Kriminelle mit technischen
Fähigkeiten lukrativ, denn die Verkaufs-
aussichten für die gestohlenen Fahrzeuge
sind gut.
Die Diebstahlzahlen befinden sich laut
dem Versichererverband auf dem niedrigs-
ten Stand seit der Wiedervereinigung. Mit-
te der Neunzigerjahre wurden rund
100 000 kaskoversicherte Fahrzeuge pro
Jahr gestohlen, sieben Mal so viele wie


  1. Bis 2007 sank diese Zahl stetig – auf
    16 502 Fahrzeuge. Vier Jahre lang ging es
    dann bergauf, 2011 kamen 19658 Fahrzeu-
    ge ihren Besitzern abhanden. Seitdem ver-
    bessert sich die Situation. Dazu tragen Si-
    cherungstechniken und mehr Risikobe-
    wusstsein bei. Allerdings: Die Schadenhö-
    he pro Tat steigt. Im Schnitt zahlten Kfz-
    Versicherer 2018 pro Diebstahl 19 800 Eu-
    ro, sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Au-
    todiebe hatten es auch 2018 auf SUVs und
    teure Limousinen abgesehen. Das am häu-
    figsten gestohlene Modell war der Mittel-
    klasse-SUV Mazda CX-5. Von 1000 kasko-
    versicherten Fahrzeugen wurden 15,4 ent-
    wendet. Auf Platz zwei findet sich BMW
    X6M mit 14,6 Diebstählen, auf dem dritten
    Rang der Toyota RAV4 Hybrid 2.5 mit 13,5.
    X-Modelle von BMW sind generell beliebt,
    von Mercedes die SUVs der ML-Reihe.
    Deutlich zugenommen haben Diebstähle
    von Wohnmobilen. 519 dieser Fahrzeuge
    kamen ihren Besitzern abhanden, ein Plus
    von 20,7 Prozent. anna gentrup


DEFGH Nr. 241, Freitag, 18. Oktober 2019 23


Der Mazda CX-5 ist bei Dieben besonders beliebt. Wer kaskoversichert ist,
bekommt zumindest den Schaden ersetzt. FOTO: OH

Eigentlich ging es mal um Subventionen
für Flugzeughersteller. Doch nun trifft der
Handelsstreit zwischen den USA und Euro-
pa auch Hermann Bühlbecker, 69, Inhaber
der Süßwarenfirma Lambertz aus Aachen,
die mit Weihnachtsgebäck groß wurde.
„Wir sollen ab Freitag dieser Woche 25 Pro-
zent Zoll zahlen“, konstatiert Bühlbecker,
„was für uns total merkwürdig ist.“ Denn
mit Luftfahrt hat der Hersteller von Prin-
ten, Nürnberger Lebkuchen und Dresdner
Stollen nun wirklich nichts zu tun.
Doch als Vergeltung für die staatliche
Förderung von Airbus haben die USA kur-
zerhand höhere Zölle auf einige Lebensmit-
telimporte aus Europa angekündigt, die an
diesem Freitag in Kraft treten – darunter
explizit Gebäck aus Deutschland. „Wir ver-
kaufen dort European Cookies, made in
Germany“, sagt Bühlbecker. Zunächst wer-
de Lambertz den Zoll wohl zahlen müssen,
befürchtet der Familienunternehmer mit
seiner charakteristischen Langhaarfrisur
und weißem Dreitagebart. „Wir werden im
nächsten Jahr sicherlich nicht zu den alten
Preisen anbieten.“ Unschön sei das, immer-
hin erwirtschaftet Lambertz knapp
fünf Prozent des Umsatzes in den USA.
„Aber es wird uns nicht im Kern treffen.“
Denn Bühlbecker, der vor 43 Jahren bei
Lambertz einstieg, hat aus dem Printen-
Hersteller eine der größten Gebäckfirmen
Deutschlands geformt. Nach dem Wirt-
schaftsstudium in Nürnberg übernahm
der erfolgreiche Tennisspieler die Fabrik
seines Onkels, die damals gefährlich ab-
hängig vom Weihnachtsgeschäft und hoch
verschuldet war. Unter Bühlbecker stieg
Lambertz in das Geschäft mit Ganzjahres-
artikeln wie Dominosteinen ein, expandier-
te ins Ausland und übernahm Konkurren-
ten, etwa in Nürnberg und zuletzt in Dres-
den. Das Unternehmen stellt auch Gebäck-
mischungen her, die Supermärkte und Dis-
counter unter Eigenmarken verkaufen. Im
vergangenen Geschäftsjahr erwirtschafte-

te Lambertz mit knapp 4000 Beschäftig-
ten einen Umsatz von 626 Millionen Euro.
„Der Absatz war absolut auf Vorjahresni-
veau“, sagt Bühlbecker.
Und das, wo doch so viel über gesunde
Ernährung gesprochen und über Zucker ge-
schimpft wird? Bühlbecker glaubt, dass
die Debatte vor allem Lebensmittel mit ver-
steckten Zuckeranteilen treffe. „Wer
Herbst- und Weihnachtsprodukte kauft,
der will genießen“, sagt der Rheinländer:
Der wisse auch, dass Zucker enthalten ist.
„Dass man auch andere Dinge essen muss
und sich auch bewegen muss, das ist klar.“
Längst zähle ja auch gesünderes Vitalge-
bäck zum Sortiment seiner Firma.
Der Gesellschafter ist – wie bei kaum ei-
nem anderen Unternehmen hierzulande –
selbst die größte Werbefigur von Lam-
bertz: Im Shopping-Sender QVC stand
Bühlbecker schon höchstselbst im Studio,
um seine Kekstruhen unter die Leute zu
bringen. Er sponsert das jährliche Reittur-
nier in Aachen, empfängt an dessen Rande
zu einer Mediennacht mit Prominenten
wie Boris Becker. Mehrmals ließ sich der so-
genannte Printen-König mit Leonardo Di-
Caprio ablichten, dessen Umwelt-Stiftung
er unterstützt. Auch einen Kalender bringt
Lambertz jährlich heraus: „Wir waren in Is-
land und haben mit Nena und ihrer Toch-
ter tolle Bilder gemacht“, berichtet Bühlbe-
cker stolz von den Vorbereitungen. Und die
Elfenbeinküste, größter Kakaoproduzent
der Welt, hat den Aachener sogar zum Ho-
norarkonsul ernannt.
Nur die höheren Zölle konnte Bühlbe-
cker – aller diplomatischen Erfahrung
zum Trotz – nicht abwenden. Zu kurzfris-
tig sei die Ankündigung aus Washington
gekommen. Man könne jetzt nur auf Ge-
genmaßnahmen der EU hoffen, sagt der
Unternehmer, „vielleicht einigt man sich
aber auch irgendwo“. Bis dahin jedoch
macht der weltweite Handelsstreit nicht
mal vor Printen halt. benedikt müller

von wolfgang janisch
und michael kläsgen

Karlsruhe– Zwei Tische, vier Stühle und
ein Kaffeeautomat: Wenn Bäckereien sich
in dieser Weise ausrüsten, dann dürfen sie
künftig am Sonntag Brötchen verkaufen,
und zwar auch über die eingeschränkten
Sonn- und Feiertagsöffnungszeiten hin-
aus. Das folgt aus einem Urteil des Bundes-
gerichtshofs (BGH), der damit eine Klage
der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren
Wettbewerbs gegen den Betreiber mehre-
rer Münchner Bäckereifilialen abgewiesen
hat. Testkäufe hatten ergeben, dass sich
die Filialbetreiber an mehreren Sonn- und
Feiertagen nicht an die für Bäckereien er-
laubte Öffnungszeit gehalten hatten; in
Bayern sind das drei Stunden. Die Bäckerei
hatte sich darauf berufen, dass sie zugleich
ein Café betreibe. Und Gaststätten sei der
Straßenverkauf „zubereiteter Speisen“ ge-
setzlich erlaubt, wenn diese zum „alsbaldi-
gen Verzehr“ bestimmt seien.
Wie lange Bäckerei-Cafés am Sonntag
Semmeln und Brezen verkaufen dürfen,
hing also erstens an der Frage, ob ein tro-
ckenes Brötchen eine „zubereitete“ Speise
ist, zweitens, ob auch ganze Brotlaibe zum
„alsbaldigen“ Verzehr bestimmt sind. Der
Wettbewerbssenat des BGH beantwortete
beide Fragen zugunsten der Bäcker und eb-
net damit den Weg für einen erleichterten
Brötchenverkauf am Sonntag. Brote und
Brötchen, so erläuterte der Senatsvorsit-
zende Thomas Koch, würden aus Mehl, He-
fe, Milch, Wasser und weiteren Zutaten her-
gestellt, seien also „zubereitete“ Speisen.
Daran ändere auch der Umstand nichts,
dass der Kunde die Ware erst zuhause mit
Käse oder Wurst belege. Verkauft werden
dürften indes nur Waren, die „im Wesentli-

chen zum sofortigen Verbrauch erworben
werden“. In der Verhandlung war aller-
dings klar geworden, dass sich daraus kei-
ne eindeutige Mengenbegrenzung ablei-
ten lässt, weil der Verkäufer ja nicht wissen
kann, wie groß die Familie ist, die zuhause
auf die Brötchen wartet.
Mit seinem Urteil erleichtert es der BGH
den Bäckereien, am umsatzstarken Sonn-
tag gegen Konkurrenten anzutreten, die
an Sonn- und Feiertagen längst von libera-
leren Öffnungszeiten profitieren – etwa
Tankstellen, Kioske und Bahnhofshops. Es
gehe letztlich um fairen Wettbewerb, sagte
Daniel Schneider, Hauptgeschäftsführer
des Zentralverband des Deutschen Bäcker-
handwerks. „Es kann nicht sein, dass Tank-
stellen unbelegte Brötchen als Reisebe-
darf“ rund um die Uhr verkaufen dürfen
und sich dabei auch noch in betrügerischer
Weise als Bäckerei bezeichnen, sich ande-
rerseits aber die echten Bäcker an deutlich
strengere Gesetze zur Produktion und Ver-
kauf halten müssen.“ Nach Angaben des
Verbands haben viele Bäcker in einer Um-
frage den Sonntag als besonders wichtig
für ihr Geschäft bezeichnet. Allerdings
sind auch innerhalb der Branche die Mei-
nungen nicht ganz homogen. Auf der Web-
site des Verbandes wird berichtet, dass
sich die Bäckerinnung Kulmbach deutli-
che Vorbehalte gegen eine längere Sonn-
tagsöffnung geäußert hatte – im Interesse
der kleinen handwerklichen Bäckereien,
die dadurch gegenüber den großen Ketten
ins Hintertreffen geraten könnten.
Der BGH bestätigte damit ein Urteil des
Oberlandesgerichts München vom Febru-
ar. Der Senatsvorsitzende Koch machte
deutlich, dass das Urteil trotz unterschiedli-
cher Landesgesetze für ganz Deutschland
gelte. Wobei sich die Sonntagsfrage von

Land zu Land in unterschiedlicher Schärfe
stellt: Bayern hat mit drei Stunden die rest-
riktivsten Öffnungszeiten, andere liegen
darüber – bis zu neun Stunden in Berlin.
Noch nicht ganz klar ist, welche Konse-
quenzen das Urteil generell für den Waren-
verkauf am Sonntag haben wird. Christian
Rohnke, Anwalt der Wettbewerbszentrale,
hatte in der Verhandlung gewarnt, unter
„zubereiteten Speisen“ könne man fast al-
les verstehen, außer Obst. „Damit kann
man ein gigantisches Sortiment vorhal-
ten.“ Für die Bäckerei-Cafés gilt nun nicht
mehr das Ladenschlussgesetz, sondern
das wesentlich großzügigere Gaststätten-
recht. Damit haben Bäcker, die Tische und
Stühle in ihren Laden stellen, eine ähnlich
große Freiheit, Waren zu verkaufen, wie
Tankstellen oder Geschäfte an Bahnhöfen
und Flughäfen.

Ein alter Streit darüber, was und ob
überhaupt etwas am Sonntag verkauft wer-
den darf, ist damit nicht beigelegt, sondern
um eine weitere Ausnahme reicher. Grund-
sätzlich herrscht am Sonntag eigentlich
überall Ladenschluss. Es obliegt jedoch
den Bundesländern Ausnahmen zu definie-
ren. Ein großer Streitpunkt ist, was eine sol-
che Ausnahme rechtfertigt. Am lockersten-
gehen damit die Berliner, am strengsten
die Bayern um.
Hier gilt noch die alte Bundesregelung,
die Standard war, ehe der Ladenschluss
Ländersache wurde: Danach dürfen an ma-
ximal vier Sonntagen im Jahr die Geschäf-
te in einer Kommune öffnen, und zwar für

höchstens fünf Stunden außerhalb der Zei-
ten des Hauptgottesdienstes. Andere Bun-
desländer haben längst viel mehr Sonnta-
ge für den Verkauf freigegeben. Das ist je-
weils nur möglich, wenn ein triftiger
Grund vorliegt – was Interpretationssache
ist. Kirchen und Gewerkschaften schafften
es in vielen Fällen, geplante Sonntagsöff-
nungen zu verhindern, indem sie den An-
lass infrage stellten. Die entscheidende Fra-
ge ist nämlich, ob der Anlass dem Allge-
meinwohl dient.
In Artikel 57 des Grundgesetzes ist gere-
gelt, wann an Sonntagen gearbeitet und so-
mit auch ein Laden geöffnet werden darf,
nämlich „wenn es das Gemeinwohl erfor-
dert“. Weil das Auslegungssache ist, defi-
nierte das Bundesverwaltungsgericht in
Leipzig 2017 etwas genauer, was darunter
zu verstehen ist. Rein konsum- oder um-
satzbezogene Interessen von Kunden und
Händlern zählen aus Sicht des Leipziger
Gerichts nicht dazu. Vielmehr bedürfe es ei-
nes gewichtigen Sachgrunds. Das könnten
laut Gericht am selben Tag stattfindende
Messen oder große Märkte in der jeweili-
gen Stadt sein, nicht aber Stadtteil- oder
Weinfeste.
Seit dem Urteil ist es um die Sonntags-
öffnung ruhiger geworden. Der Streit zwi-
schen einzelnen Händlern und Kirchen so-
wie Gewerkschaften ist abgeflaut. Die Bä-
ckerei-Cafés haben nun mit dem jahrelan-
gen Streit um das Ladenschlussgesetz
nichts mehr zu tun. Für sie gilt das Gaststät-
tenrecht, das in den relevanten Punkten in
allen Bundesländern ähnlich ist. Das Urteil
aus Karlsruhe hat Bedeutung für alle Bä-
ckerein dieser Art in Deutschland. Es könn-
te dazu führen, dass Bäcker, die noch keine
Stühle und Tische in ihren Laden gestellt
haben, nun damit anfangen, dies zu tun.

von helena ott


V


iele Airbnb-Kunden kennen sie:
Wohnungen mit ein paar Alibi-Fo-
tos an der Wand, ein paar vergilbten
Büchern, Flohmarktartefakten und billi-
gem Geschirr. Vor der Haustüre hängt ei-
ne ominöse Schlüsselbox. Das ist die typi-
sche Airbnb-Wohnung, die Eigentürmer
auf dem Portal zu häufig lukrativen Prei-
sen Städtereisenden anbieten. Das Pro-
blem dabei: Ihre zentral gelegene Eigen-
tumswohnung landet nicht nur zwischen-
durch auf Airbnb. Oft verschwinden sol-
che Wohnungen dauerhaft vom Woh-
nungsmarkt. Für die Besitzer der Woh-
nung und die Plattform aus dem Silicon
Valley ist das ein lohnendes Geschäft. Oft
verdienen Vermieter mehr, als sich über ei-
ne normale Miete einnehmen ließe.
Viele Städten haben schon Regeln, die
mal besser, mal schlechter durchgesetzt
werden. Aber auch der einzelne Tourist
sollte sich zumindest die Frage stellen, ob
er dieses System mitfinanzieren will. Sozi-
alverträglich ist das Übernachten in dauer-
haft als Ferienwohnung genutzten
Airbnbs nicht.

Die Politik kommt bislang nur in klei-
nen Schritten gegen den US-Konzern vor-
an. An diesem Donnerstag trafen sich Ver-
treter europäischer Großstädte, um sich
über das Problem auszutauschen und ihre
Kräfte im Kampf gegen Portale wie
Airbnb zu bündeln. Gemeinsam wollen sie
die Unternehmen mittels verändertem
EU-Recht dazu verpflichten, Einkom-
mens- und Umsatzsteuer einzubehalten
und an die Behörden der jeweiligen Städte
abzuführen. Das ist eine gute Initiative.
Es gehen aber nicht nur potenziell Steu-
ereinnahmen verloren, sondern auch
Wohnraum. 26 Prozent der Wohnungen
in Paris seien nicht mehr von Bürgern der
Stadt bewohnt, beschwert sich die Pariser
Verwaltung. Von den 65 000 Unterkünf-
ten, die Airbnb online anbietet, seien fast
die Hälfte „illegale Hotels“ und würden
dauerhaft an Touristen vermittelt.
In Deutschland ist die Lage zwar noch
nicht ganz so dramatisch. Forscher des
ZEW-Instituts haben aber ermittelt, dass
in Berlin Ende 2018 immerhin mehr als
10000 Wohnungen und Zimmer über
Airbnb angeboten wurden. In Hamburg

und München seien es rund halb so viele.
Die Stadt München befindet sich derzeit
in einem Rechtsstreit mit Airbnb. Das
Münchner Verwaltungsgericht hatte den
Konzern dazu verpflichtet, Daten seiner
Nutzer and die Stadt München weiterzuge-
ben, auch wenn der Fall noch nicht letztin-
stanzlich entschieden ist.
Auch in anderen Städten versuchen die
Behörden, dauerhafte Airbnb-Wohnun-
gen aufzuspüren und die Anbieter mit
Bußgeld zu bestrafen. Die Beamten könn-
ten leichter ihre Arbeit machen, wenn die
Daten automatisch an sie fließen. Bisher
müssen die Kontrolleure zu oft wie Privat-
detektive agieren, um zweckentfremdete
Wohnungen aufzuspüren. Bei der Vielzahl
der Inserate ein nahezu aussichtsloses Un-
terfangen.
Schon klar, die ursprüngliche Idee von
Airbnb ist nett gedacht: Stadtbewohner
überlassen ihre Wohnung an Touristen,
wenn sie selber unterwegs sind. Die Aus-
wärtigen erleben, wie Menschen in Städ-
ten wie Barcelona wohnen, dürfen ihr Ge-
schirr benutzen, zahlen dafür nicht so viel
Geld und sind dafür mitten drin im Leben
der Metropolen. Aber aus der netten Idee
ist ein riesiges Geschäft geworden, aus
dem Zubrot eine mitunter stattliche Ge-
bühr. Vermieter bieten ihre Wohnungen
häufig nicht aus einem Sharing-Gedan-
ken heraus auf der Plattform an, sondern
wollen mit den sonst leer stehenden
Wohnräumen einfach nur Geld machen.
Der Schaden, der dabei entsteht, ist
zwar wesentlich abstrakter als der von Bil-
ligklamotten oder ständigen Flugreisen.
Man beschleunigt durch die Wahl der Un-
terkunft nicht direkt den Klimawandel
und fördert nicht unbedingt schlechte Ar-
beitsbedingungen. Aber man nimmt der
Gemeinschaft etwas weg. Denen, die in
Zeiten eines angespannten Wohnungs-
marktes dringend nach einer Wohnung su-
chen. Airbnb-Wohnungen sind neben
Landflucht, dem Ausverkauf von Sozial-
wohnungen und der Spekulation ein wei-
teres großes Problem in den Städten.
Es ist also Zeit, das soziale Gewissen
mit der Frage zu behelligen, ob man dazu
beitragen möchte, dass Sanitäter, Alleiner-
ziehende und der Kellner des Lieblingsres-
taurants keine bezahlbare Wohnung
mehr im S-Bahn-Raum finden. Die gute
Nachricht: Man muss ja nicht ganz auf
Airbnb verzichten. Es würde schon helfen,
Angebote danach zu prüfen, ob der Anbie-
ter einen Zahlencode zum Türöffnen
schickt oder schon die Fotos der Räume
verdächtig nach normierter Ferienwoh-
nung aussehen.

WIRTSCHAFT


Bäckereien dürfen künftig sonntags länger öffnen. FOTO: ROMAN KRAFT/UNSPLASH

NAHAUFNAHME


„Wir werden
im nächsten Jahr
sicherlich nicht
zu den alten Preisen
anbieten.“
Hermann Bühlbecker
FOTO: DPA

Hauptstadt der Diebe


Kriminelle stehlen gerne SUVs und Luxusautos. In Berlin werden so viele Wagen geklaut wie sonst nirgends


Strafzölle auf Lebkuchen


Der Handelsstreit mit den USA belastet Hermann Bühlbecker


Täglich Brot


Der Bundesgerichtshof erleichtert es Bäckereien, am Sonntag länger zu öffnen. Semmeln und Brot sind
nach Ansicht der Juristen „zubereitete Speisen“ und zum „alsbaldigen Verzehr“ bestimmt

AIRBNB

Sozial unverträglich


Es gehen nicht nur
Steuereinnahmen verloren,
sondern auch Wohnraum

Beim Ladenschluss gibt es viele
Ausnahmen. Jedes Bundesland
handhabt das anders

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