Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über http://www.sz-content.de

von andreas jalsovec

München– Über einen Mangel an Anfra-
gen kann sich Sascha Straub im Moment
nicht beklagen. „Zu uns kommen jeden
Tag neue Ratsuchende“, sagt der Finanzex-
perte der Verbraucherzentrale Bayern:
„Ich zähle schon gar nicht mehr genau.“
Aber eine zweistellige Zahl an Sparkassen-
kunden sei es wohl, die derzeit Tag für Tag
Hilfe bei den Verbraucherschützern sucht.
Ihnen allen ist von ihrem Geldinstitut der
Prämiensparvertrag gekündigt worden.
Nun wollen sie von den Beratern wissen,
wie sie reagieren sollen.
Seit im September die Sparkassen in
Nürnberg und München insgesamt fast
50 000 Kunden Kündigungsschreiben für
ihre langfristigen Prämiensparverträge
geschickt haben, haben die bayerischen
Verbraucherschützer mit den verärgerten
Sparern alle Hände voll zu tun. Dabei
suchen die Kunden in vielen Fällen nicht
nur Rat wegen der Kündigung. Häufig be-
kommen sie von den Sparkassen auch
gleich noch Alternativangebote unterbrei-
tet. Dabei gehe es oft um hohe Summen.
Viele Verbraucher hätten die Sparverträge
zur Altersvorsorge genutzt, berichtet
Sascha Straub. Angesparte Beträge von
150 000 Euro und mehr seien daher keine
Seltenheit.

Die Alternativangebote der Banken al-
lerdings hätten in der Regel eines gemein-
sam, meint Straub: Sie sind weniger attrak-
tiv als das bisherige Prämienspar-Paket:
„Das wird aus den Rückmeldung deutlich,
die wir von den Verbrauchern bekommen.“
Ähnliches berichtet auch Andrea Heyer, Fi-
nanzexpertin bei der Verbraucherzentrale
Sachsen. Auch dort würden den Kunden
bei Kündigung eines Prämiensparvertrags
regelmäßig Neuangebote unterbreitet.
„Meistens sind es Produkte, die nicht dem
Bedarf der Sparer entsprechen“, sagt Hey-
er. Prämiensparer seien oft ältere, sicher-
heitsorientierte Kunden. Angeboten bekä-
men sie jedoch häufig Fondsprodukte oder
Rentenversicherungen auf Aktienbasis.
„Für auf Sicherheit bedachte Sparer ist das
wohl nicht das Passende und außerdem oft
teuer“, sagt die Verbraucherschützerin. Äl-
teren Kunden seien mitunter sogar Sterbe-
geldversicherungen angeboten worden, er-
zählt Heyer: „Das ist dann schon etwas ma-
kaber, auch wenn es nur Einzelfälle sind.“
Beim Deutschen Sparkassen- und Giro-
verband heißt es dazu, die Sparkassen ver-
suchten mit den Angeboten lediglich, den
Kunden aufzuzeigen, wie man auch in Zei-
ten niedriger Zinsen Ersparnisse bilden
kann. Verbraucherschützerin Heyer rät
den Sparer dagegen davon ab, bei der Spar-
kasse gleich einen neuen Vertrag zu unter-
schreiben: „Man sollte sich erst einmal in
Ruhe nach Alternativen umsehen.“
Die sächsische Verbraucherschützerin
beschäftigt sich schon seit Längerem mit
gekündigten Prämiensparverträgen. In ih-
rem Bundesland haben bereits im Sommer
2017 die ersten Sparkassen damit begon-
nen, das für die Kunden vorteilhafte Prämi-
ensparen zu beenden. Hintergrund: We-
gen der Niedrigzinsphase kosten die Altver-
träge die Geldinstitute viel Geld. Beim Prä-
miensparen zahlen die Kunden in der Re-
gel über viele Jahre hinweg einen konstan-
ten monatlichen Betrag ein. Sie erhalten da-
für einen variablen Zins plus jährliche Prä-
mien, die im Laufe der Zeit steigen. In der

Höchststufe sind es meist fünfzig Prozent
der jährlichen Einzahlungen. „Die Prämie
ist das Lukrative am Prämiensparvertrag“,
sagt auch Verbraucherschützer Straub.
Für die Sparkassen dagegen sind die Ver-
träge alles andere als lukrativ. Sie zahlen ei-
nerseits die relativ hohe Prämien, tun sich
andererseits aber wegen der niedrigen Zin-
sen schwer, mit dem Geld der Anleger et-
was zu verdienen. Immer mehr Sparkas-
sen sind daher dem Beispiel ihrer sächsi-
schen Kollegen gefolgt und haben die für
sie lästigen Verträge gekündigt. Eine Auf-
listung, die die Stiftung Warentest im Inter-
net führt, weist mittlerweile bundesweit
55 Sparkassen aus, die die Sparverträge be-
endet haben. Neuen Auftrieb hat die Kündi-
gungswelle dabei durch ein Urteil des Bun-
desgerichtshofs bekommen. Der BGH ent-
schied im Mai, dass die Geldhäuser be-
stimmte Prämiensparverträge auflösen
können. Voraussetzung ist, dass diese zeit-
lich nicht befristet sind – und die höchste
Prämienstufe erreicht haben.
Genau wegen dieser Bedingungen raten
Verbraucherschützer den Kunden nun, ei-
ne Kündigung ihres Prämiensparvertrags
nicht einfach zu akzeptieren. Denn nicht al-
le Verträge seien gleich. „Es gibt sogar un-
terschiedliche Prämiensparverträge bei
derselben Sparkasse“, sagt Niels Nauhau-
ser, Finanzexperte bei der Verbraucherzen-
trale Baden-Württemberg. Und auf einige
Verträge lässt sich das Urteil des BGH eben
nicht anwenden.
Das betrifft etwa Verträge, in denen eine
konkrete Laufzeit vereinbart wurde. So
schlossen einige Sparkassen mit ihren Kun-
den unter anderem Verträge über 1188 Mo-
nate – also 99 Jahre. „Auch bei Vereinba-
rungen, in denen die Prämienstaffel fest
vereinbart wurde, ist die Bank an den Ver-
trag gebunden“, sagt Verbraucherschützer
Straub. Wenn also im Vertrag genau festge-
legt wurde, welche Prämie beispielsweise
im 16., 17. oder 18. Jahr gezahlt wird, dann
gäbe es gute Chancen, dass eine Kündi-
gung unwirksam ist – solange diese Jahre
noch nicht erreicht wurden. Hinzu kom-
men jene Fälle, bei denen die Prämienzah-
lungen noch nicht in der höchsten Stufe an-
gekommen sind. Auch dann könne die
Sparkasse den Vertrag nicht einfach einsei-
tig auflösen.
Die Experten raten den Sparern daher,
sich den Vertrag und das Sparbuch dazu ge-
nau anzusehen. Wer Zweifel an der Recht-
mäßigkeit der Kündigung habe, solle ihr
schriftlich widersprechen. Ein Musterfor-
mular dafür gibt es auf der Internetseite
der Verbraucherzentralen. Die Verbrau-
cherschützer bieten auch an, die Sparver-
träge zu überprüfen. Wichtig sei, das Spar-
guthaben nicht anzutasten, sagt Sascha
Straub: „Das könnte die Bank als Akzeptie-
ren der Kündigung werten.“ Gleichzeitig
solle man dem Geldinstitut anbieten, die
Sparbeiträge weiter zu zahlen. „Sie wird
das vermutlich zurückweisen. Aber damit
macht man deutlich, dass man an dem Ver-
trag festhält.“ Straub rät auch davon ab, ein
Alternativangebot der Bank anzunehmen.
Denn damit verzichte man auf die Rechte
aus dem Altvertrag – etwa wenn die Kündi-
gung am Ende doch unwirksam sei.
Wer also das Geld nicht unbedingt
gleich brauche oder neu anlegen wolle, der
sollte der Kündigung widersprechen, den
eigenen Vertrag überprüfen lassen – und
unter Umständen sogar die künftige
Rechtssprechung abwarten. So prüft etwa
die Verbraucherzentrale Bayern zusam-
men mit dem Bundesverband der Verbrau-
cherzentralen derzeit eine Musterfeststel-
lungsklage, auf die sich Sparer dann beru-
fen können.

Herber


Schock


Viele Banken kündigen lukrative Sparverträge. Aber nicht
immer ist das rechtens. Was Kunden tun sollten

Die angebotenen
Alternativen
sind oft teuer

München– Bei den gekündigten Verträ-
gen zum Prämiensparen geht es in den
meisten Fällen um das Anlagemodell „S-
Prämiensparen flexibel“. Neben den Prä-
mien zahlt die Sparkasse dabei den Spa-
rern einen variablen Zins, der sich am
Marktzins orientiert. Wegen der Nullzin-
sen am Markt bringt derzeit auch der Prä-
mienzins nichts. Die Verträge der Sparkas-
senkunden laufen in vielen Fällen jedoch
schon etliche Jahre. Und in der Vergangen-
heit waren die Marktzinsen durchaus noch
nennenswert.
Allerdings haben nach Meinung der Ver-
braucherschützer viele Sparkassen über
die Jahre hinweg die Zinsen der Sparverträ-
ge falsch berechnet. Unabhängig davon, ob
der Sparvertrag gekündigt wurde oder
nicht, raten sie daher dazu, die Zinserträge
nachrechnen zu lassen. Die Wahrschein-
lichkeit, dass man eine Nachzahlung erhal-
te, sei durchaus groß, meint etwa Andrea
Heyer von der Verbraucherzentrale Sach-
sen. Die sächsischen Verbraucherschützer
haben nach Heyers Angaben bundesweit
bereits 3000 Sparverträge überprüft. In

den meisten Fällen seien dabei zu wenig
Zinsen gezahlt worden. „In der Regel gibt
es Nachforderungsansprüche“, sagt Heyer.
Die Höhe der Nachzahlungen reiche dabei
von niedrigen dreistelligen bis mittleren
fünfstelligen Beträgen. Bei Kunden, die
lange Zeit hohe Beträge in den Vertrag ein-
gezahlt haben, kann es also durchaus um
mehrere Tausend Euro gehen.
Grund für die falschen Berechnungen
der Banken sind fehlende oder fehlerhafte
Vertragsklauseln bei der Zinsanpassung.
Bereits 2004 hatte der Bundesgerichtshof
entschieden, dass sich die Berechnung der
variablen Sparzinsen an festen Bezugsgrö-
ßen des Kapitalmarkts orientieren müsse.
Die Richter hatten festgestellt, dass aus
den Verträgen meist nicht hervorging, wie
die Zinsen genau kalkuliert wurden. Ob-
wohl diese BGH-Entscheidung schon lan-
ge zurückliegt und weitere folgten, hätten
viele Banken ihre Zinsanpassungsklauseln
noch nicht rechtskonform gestaltet, meint
Andrea Heyer: „Die Aussichten, bei den Zin-
sen eine Nachzahlung zu bekommen, sind
daher in vielen Fällen gut.“

Wer die Zinsen nachrechnen lassen
möchte, kann sich an die jeweilige Verbrau-
cherzentrale vor Ort wenden. Die Verbrau-
cherzentrale Sachsen bietet die Möglich-
keit an, den Sparvertrag online prüfen zu
lassen. Dazu müssen Sparer unter ande-
rem ihren Vertrag und sämtliche Seiten
der Sparbücher einscannen, einige Formu-
lare ausfüllen und das Ganze per Mail an
[email protected] schicken. Die Prü-
fung kostet 85 Euro.
Stellt sich heraus, dass die Bank zu we-
nig Zinsen gezahlt hat, sollten die Kunden
zunächst das persönliche Gespräch mit
Vertretern der Bank suchen, meint Sascha
Straub, Finanzberater bei der Verbraucher-
zentrale Bayern. In vielen Fällen hätten
sich die Banken verhandlungsbereit ge-
zeigt. „Manche allerdings lehnen die Nach-
zahlungen auch ab“, meint Straub. Er rät
dann dazu, das Ergebnis einer Musterfest-
stellungsklage abzuwarten, die die Ver-
braucherzentrale Sachsen derzeit führt.
Fällt sie positiv aus, haben die Kunden bes-
sere Chancen, die Zinsen zurückzuverlan-
gen. andreas jalsovec

N


ehmen Sie ein Blatt Papier. Zeich-
nen Sie nun die Form auf, von der
Sie denken, dass sie die Verteilung
des Wohlstands der Menschen in Deutsch-
land am ehesten widerspiegelt. Mit hoher
Wahrscheinlichkeit malen Sie eine Pyrami-
de. In der Vermächtnisstudie von WZB,Die
Zeitund Infas wählen 73 Prozent der Be-
fragten diese Form; für mehr als die Hälfte
davon läuft die Pyramide nach oben hin be-
sonders spitz zu. Die Ungleichheit zwi-
schen oben und unten wird also als sehr
groß wahrgenommen, mit einer extremen
Konzentration von Vermögen auf wenige
Menschen. Ziehen Sie nun eine horizontale
Linie an jener Stelle durch die Pyramide,
unterhalb der Menschen Ihres Erachtens
nach als arm zu bezeichnen sind. Zeichnen
Sie dann einen Punkt in die Pyramide ein,
an dem Sie sich selbst verorten. Wie vermö-
gend sind Sie im Vergleich zum Rest der Ge-
sellschaft? Haben Sie den Punkt unterhalb
oder oberhalb der Armutsgrenze gesetzt?
Nach den Daten der Vermächtnisstudie
verorten sich 11,6 Prozent der Befragten,
die erwerbstätig sind, unterhalb der selbst
gezogenen Armutslinie. Das entspricht in
etwa den Angaben des Armuts- und Reich-
tumsberichts der Bundesregierung, nach
welchem etwa neun Prozent der Erwerbstä-
tigen in Deutschland trotz Erwerbsarbeit
arm sind. Das sind 3,4 Millionen der insge-
samt 37,7 Millionen Erwerbstätigen.
Millionen Erwerbstätige in Deutsch-
land befinden sich also in einer Situation,
die den Normvorstellungen der Deutschen
diametral widerspricht. Denn gesellschaft-
licher Konsens ist: Erwerbstätigkeit sollte

vor Armut schützen. Das meinen weit über
90 Prozent der Befragten. Zudem wird Ar-
mut in der Regel mit „Faulheit“ und „Untä-
tigkeit“ in Zusammenhang gebracht. Für
erwerbstätige Arme ist damit nicht nur der
Gesellschaftsvertrag gebrochen, sie sehen
sich auch einem Stigma ausgesetzt. Wel-
che Folgen hat das für diese Menschen?
Eine 2017 imAmerican Journal of Epide-
miologyveröffentlichte Studie zeigt, dass
erwerbstätige Deutsche, die unter der „ob-
jektiven“ Armutsgrenze leben, ihre Ge-
sundheit signifikant schlechter bewerten
als Erwerbstätige, die nicht arm sind. Da-
bei sind die jeweiligen sozio-demografi-
schen Verhältnisse wie beispielsweise Al-
ter und Bildungsstand berücksichtigt. Aus
der Forschung wissen wir, dass Armut und
das Gefühl, arm zu sein, die körperliche
und psychische Gesundheit einer Person
schädigen. Die Menschen sind gestresst,
ernähren sich ungesund, rauchen eher, be-
wegen sich weniger. Schlechte Wohnver-
hältnisse erschweren die Situation zusätz-
lich. Und: Armut fördert in den meisten Fäl-
len solche Verhaltensweisen.
Die Menschen sind also nicht in Armut
geraten, weil sie beispielsweise zu viel Alko-
hol trinken. Menschen, die arm sind, ob-
wohl sie einer Erwerbstätigkeit nachge-
hen, leiden darüber hinaus sicherlich noch
an weiteren gesundheitsschädigenden
Faktoren. Dazu gehört insbesondere das
Gefühl, versagt zu haben und ungerecht be-
handelt zu werden in einer Gesellschaft, in
der man doch von seiner Erwerbsarbeit le-
ben können sollte. Diese persönlichen Kos-
ten von „schlechter“, unzureichend bezahl-

ter Erwerbsarbeit sind gleichermaßen Kos-
ten, die zu einer Hypothek für die gesamte
Gesellschaft werden. Denn es ist beson-
ders die Armut von Erwerbstätigen, die
das Vertrauen in das Gemeinwesen, die
Grundlage unseres Zusammenlebens be-
schädigt.
Die Folgen darf man nicht unterschät-
zen, etwa den zunehmenden Druck, auch
dann einer Erwerbstätigkeit nachzuge-
hen, wenn man von dieser nicht leben
kann. Dass die dadurch entstehenden Kos-
ten für den Staat sehr hoch sind, zeigen die
öffentlichen Haushalte. In der offiziellen
Berichterstattung finden sich diese Kosten
der Erwerbsarbeit leider nicht, denn noch

immer geht man davon aus, dass nur Ar-
beitslosigkeit kostet, nicht aber Arbeit.
2017 lagen nach Berechnungen des Insti-
tuts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
schung (IAB) die Kosten der Arbeitslosig-
keit bei etwa 53 Milliarden Euro. Ein äqui-
valenter Bericht, welche Kosten dem Staat
durch Erwerbsarmut, etwa durch Lohnauf-
stockungen, entstehen, fehlt jedoch.
Um diese Kosten zu ermitteln, muss zu-
erst berechnet werden, wie viele erwerbstä-
tige Menschen in Deutschland arm wären,
wenn der Staat keinerlei soziale Transfers
zahlen würde. Hierzu existieren verschie-
dene Berechnungsmethoden. Allen ist ge-
mein, dass die Erwerbsarmenquote in ei-

nem Szenario ohne staatliche Transferzah-
lungen höher wäre als in einem Szenario
mit Sozialtransfers, und zwar zwischen
1,5- und dreimal höher. Doch wie hoch fal-
len diese armutslindernden staatlichen
Leistungen aus? Behelfsweise können wir
die Summe der Leistungen heranziehen,
die sogenannte „Ergänzer“ erhalten, also
Personen, die zusätzlich zu ihrem Lohn
aus Erwerbstätigkeit auch Arbeitslosen-
geld II beziehen. 2016 gab es in Deutsch-
land etwa eine Million Bedarfsgemein-
schaften mit mindestens einem „Er-
gänzer“. Insgesamt erhielten sie Leistun-
gen von etwa zehn Milliarden Euro. Um auf
die gesellschaftlichen Gesamtkosten der
Arbeit zu kommen, müsste man aber auch
andere staatliche Leistungen hinzurech-
nen, die jene Erwerbstätigen beziehen, die
andernfalls arm wären: Kindergeld, Kin-
derzuschlag, Wohngeld, die Förderung
von Weiterbildungen sowie steuerbeding-
te finanzielle Vorteile, wie Kinderfreibeträ-
ge oder Ehegattensplitting. Die Liste ist
lang.
Es wird Zeit, die persönlichen und gesell-
schaftlichen Kosten von schlechter Arbeit
endlich in den Blick zu nehmen. Denn
nicht nur Arbeitslosigkeit belastet Staat,
Gesellschaft und Menschen – auch die Er-
werbsarmut birgt immense Kosten für uns
alle. jutta allmendinger

Dieser Artikel wurde zusammen mit Antonino Poliz-
zi, Studentische Hilfskraft am WZB Berlin, verfasst.
WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger und Franziska
Augstein schreiben jeden Freitag im Wechsel.

Falsch gerechnet


Manche Institute haben zu wenig Zinsen gezahlt. Sparern winken nun Nachzahlungen


Claus-Dietrich Lahrs, 56, Luxusmode-
Manager, wird ab dem 4. November
2019 den Bekleidungskonzern S. Oliver
führen. Er übernimmt die Leitung von
Bernd Freier, der das Unternehmen im
Jahr 1969 in Würzburg gegründet hat.
Lahrs(FOTO: OH)war von August 2008 bis
Februar 2016 Vorstandsvorsitzender von
Hugo Boss. Zuletzt leitete er von Oktober
2016 bis Juni 2019 die italienische Luxus-
marke Bottega Veneta. Zu seinen frühe-
ren beruflichen Stationen gehören die
Schmuck- und Uhrenfirma Cartier, die
zum französische Luxusgüter-Konzern
LVMH gehörende Marke Louis Vuitton
sowie Christian Dior. Mit S. Oliver über-
nimmt Lahrs die Führung eines Unter-
nehmens mit einer nach eigenen Anga-
ben „soliden“ Ertragslage. Die mittleren
Preissegment ange-
siedelte Firma mit
rund 6400 Beschäf-
tigten setzte zuletzt
1,3 Milliarden Euro
um. Zu der Gruppe
gehören auch die
Marken Triangel,
Comma und Liebes-
kind. cbn

Ken Fisher, 68, Gründer und Chef der
112 Milliarden schweren US-Vermögens-
verwaltung Fisher Investments, kom-
men anzügliche Äußerungen teuer zu
stehen. Fisher(FOTO: BLOOMBERG)hatte auf
einer Konferenz unter anderem das
Anwerben von Neukunden damit vergli-
chen, „in die Unterhosen von Mädchen
zu gelangen“. Auch wenn sich der Invest-
mentguru inzwischen dafür entschul-
digt hat, haben Anleger knapp eine Milli-
arde US-Dollar von der Investmentgesell-
schaft abgezogen. Zuletzt verabschiede-
te sich die Stadt Boston mit ihren 248
Millionen Dollar von Fisher. „Boston
wird nicht in Unternehmen investieren,
die von Menschen geführt werden, die
Frauen als Objekte behandeln“, sagte
Bostons Bürgermeister Martin Walsh.
Zuvor hatte der State of Michigan Retire-
ment Fund seinen
Vertrag mit Fisher
beendet, das für den
Bundesstaat 600
Millionen Dollar
verwaltet hatte. Das
Philadelphia Board
of Pensions will 54
Millionen Dollar
abziehen.cbn

Tanja Emmerling, 41, Leiterin des Berli-
ner Büros beim High-Tech-Gründer-
fonds (HTGF), steigt zur Partnerin auf.
Die promovierte Volkswirtschaftlerin
betreut Start-ups aus den Bereichen
Künstliche Intelligenz, Mobilität & Logis-
tik, IT-Sicherheit, Blockchain und Cloud-
Software. Emmerling (FOTO: OH) ist seit
2014 bei dem Fonds. Das Geld, das der
HGTF verwaltet, kommt zu mehr als der
Hälfte vom Staat, es gibt ihn bereits seit


  1. In drei verschiedenen Fonds wur-
    den bisher 895,5 Millionen Euro für
    Gründer bereitgestellt, 550 Start-ups
    haben davon profitiert. Emmerling war
    davor in einem Fachverlag für neue Ge-
    schäftsfelder und fürs Portfolio-Manage-
    ment zuständig. Sie gehört nun zum
    elfköpfigen Führungsteam des Fonds,
    davon sind ein Viertel Frauen, heißt es in
    einer Mitteilung des
    HTGF. Der Fonds
    war erst in diesem
    Jahr dafür kritisiert
    worden, dass im
    Programm einer
    HGTF-Veranstal-
    tung nur männliche
    Sprecher genannt
    wurden. ma


GeldanlageWie anhaltende Niedrigzinsen die Altersvorsorge vieler Sparer treffen


(^24) WIRTSCHAFT Freitag, 18. Oktober 2019, Nr. 241 DEFGH
Die Kosten der Arbeit
Nicht nur Arbeitslosigkeit belastet den Staat,
sondern auch Erwerbsarmut - Menschen, die arm wären,
wenn ihnen der Staat keinerlei soziale Transfers
zahlen würde. Es wird Zeit, die persönlichen
und gesellschaftlichen Kosten von schlechter
Arbeit endlich in den Blick zu nehmen
ALLMENDINGERS WELT
Bedarfsgemeinschaften mit
mindestens einem „Ergänzer“
bekamen etwa zehn Milliarden
ILLUSTRATION: STEFAN DIMITROV
Weniger Luxus
Teure Chauvi-Sprüche
Start-up-Hilfe
PERSONALIEN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über http://www.sz-content.de

Free download pdf