Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
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Berlin –Die Bundesregierung hat ihre Kon-
junkturprognose für das Jahr 2020 deut-
lich gesenkt. Bundeswirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU) sagte, er erwarte nun
noch ein Wachstum des Bruttoinlandspro-
dukts von 1,0 Prozent, wie Wirtschaftsmi-
nister Peter Altmaier (CDU) am Donners-
tag in Berlin. Im April hatte die Regierung
noch ein Plus von 1,5 Prozent vorherge-
sagt. Die exportorientierte Industrie stehe
wegen weltweiter Handelskonflikte und
den Unsicherheiten durch den Brexit unter
Druck. Das bremse Investitionen. „Trotz-
dem sind wir nicht in einer Konjunkturkri-
se“, sagte Altmaier. Er habe zudem „die
Hoffnung“, dass sich der Konflikt zwi-
schen den USA und China nicht weiter ver-
schärfe.
„Insbesondere im Bau- und im Hand-
werksbereich“ sei die Lage aber weiterhin
gut, sagte Altmaier. Dort würden Arbeits-
kräfte händeringend gesucht. Für das lau-
fende Jahr bleibt die Prognose unverän-
dert: die Regierung erwartet wie auch die
führenden Wirtschaftsforschungsinstitu-
te ein Wachstum von 0,5 Prozent. 2018 war
das Bruttoinlandsprodukt noch um 1,4 Pro-
zent gestiegen. Im nächsten Jahr wirke
sich allerdings ein kalendarischer Effekt
positiv aus: das Jahr 2020 hat mehr Arbeits-
tage. Bei den Löhnen erwartet Altmaier in
diesem Jahr ein Plus von drei Prozent und
im kommenden Jahr eine Lohnsteigerung
von 2,7 Prozent.
Die vom Abschwung betroffenen Bran-
chen wie der Auto- und Maschinenbau so-
wie die Stahlindustrie bräuchten nun Un-
terstützung von der Bundesregierung, sag-
te Altmaier. Er forderte erneut eine umfas-
sende Reform der Unternehmenssteuern
und die Abschaffung des Solis „in einem
mehrstufigen Verfahren“, verwies aber auf
schwierige Debatten mit dem Koalitions-
partner SPD. Altmaier regte zudem eine
Senkung der Arbeitslosenversicherungs-
beiträge an.
Spitzenverbände der Wirtschaft forder-
ten die Koalition zum Handeln auf. Man sei
„ernsthaft in Sorge, wie viele Prognose-
Warnschüsse die Politik noch braucht, um
ihre Handlungen an die neuen Rahmenbe-
dingungen anzupassen“, sagte der Haupt-
geschäftsführer des Arbeitgeberverbands
BDA, Steffen Kampeter. Auch der Indus-
trieverband BDI forderte Entlastungen.
Erst am Dienstag hatte der Internationale
Währungsfonds seine globale Wachstums-
vorhersage für dieses Jahr auf drei Prozent
gesenkt. kristiana ludwig

von uwe ritzer

Nürnberg– Dass da noch etwas kommen
würde, zeichnete sich ab. Als der Automo-
bilzulieferer Brose am 6. Juli am Stamm-
sitz im fränkischen Coburg seinen 100. Ge-
burtstag feierte, streuten Familienunter-
nehmer Michael Stoschek als Vorsitzender
der Gesellschafterversammlung und Kurt
Sauernheimer als operativer Firmenchef
warnende Töne in die Feststimmung. Bro-
se müsse sich erneuern, wettbewerbsfähig
bleiben und deswegen die Kosten drücken,
hieß es. Sauernheimer verwies auf Osteuro-
pa, wo die Löhne viel niedriger seien, und
sprach von „kreativen Lösungen“, die „si-
cherlich auch zu Belastungen führen“.

Wie diese Belastungen aussehen ist nun
klar. Bis Ende 2022 will Brose, Hersteller
von mechatronischen Komponenten und
Systemen hauptsächlich für Fahrzeugtü-
ren und -sitze, 2000 Arbeitsplätze in
Deutschland streichen. Davon sollen 600
in den Werken Coburg, Bamberg, Würz-
burg, Hallstadt und Berlin wegfallen. 200
Mitarbeiter im Brose-Werk in Wuppertal
sind von einer Verlagerung der Schließsys-
teme-Fertigung betroffen. Hauptsächlich
aber würden Jobs in den Zentral- und Ge-
schäftsbereichen gestrichen, teilte das Un-
ternehmen mit. Man wolle betriebsbeding-
te Kündigungen vermeiden.
Damit reiht sich Brose nahtlos ein in ei-
ne immer längere Liste von Autozuliefe-

rern ein, die Stellen in großem Umfang ab-
bauen. Allein in den vergangenen Tagen
folgte eine Hiobsbotschaft auf die andere.
Da ist Broses fränkischer Nachbar Schaeff-
ler, der ebenfalls 2000 Arbeitsplätze hier-
zulande streichen will. Continental sperrt
sein Werk im bayerischen Roding zu, was
540 Jobs kostet und erst der Anfang eines
Stellenabbaus ist, dem 7000 Arbeitsplätze
an den deutschen Conti-Standorten zum
Opfer fallen werden.
Auch bei anderen Branchengrößen wie
ZF oder Bosch bangen die Beschäftigten zu-
nehmend um ihre Jobs. Es trifft aber auch
kleinere Zulieferer wie den Press- und
Blechteilehersteller Allgaier, die Firma des
früheren Arbeitgeber-Präsidenten Dieter

Hundt. Das Unternehmen gab am Mitt-
woch bekannt, im Hauptwerk in Uhingen
(Baden-Württemberg) Stellen in größerem
Umfang zu streichen; wie viele steht noch
nicht fest. Ein Ende solcher Botschaften
scheint nicht in Sicht. Es bröckelt überall,
mal werden einige Dutzend, mal einige
hundert Stellen gestrichen, wie etwa bei
Grammer oder Leoni. Einige kleinere oder
mittlere Zulieferer haben Insolvenz ange-
meldet, andere arbeiten kurz.
Experten sind sich uneins, wie viele Ar-
beitsplätze bei Zulieferern in Deutschland
in absehbarer Zeit gestrichen werden.
50 000, sagen die Unternehmensberater
von AT Kearney, bis zu 100 000 warnen je-
ne von Roland Berger. Das Duisburger Cen-

ter Automotive Reaearch des gerne als „Au-
toprofessor“ titulierten Ferdinand Duden-
höffer sieht bis 2030 etwa ein Viertel aller
knapp 850 000 Arbeitsplätze in der deut-
schen Autobranche in akuter Gefahr.
Die Begründungen der Unternehmen
gleichen denen von Brose. Da ist zum ei-
nen die nachlassende Automobilkonjunk-
tur vor allem in China. Auch der Umbau
der Branche hin zu Elektromobilität kostet
viele Arbeitsplätze, da sehr viele in Fahr-
zeugen mit Verbrennungsmotoren einge-
baute Teile in E-Autos nicht mehr benötigt
werden. Einher mit alledem wächst der
Preisdruck, den nicht zuletzt die Fahrzeug-
hersteller rigoros, manche sagen auch
rücksichtslos an ihre die Zulieferer weiter-
reichen. In den Büchern der Unternehmen
schlägt sich all dies in sinkenden Umsätze
und Gewinneinbrüchen nieder.

Auch Brose macht „massive Ergebnis-
einbrüche“ geltend. Das Unternehmen kri-
tisiert aber auch „die einseitige Klimade-
batte zu Lasten der Kfz-Industrie“, die für
„zusätzliche Unsicherheit“ sorge. Darauf
reagiert der Coburger Konzern, der 26 000
Menschen weltweit beschäftigt, nach den
Worten von Gesellschafter Stoschek „mit
dem größten Erneuerungsprogramm in
der Unternehmensgeschichte“. Seit einem
Jahr durchforsten Berater von McKinsey
Brose. Dabei und bei internen Beratungen
kam ein Erneuerungsprogramm heraus,
das sich „Future Brose“ nennt.
Im Zuge dessen sollen nicht nur Arbeits-
plätze in Niedriglohnländer verlagert, son-
dern auch Hierarchien abgebaut und inter-
ne Abläufe gestrafft werden. Mitarbeiter
würden „im Hinblick auf die Digitalisie-
rung in Entwicklung, Verwaltung und Pro-
duktion“ qualifiziert. Und während in eini-
gen Unternehmensbereichen Stellen ge-
strichen werden, sucht die Firma anderer-
seits nach Software- und IT-Spezialisten.
Stoschek kann für sich in Anspruch neh-
men, frühzeitig auf die heraufziehende Kri-
se aufmerksam gemacht zu haben. Als er
im Juli 2018 auf einer Betriebsversamm-
lung in Coburg den überdurchschnittli-
chen Krankenstand im dortigen Sitzgestell-
Werk monierte, brachte ihm dies viel hämi-
sche Kritik ein. Stoscheks damalige Verglei-
che mit deutlich günstigeren Produktio-
nen in Ost- und Südeuropa, sowie seine
Hinweise auf wachsenden Kostendruck
gingen daneben fast unter. Ende 2018 ei-
nigten sich Eigentümer, Management und
Betriebsrat auf ein Maßnahmenpaket, um
bis 2024 die Produktionskosten dort um
42 Millionen Euro zu senken. Das allein ist,
wie man nun weiß, nicht genug.

Zukunft mit weniger Menschen


Brose baut 2000 Arbeitsplätze in Deutschland ab.
Damit reagiert der Autozulieferer auf die Krise der Branche

Seit einem Jahr durchforsten
Berater von McKinsey
den Zulieferer

Vom Kühlergrill bis zum Rücksitz: Beim Autozulieferer Brose sollen künftig weniger als die derzeit 26 000 Mitarbeiter arbeiten. FOTO: OH

DEFGH Nr. 241, Freitag, 18. Oktober 2019 (^) WIRTSCHAFT 25
Regierung senkt
Prognose
Exportbranchen wie Auto- und
Maschinenbau stehen unter Druck
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