Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
ich was dafür tun. Mit 15 reiste ich per An-
halter mit einem Freund »ins Ausland«,
nach Zell am See, das war aufregender, als
wenn man heute in die Karibik fliegt. Mit
16 arbeitete ich in den Sommerferien vier
Wochen lang im Akkord auf einer Groß-
baustelle, verdiente 400 Mark und kaufte
mir davon ein Moped, eine NSU Quickly.
Ich war der erste Motorisierte an der Schu-
le, nicht mal die Lehrer hatten ein Fahr-
zeug. Ich wollte immer ein bisschen mehr
haben als alle anderen und auf keinen Fall
irgendeiner Masse hinterherlaufen.
Nach der Schule machten Sie bei der
Lufthansa eine Ausbildung zum Luft-
verkehrskaufmann.
Da begleitete ich unter anderem einen
Charterflug der Bamberger Symphoniker
sechs Wochen durch Lateinamerika. Eine
Riesennummer, meine erste Fernreise.
Dort entdeckte ich meine Liebe zu Süd-

amerika, die bis heute hält. Später wurde
ich Stationsleiter der Lufthansa in Buenos
Aires, Santiago, Hongkong, Jakarta und
Montevideo. 1985 wechselte ich als Ge-
schäftsführer zu Hapag-Lloyd Flug nach
Hannover.
Warum kündigten Sie 1988, mit 51?
Ich wollte die Welt sehen. Damals war ich
mit Beate verheiratet, meiner dritten Frau.
Wir machten einige Monate eine Testtour
durch Ostafrika, mit zwei Konsequenzen.
Erstens: Wir merkten, dass das nicht mehr
funktioniert mit uns, und ließen uns schei-
den. Zweitens: Ich schrieb 1989 die Kon-
taktanzeige in der Zeit. Wortlaut: »Willst du
in die Welt reisen? Suche unkomplizierte,
sportliche Begleitung, bereit für eine Aben-
teuertour durch Afrika und Südamerika.«
Christine, meine spätere Frau, las die An-
zeige im Zug von Dresden nach Berlin. Sie
war in der DDR aufgewachsen und wollte
sich ihr sogenanntes Begrüßungsgeld in

Westberlin abholen. Eine Freundin drängte
sie, mir zu antworten. Sie war 34 und hung-
rig aufs Leben. Christines Sohn aus erster
Ehe, Martin, blieb die erste Zeit bei ihrer
Familie, um dann mit 13 auf ein baye-
risches Internat wechseln zu können. Ein
Jahr danach mieteten wir ein Haus in
Bayern. Später habe ich ihn adoptiert.
Es klingt ziemlich hart, den Sohn aufs
Internat zu schicken, damit man um
die Welt reisen kann, finden Sie nicht?
Für Martin war es eine tolle Zeit, wie er
heute sagt. Und wir sind nicht 25 Jahre am
Stück gereist. Immer wieder sind wir nach
Hause und waren bei ihm, vor allem Chris-
tine. Aber sie liebte eben das Abenteuer, sie
kam ja aus dem Gefängnis DDR. Diesen
Kontrast muss man sich mal vorstellen. Ich
bewundere sie bis heute. Sie war, wie ich es
in der Kontaktanzeige geschrieben hatte:
sportlich, unkompliziert. Und furchtlos.

Das hat Ihnen imponiert?
Und wie! Aus einer Reisebegleitung wurde
bald die große Liebe.
Die Reise begann 1989, über Gibraltar
fuhren Sie mit Otto nach Afrika, dann
durch die Sahara.
Marokko, Algerien, Niger, Mali. Da würde
man heute wahrscheinlich gekidnappt,
aber damals ging das. Wir waren überwäl-
tigt von der absoluten Stille der Wüste.
Wenn wir uns sicher waren, dass weit und
breit niemand war, keine Nomaden, keine
anderen Reisenden, machten wir alle Türen
auf und spielten auf voller Lautstärke Beet-
hoven-Klaviersonaten: Appassionata, Pathé-
tique, die Mondscheinsonate. Eine außerwelt-
liche Erfahrung.
Auf Ihren Fotos sieht man Sie häufig
in Hängematten schlafen. Ist Ihnen da
nie etwas passiert?
Wir haben ausnahmslos in Hängematten
oder im Wagen geschlafen. Das bedeutet

»WIR HABEN AUSNAHMSLOS


IN HÄNGEMATTEN ODER


IM WAGEN GESCHLAFEN. DAS


BEDEUTET IN DER WILDNIS


IMMER EIN GEWISSES RISIKO«


Fotos: Gunther Holtorf, Sima Dehgani (1)

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