Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
18 SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN

ben wir mal zwei Tage lang gewartet, weil
der einzige Zollbeamte zur Beerdigung sei-
ner Mutter nach Caracas gefahren war. Oft
ging es so: Abends wollten die Grenzer
heim, und wir warteten immer noch. Da
ließen die uns rüber. Insgesamt habe ich
über 200 Tage meines Lebens wartend an
Grenzen verbracht. Wenn ich etwas kann,
dann Leuten etwas aus der Jacke zu locken,
was da drinbleiben sollte.
Nachdem Sie Afrika innerhalb von fünf
Jahren beinahe komplett bereist hat-
ten, verschifften Sie Otto 1996 nach
Montevideo. Was bleibt Ihnen von Süd-
amerika besonders in Erinnerung?
Die Stille in den Anden, ähnlich der Stille
in der Sahara. Der Dschungel Brasiliens,
den ich auf oft schlammigen Pisten hoch-
und runtergefahren bin, einschließlich der
4000 Kilometer Transamazônica. In Erinne-
rung bleibt auch die Gastfreundschaft der
Südamerikaner, besonders in Uruguay und
Argentinien. Ich war vielleicht 15 Mal in
beiden Ländern und habe einen Wohnsitz
in Argentinien. Dort könnte ich, wenn ich
wollte, Minister oder Gouverneur werden,
wie Schwarzenegger in den USA. Noch heu-
te verbringen meine neue Partnerin Janine
und ich die Wintermonate in Südamerika,
mit Otto 2, einem alten Mercedes G, der in
Uruguay auf uns wartet.
Auf Südamerika folgten Mittelamerika
und die USA. Wie haben Sie das alles
finanziert?
Auf den Reisen haben wir monatlich im
Schnitt 1700 Euro ausgegeben, für knapp
200 Flüge, die 41 Otto-Verschiffungen im

Container, Sprit, Ersatzteile und Verpfle-
gung, mehr als einen Euro alle zwei Kilome-
ter. Ich hatte bei der Lufthansa und später als
Geschäftsführer der Hapag-Lloyd-Fluggesell-
schaft gut verdient. Dazu kamen die Ein-
künfte von der Jakarta-Karte. 1973 versetzte
mich die Lufthansa nach Indonesien, in die
Hauptstadt Jakarta. Es gab dort keinen Stadt-
plan. Also machte ich einen.

Der Ballungsraum Jakarta hat 30 Milli-
onen Einwohner.
Damals waren es nur vier Millionen. Trotz-
dem waren es ungezählte Straßen, Gäss-
chen, ein Moloch! Morgens um sechs be-
gann ich, durch die Stadt zu ziehen, trug
alles zusammen, was ich fand, klapperte
Ämter ab, bat Freunde, alles, was sie wuss-
ten, aufzuzeichnen, den Rest erkundete ich
selbst. Drei Jahre brauchte ich, dann ver-
kaufte ich die Idee an den Kartenhersteller
Falk aus Hamburg, der 1977 den ersten

Stadtplan von Jakarta herausbrachte. Die
englischsprachige Zeitung dort schrieb: »It
needs a German to do it.« Im Laufe der Jah-
re ist dieser kleine Plan mit Christines Hilfe
zu einem Stadtatlanten geworden. Den
Atlas gibt es heute nur noch antiquarisch,
aber alle heute verkauften Jakarta-Karten
basieren auf meiner Pionierarbeit, so will
ich es unbescheiden sagen.

Als Sie Afrika, Süd- und Nordamerika
bereist hatten, packte Sie da die
Sammelwut?
Genau kann ich nicht sagen, wann das pas-
sierte. Ein schleichender Prozess. Das Inter-
essanteste ist: Je mehr man sieht von der
Welt, desto mehr wird einem bewusst, wie
wenig man von der Welt gesehen hat. Aber
ja, irgendwann beschlossen wir, weiterzuma-
chen mit dem Reisen, und möglichst viele
Länder zu sehen. Wir waren etwas süchtig
geworden, so könnte man es sagen.
Sie begannen, den größten Kontinent
der Welt zu bereisen, Asien, unter ande-
rem fuhren Sie 2005 nach Afghanistan.
Hatten Sie auch dort keine Angst?
In Afghanistan gab und gibt es friedliche
und gewaltvolle Phasen, wir erwischten
eine friedliche. Hatten wir Angst? Meine
Tochter, sie stammt aus einer früheren Be-
ziehung, sagt manchmal, wir wüssten gar
nicht, wie viel Glück wir in all den Jahren
hatten. Glück statt Angst. Ich bin der Typ,
der neben 99 negativen Sachen die eine
positive sieht.
Sie sind acht Mal an Malaria erkrankt.
Konnten Sie da auch positiv bleiben?
50 Prozent des Leidens bei so einer Krank-
heit passiert im Kopf. Die kann man sich
sparen, wenn man darauf vertraut, dass es

»JE MEHR MAN SIEHT VON


DER WELT, DESTO MEHR WIRD


EINEM BEWUSST, WIE WENIG


MAN VON DER WELT


GESEHEN HAT«


Weiße Weite: Gunther und Christine Holtorf
1997 in der weltgrößten Salzpfanne, der Salar
de Uyuni im Südwesten von Bolivien.

DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Magazin Verlagsgesellschaft Süddeutsche Zeitung mbH, München
Eine Dienstleistung des SZ-Archivs

Free download pdf