Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
Danach füllten Sie weitere Lücken.
Welches der übrigen Länder ist Ihnen
besonders in Erinnerung geblieben?
Madagaskar. Ich fuhr eines Abends kurz vor
Sonnenuntergang auf einer Piste mit Roll-
split, als mir ein Auto entgegenkam. Rechts
und links waren kleine Abhänge, und die
Straße war eng. Ich bremste und fuhr ganz
an den rechten Rand. Zu weit, Otto kippte
und überschlug sich. Der erste und einzige
Unfall war das, 2014, kurz vor dem Ende der
Tour. Ottos Kabine war so verzogen, dass ich
sie austauschen ließ. Mit dem renovierten
Otto fuhr ich noch nach Irland und Weiß-
russland, die letzten beiden Länder der Reise
mit Otto. Dann über Polen nach Berlin.
Wurden Sie melancholisch?
Als ich zum letzten Mal Müsli essend am
Otto saß, ja.
Haben Sie geweint?
Nein, oh Gott, so weit geht das bei mir nicht.
Ankunft in Berlin: unter dem Branden-
burger Tor, am 8. Oktober 2014.
Ich überzeugte einen Polizisten, dass ich mit
Otto davorfahren darf, für ein paar Fotos.
Danach übergab ich den Schlüssel an Herrn
Zetsche, Otto kam ins Mercedes-Benz Mu-

seum nach Stuttgart. Danach kaufte ich Otto
2, den ich bis heute in Südamerika fahre.
Ihr Leben sollte verfilmt werden.
Ein Mann aus Hollywood kam zu mir. Über
neun Monate sollten die Gespräche für das
Drehbuch dauern, danach hätte es zwei wei-
tere Jahre gedauert, um den Film zu drehen.
Tom Hanks sollte mich spielen, aber die
hatten Geldprobleme und stellten das Pro-
jekt ein. Ich bin froh. Die Zeit konnte ich
anderweitig nutzen. Mit meiner neuen Le-
bensgefährtin Janine fahre ich im deutschen
Winter durch Südamerika. Auf der Liste der
Orte, an die ich zurückkehren will, steht der
Pantanal, ein Feuchtgebiet in Brasilien. Dort
leben ungezählte Tierarten, Wasserschwei-
ne, Jaguare und Millionen Kaimane. Ein
Geheimtipp für Ornithologen, wer weiß,
wie lange noch.
Blieb ein Reisetraum unerfüllt?
Gerne würde ich die »Road of Bones« fah-
ren. Die führt über 1826 Kilometer von
Jakutsk in Sibirien nach Magadan am Pazi-
fik. Sie heißt so, weil Tausende Gefangene
aus den Gulags sterben mussten, damit die
Piste fertig wurde. Eines der letzten Aben-
teuer der Welt.

Wie meinen Sie das?
Es tut mir leid, das abschließend festhalten
zu müssen, aber die Welt, wie Christine und
ich sie entdecken durften, existiert vielerorts
nicht mehr. Wir sahen Machu Picchu in
Peru beinahe allein, in gigantischer Stille.
Heute bauen sie dort oben einen Flughafen,
um noch mehr Menschen hinaufzukar-
ren, als ohnehin dort sind. Es geht etwas
verloren.
Haben Sie dennoch einen Rat für einen
jungen Menschen, der die Welt sehen
will?
Es gilt, was vor 50 Jahren schon galt und zu
meinem Lebensmotto wurde: Das Leben ist
eine Kette verpasster Möglichkeiten. Sieh zu,
dass deine Kette kurz bleibt.

war überrascht, dass der Geländewagen Otto nicht
Holtorfs Lieblingsauto ist – sondern ein feuerroter
Mercedes W 123, den er 1978 in Jakarta gekauft
hat und bis heute fährt. Auf dem Tacho: mehr als
500 000 Kilometer. »Fast nichts«, sagt Holtorf.

MARIUS BUHL

Frederick Lau + AIRY

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