Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
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Gut eine Woche vor der Landtagswahl
in Thüringen zeichnet sich ein Kopf-an-
Kopf-Rennen zwischen der Linken und
der CDU ab. Erstmals bei einer Land-
tagswahl könnte, so das Politbarome-
ter der Forschungsgruppe Wahlen, die
Linke stärkste Partei werden. Dem-
nach würde jedoch die Koalition des
linken Ministerpräsidenten Bodo Ra-
melow mit SPD und Grünen ihre Mehr-
heit im Landtag verlieren. Dabei bevor-
zugt die Hälfte der Befragten Rame-
low als Regierungschef – und nur ein
knappes Drittel Oppositionsführer
Mike Mohring (CDU). sz

Linke knapp vorn


von hubert wetzel

Washington –An diesem Mittwoch war
Donald Trump genau 1000 Tage im Amt.
Amerika und die Welt haben sich in dieser
Zeit an viele Dinge gewöhnt, von denen
man nicht erwartet hätte, dass der Präsi-
dent der Vereinigten Staaten sie denkt, ge-
schweige denn sagt oder tut.
Aber Trump ist Trump. Und so war es
wohl nur folgerichtig, dass der Jubiläums-
tag mit der Frage endete, ob der Präsident
die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses
nun als „drittklassige Politikerin“ oder als
„Drittklässler-Politikerin“ beschimpft hat-
te, alsthird-rateoderthird-grade. Unstrit-
tig war hingegen, dass Trump Nancy Pelosi
bei einem Treffen im Weißen Haus so ange-
pflaumt hatte, dass sie aufstand und ging.
Später, als sie mit Journalisten redete, ließ
sie das Wort „Kernschmelze“ fallen. Ein
ganz normaler Tag im Washington des Do-
nald J. Trump also.
Pelosi war zu Trump gekommen, um
über Syrien zu reden. Der Präsident hat
mit seiner Entscheidung, die amerikani-
schen Truppen von der syrisch-türkischen
Grenze abzuziehen und damit de facto den
Weg für den Angriff der Türkei auf die Kur-
den frei zu machen, eine veritable Meute-
rei in Washington ausgelöst. Nicht nur die
Demokraten werfen dem Präsidenten vor,
Amerikas kurdische Waffenbrüder verra-
ten und einen gigantischen strategischen
Fehler gemacht zu haben. Auch die meis-
ten Republikaner denken so, selbst enge
Vertraute des Präsidenten.

Das ärgert Trump maßlos. Aber es freut
Pelosi, weswegen sie Trump bei dem Tref-
fen auch dezidiert darauf hinwies, dass das
Abgeordnetenhaus den Rückzug in einer
Resolution mit 354 zu 60 Stimmen missbil-
ligt hatte. Das wiederum bedeutete: Auch
mehr als zwei Drittel der 197 republikani-
schen Abgeordneten hatten gegen ihren
Präsidenten votiert, mehr als je zuvor bei ei-
ner Abstimmung im Kongress. Als Trump
von dieser Demütigung hörte, bekam er –
siehe oben – einen Wutanfall.
Trump und Syrien – das ist eine kompli-
zierte Geschichte. Denn einerseits ist der
Präsident ganz offensichtlich nach wie vor
der Ansicht, dass der Rückzug der amerika-
nischen GIs von der Grenze richtig war. Zu-
mindest sagt er das öffentlich so. Der Ab-
zug sei ein „brillantes“ Manöver gewesen,
versicherte Trump am Mittwoch gleich bei
mehreren Auftritten mit dem italienischen
Präsidenten Sergio Mattarella. Kurden, Sy-
rer, Türken, die kämpften doch schon seit
Jahrhunderten miteinander, dozierte er.
Und die Kurden, die Amerika zwar im
Krieg gegen die Kopfabschneider des „Isla-
mischen Staats“ prima geholfen hätten,
seien schließlich „keine Engel“. Es sei auch
nicht die Aufgabe der Amerikaner, Syrien
gegen einen Angriff durch die Türkei zu
verteidigen, sagte Trump.
Sein Fazit klang daher weniger wie das
des Präsidenten der einzigen echten Super-
macht der Welt, sondern eher wie das des
selbstzufriedenen Bürgers aus dem Oster-
spaziergang im „Faust“: Wenn da irgend-
wo weit hinten die Völker aufeinander-
schlagen, dann gehe das Amerika nichts
an, so Trump. Von ihm aus könnten sich
die Russen darum kümmern. „Es gibt dort
viel Sand, mit dem sie spielen können.“
Andererseits aber dämmert Trump of-
fenbar doch, dass der Abzug seiner Solda-
ten keine uneingeschränkt gute Idee war.
Der Wahlkämpfer Trump will zwar von sei-
nen Anhängern dafür gelobt werden, dass
er Amerikas „dumme, endlose Kriege“ im
Nahen Osten beendet und die Soldaten
heimholt. Aber der Präsident Trump will
doch vermeiden, für die blutigen und geo-
politisch riskanten Folgen dieses Abzugs
verantwortlich gemacht zu werden – in die-
sem Fall für den türkischen Einmarsch in
Syrien. Sonst hätte Trump am Mittwoch-
abend wohl nicht seinen Vizepräsidenten
Mike Pence und seinen Außenminister

Mike Pompeo nach Ankara fliegen lassen.
Sie sollten dort den türkischen Präsiden-
ten Recep Tayyip Erdoğan dazu überre-
den, die Invasion zu stoppen. Das war kei-
ne leichte Aufgabe für die beiden, denn da-
heim in Washington stand ihr eigener Chef
ja vor den Medien und verkündete, dass
ihm Kurden, Syrer, Türken und Russen ei-
gentlich allesamt egal seien.
Um die Verwirrung wirklich perfekt zu
machen, verteilte das Weiße Haus prak-
tisch gleichzeitig voller Stolz Kopien eines
Briefs, den Trump am Mittwoch voriger
Woche an Erdoğan geschrieben hatte. Dar-
in hatte er in einer für den diplomatischen
Schriftverkehr durchaus ungewöhnlichen

Wortwahl an die Türkei appelliert, nicht in
Syrien einzumarschieren. „Seien Sie kein
Narr!“, beschwor er Erdoğan.
Das sei, so Trump der Beweis, dass er An-
kara keineswegs „grünes Licht“ für die In-
vasion gegeben habe, wie Pelosi behaupte.
Dass dieser bizarre Brief erst drei Tage
nach einem von Trump wohl ziemlich ver-
bockten Telefonat mit Erdoğan abge-
schickt worden war, aus dem der türkische
Präsident die gegenteilige Botschaft mitge-
nommen hatte, erwähnte das Weiße Haus
natürlich nicht. Auf Erdoğan machte das
Schreiben jedenfalls keinen besonderen
Eindruck mehr. Noch am gleichen Tag be-
gann die türkische Invasion.

Als Nancy Pelosi am Mittwoch längst
wieder in ihrem Büro im Kapitol war, twit-
terte Trump ihr noch ein Foto von dem
missratenen Treffen hinterher. Es zeigt die
Demokratin, wie sie aufrecht und mit erho-
benem Zeigefinger vor Trump steht. Pelosi
sei nicht gesund „da oben“, schrieb Trump,
sie brauche Hilfe. Aber das Bild zeigte eher
das Gegenteil: einen überforderten, mies
gelaunten Präsidenten, der wie ein frecher
Pennäler zwischen seinen Beratern sitzt,
die betreten auf ihre Hände starren. Ein
drittklassiger Drittklässler – scharf und in
Farbe. Pelosi kopierte das Foto kurzerhand
und verwendete es als neues Hintergrund-
bild für ihr eigenes Twitter-Konto.

Istanbul– Recep Tayyip Erdoğan „ein
Narr?“ Wer in der Türkei so daherredet,
wie es Donald Trump sogar niedergeschrie-
ben hat, in einem Brief, nicht auf Twitter,
der könnte wegen Präsidentenbeleidigung
angeklagt werden. Deshalb, was nicht sein
darf, kann auch nicht sein: Regierungs-
treue türkische Medien haben den Trump-
Brief erst einmal für Fake gehalten. Am
Donnerstag, als alle Zweifel verflogen sind,
sorgt der „Skandal-Brief“ für ein Sturm-
tief über Ankara. „Kein Staatschef kann un-
serem Staatspräsidenten so einen Brief
schreiben, sogar mit Ausrufezeichen am
Ende“, twittert ein Kolumnist der säkula-
renCumhuriyet, das sei eine „Beleidigung
für 82 Millionen Türken“.
Halboffiziell heißt es dann, das Schrei-
ben sei „in den Müll“ geworfen worden.
Das will die Journalistin Ceyda Karan nicht
glauben. Sie twittert: „Zerrissen und weg-
geworfen? Wurde der Brief nicht ins Staats-
archiv gebracht?“ Da fühlt sich Justizminis-
ter Abdülhamit Gül zu einer Antwort her-
ausgefordert: Die Türkei habe Trump am


  1. Oktober – das Datum des Schreibens –
    um 16 Uhr ihre Antwort geschickt, indem
    sie die Syrienoffensive begonnen habe.
    In diesem Sturm landet gegen Mittag
    die höchstrangige Delegation, die Washing-
    ton seit Langem in der türkischen Haupt-
    stadt entsandt hat: Vizepräsident Mike
    Pence, Außenminister Mike Pompeo, Si-
    cherheitsberater Robert O’Brien, Syrien-
    sondergesandter James Jeffrey. Ihr Ziel: Er-
    doğan zu einem Waffenstillstand mit der
    kurdischen YPG-Miliz zu überreden – was
    dieser schon kategorisch ausgeschlossen
    hat. Er werde nicht einmal mit Pence re-
    den, hatte der türkische Präsident am Vor-
    tag verkündet. Da müsse Trump schon sel-
    ber kommen. Das nahm ein Präsidenten-
    sprecher zwar wieder zurück. Die Episode
    aber zeigt, dass Erdoğan, der selbst gern
    austeilt, sich durch Trumps Brief womög-
    lich gar nicht so beleidigt fühlte.


Am Nachmittag sitzen Pence und Erdo-
ğan dann im Präsidentenpalast auf hohen
weißen Sesseln mit einem Sicherheitsab-
stand von mehreren Metern nebeneinan-
der. Dann werden die Kameras rausge-
schickt. Vorher aber wurde noch bekannt,
dass Erdoğan am kommenden Dienstag in
Sotschi den russischen Präsidenten Wladi-
mir Putin treffen wird. Je schlechter das
Verhältnis zu den USA zuletzt wurde, desto
intensiver pflegte Ankara die Beziehungen
zu Moskau. Russland ist nach dem Rück-
zug der US-Soldaten nun der wichtigste in-
ternationale Akteur auf dem Kriegsschau-
platz in der türkischen Nachbarschaft.
Eine Sprecherin des Außenministeri-
ums in Moskau sagte am Donnerstag dazu
noch, Stabilität und Sicherheit könne es in
Syrien nur geben, wenn die syrische Regie-
rung die Kontrolle übernehme – auch an
der Grenze zur Türkei. Damit wäre der tür-
kische Traum, in einer 30 Kilometer brei-
ten „Sicherheitszone“ neue Städte für ein
bis zwei Millionen Flüchtlinge zu bauen,
wohl auch erledigt. Russland, selbst Kriegs-
partei, übte indirekt auch Kritik an der tür-
kischen Offensive. Kremlsprecher Dmitri
Peskow nannte die humanitären Folgen
des Einsatzes „beunruhigend“.
Von einem „humanitären Drama mit
großen geopolitischen Folgen“ sprach
auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in ei-
ner Regierungserklärung. Berlin werde un-
ter diesen Bedingungen „keine Waffen an
die Türkei liefern“, sagte sie. Dies geht wei-
ter, als bisher bekannt. Bislang hieß es nur,
es dürften keine Waffen exportiert wer-
den, die in Syrien eingesetzt werden kön-
nen.christiane schlötzer  Seite 4

Hamburg– Die Hamburger Wissen-
schaftsbehörde hat einen Tag nach dem
Abbruch einer Vorlesung des AfD-Grün-
ders Bernd Lucke die Störung seiner
Veranstaltung klar kritisiert. „Es geht
nicht, dass die Lehrveranstaltungen von
Herrn Lucke niedergebrüllt werden“,
erklärte die von der grünen Politikerin
Katharina Fegebank geführte Behörde.
Am Donnerstag gab der Ex-Politiker
und Wirtschaftsprofessor auch ein Se-
minar an der Uni Hamburg. Es kamen
20 bis 30 Studenten.dpa  Seite 4

Lieber Herr Präsident,

lassen Sie uns einen guten Deal ausarbeiten! Sie wollen
nicht dafür verantwortlich sein, dass Tausende Menschen
abgeschlachtet werden, und ich will nicht dafür verant-
wortlich sein, die türkische Wirtschaft zu zerstören – was
ich aber tun werde. Ich habe Ihnen davon schon ein klei-
nes Beispiel gegeben im Fall von Pastor Brunson.

Ich habe hart daran gearbeitet, einige Ihrer Probleme zu
lösen. Enttäuschen Sie die Welt nicht. Sie können einen
großartigen Deal machen. General Mazlum ist bereit, mit
Ihnen zu verhandeln, und er ist bereit, Zugeständnisse zu
machen, zu denen sie bisher nie bereit waren. Ich füge
vertraulich eine Kopie seines Briefes an mich bei, der gera-
de eingetroffen ist.

Das Urteil der Geschichte wird positiv ausfallen, wenn Sie
diese Sache ordentlich und human erledigen. Man wird Sie
aber für immer als Teufel sehen, wenn das Gute nicht
zustande kommt. Geben Sie nicht den starken Mann.
Seien Sie kein Narr!

Ich rufe Sie später an.
Hochachtungsvoll, Donald Trump

ÜBERSETZUNG: REYMER KLÜVER

Washington– Der demokratische US-
Kongressabgeordnete Elijah Cummings
ist tot. Der 68-Jährige sei am Donners-
tagmorgen (Ortszeit) in einem Kranken-
haus in Baltimore gestorben, hieß es in
einer Mitteilung seines Büro. Cum-
mings sei aufgrund von „Komplikatio-
nen im Zusammenhang mit lang jähri-
gen gesundheitlichen Problemen“ ge-
storben. Cummings stand dem Kontroll-
ausschuss des Repräsentantenhauses
vor – dies ist einer der Ausschüsse, die
die Ermittlungen für ein mögliches
Amtsenthebungsverfahren gegen US-
Präsident Donald Trump führen. Er war
ein profilierter Kritiker des Präsiden-
ten. Trump wiederum hatte Cummings
persönlich beleidigt und damit Rassis-
musvorwürfe auf sich gezogen. Cum-
mings setzte sich für schärfere Waffen-
gesetze ein. Er war auch an den Bestre-
bungen der Demokraten beteiligt, Ein-
sicht in Trumps Finanzen zu erlangen.
Der Minderheitsführer der Demokraten
im Senat, Chuck Schumer, würdigte
seinen Parteikollegen. Cummings sei
stark gewesen, wenn er stark sein muss-
te, aber er sei auch gütig, fürsorglich
und ehrenhaft gewesen. „Seine Prä-
senz, Leidenschaft und moralische
Klarheit werden fehlen“, twitterte der
Vorsitzende des Justizausschusses im
Repräsentantenhaus, Jerry Nadler.
US-Außenminister Mike Pompeo twit-
terte, er sei „betrübt“ über die Nach-
richt. dpa

Lucke lehrt – unbehelligt


Der Amerikaner und Erdoğan
sitzen nebeneinander – aber
auf Sicherheitsabstand

Donald Trumps Brief an


Recep Tayyip Erdoğan


Miese Laune


Selbst seine Republikaner geißeln Donald Trumps Syrien- und Türkei-Politik.
Das bringt den US-Präsidenten in Rage – und weiter ins Schlingern

Der Mann im Weißen Haus nennt
den Abzug brillant. Zugleich
dämmert ihm – es war ein Fehler

DEFGH Nr. 241, Freitag, 18. Oktober 2019 (^) POLITIK 7
Skandal mit
Ausrufezeichen
US-Vizepräsident Mike Pence soll
in der Türkei vermitteln
Elijah Cummings gestorben
Angaben in Prozent So sehen Wutanfälle des US-Präsidenten aus. Donald Trump soll dieser Tage mehrere gehabt haben. FOTO: ALEX BRANDON/AP
Wenn am Sonntag wirklich
Landtagswahl in Thüringen wäre...
Linke
27
AfD
20
CDU
26
FDP
5
Sonstige
5
SPD
9
Grüne
8
Schwankungsbereich nach oben und unten
SZ-Grafik; Quelle: Repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen,
1004 Befragte, Politbarometer-Extra Thüringen KW42/
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