Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
26 SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN

uerst das Eis. Mit Milch ver­
mischt und gefroren lasse sich
Durian am leichtesten probie­
ren, heißt es, weil die Kälte den
Geruch minimiere. Das Eis sieht
nach Vanille aus. Wird in Singapur an jeder
Straßenecke verkauft. Im Hörnchen oder als
Waffelschnitte.
Meine erste Durian­Eisschnitte kaufe ich
im Central Business District von Singapur auf
der Straße. Sie riecht nach dem Zeug, das deut­
schem Kochgas zugegeben wird, damit man es
bemerkt, falls es unkontrolliert austritt. Nur
viel stärker. Ich rieche Durian schon aus der
Entfernung, lange bevor der Straßenhändler
mir das Eis in die Hand drückt. Die gängigen
Reiseführer warnen grundsätzlich vor dem
Verzehr von Durian, der als abenteuerlustiger
geltende Lonely Planet empfiehlt, sich beim
Essen wenigstens die Nase zuzuhalten.
Ich befolge den Rat, aber der Fäulnis­
geschmack breitet sich im Nu auf der Zunge
und dann am ganzen Gaumen aus. Meinen
Freunden schmeckt’s bestens. Dijana und
Peter, beide Expats aus München und seit ein­
einhalb Jahren in Singapur, essen die Durian
gern und oft. Aber sie haben schon Besucher
gehabt, die sich nach dem ersten Probieren
übergaben.
Durian bedeutet Liebe auf den dritten
Biss. Es heißt, wer aus Europa komme, müsse
sie dreimal versuchen, ehe sie oder er die
Durian bewältigen könne. Beim ersten Mal
ekelten sich so gut wie alle. Beim zweiten
stelle sich ein Geschmack ein, den man nicht
recht einordnen, aber auch nie mehr ver­
gessen könne. Erst beim dritten Mal lasse
sich Durian genießen, wenn überhaupt. Bei
Dijana und Peter hat es beim dritten Mal
tatsächlich geklappt. Zwei Chancen muss ich
der Stinkfrucht noch geben.
Dem Durian­Test unterziehen sich so gut
wie alle Europäer, die Freunde in Südostasien
besuchen. Wer ihn besteht, verdient sich den
Respekt der Einheimischen. Durchfallen be­
deutet oft: Würgereiz, manchmal Erbrechen,
stundenlanges Unwohlsein. Der Geruch setzt
sich in Kleidung und Haaren fest. Zähneput­
zen hilft nicht, auch nicht mehrmaliges. Du­
rian ist schwer verdaulich. Wer versucht, das
Ganze mit Alkohol runterzuspülen, riskiert
ernsthaft das Leben. Schnaps und Durian ge­
hen nicht zusammen, der Kreislauf verträgt
das nicht. Auch ohne Alkohol sterben jedes
Jahr in Thailand und Indonesien einige Du­
rian­Liebhaber an einer Überdosis. Fotos in
indonesischen Tageszeitungen zeigen sie mit
weißem Schaum vorm Mund, als hätten sie
Tollwut gehabt.

Im Westen wird die Durian Stinkfrucht ge­
nannt. Die westliche Abscheu vor ihr ist kein
lustiges Thema, die Stinkfrucht kein Scherz­
artikel. Wissenschaftlern ist sie ein Rätsel.
Der Gestank ist biologisch durchaus sinn­
voll, denn Elefanten, Tiger, Schweine, Affen
lieben den Geruch, stürzen sich auf die
Frucht und verbreiten später mit ihrem Kot
die Samen im Wald.

Jede Küche kennt Vergorenes. Der Ekel davor
habe sich im Laufe der Evolution mit der
Toilettenkultur entwickelt, meint die Ethno­
login Maxine McBrinn. Essen, das in Geruch
oder Textur Exkrementen ähnelt, wird per
Sozialisation als abstoßend empfunden.
Dennoch haben sich einige übel riechende
Spezialitäten in verschiedenen Kulturen
durchgesetzt: alter Käse in Europa, ver­
rottetes Walfleisch bei den Inuit, Fisch sauce
in Vietnam, Kimchi in Korea, sogenannte
tausendjährige Eier in China. Und eben
Durian. An Kimchi oder Fischsauce haben
sich die Menschen in aller Welt weitgehend
gewöhnt. Aber Durian bildet eine Hürde für
die Völkerverständigung.

In Südostasien gilt rohe Durian schon ewig als
Delikatesse. Die Ureinwohner von Borneo ko­
chen die Durian mit Salz und nutzen sie als
Chutney auf Reis. In Singapur gibt es Pizza,
Püree, Kaffee, Marmelade und Käsekuchen
mit Durian. In der Nebensaison kostet eine
einzige Frucht bis zu 45 Euro. In Singapur gibt
es eigene Verkostungen, und auf einer Auktion
wurden im vergangenen Winter zwei Exem­

plare, von denen man annahm, sie müssten
besonders gut schmecken, für 500 Euro ver­
steigert. Anonyme Spender spendeten mehre­
re Millionen Dollar dafür, das Durian­Genom
in Singapur entschlüsseln zu lassen. Das ge­
lang 2017 auch, allerdings ohne herauszufin­
den, was die Durian so außergewöhnlich
macht. Sie riecht nämlich nicht nur besonders
stark, ist kalorienreich und so fett wie sonst
nur Avocados – sie ist auch gesund und soll
sogar bei Fieber und Hepatitis helfen, aphro­
disierend und potenzsteigernd sein. Durian ist
der König, verkündet ein Werbespruch in den
Läden und Straßenständen Asiens.
Maxine McBrinn erklärt sich den Genuss
als Freude am Kampf zwischen Intellekt und

DIE DURIAN BILDET EINE


HÜRDE FÜR DIE


VÖLKERVERSTÄNDIGUNG


Keinem der europäischen Besucher von Dijana (links) bleibt eine Durian-Probe erspart.
Die wenigsten haben ihre Freude daran. Unser Autor (rechts) gibt sich Mühe.

Z

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