Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
34 SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN

SZ-MAGAZIN Ein Hotelgast möchte heute
Abend in die seit Monaten ausverkaufte
Opernvorstellung. Ein Problem für sie?
WOLFGANG BUCHMANN Nein. Aber ich sag’s
nicht sofort, ein bisschen zappeln muss man
sie lassen, die Gäste.
ANNE RABER Ein Anruf. Und zu 99,99 Pro-
zent ...
FRITZ LINDNER Wir sagen in so einem Fall:
»Wir können nichts versprechen, versuchen
aber unser Bestes.« Das heißt: Unmögliches
wird sofort erledigt, Wunder dauern
et was länger.
Wo rufen Sie an?
BUCHMANN Wir haben Kartenbüros,
mit denen wir seit Jahrzehnten zusam-
menarbeiten. Täglich wird mit denen
abgestimmt: Was habt ihr noch? Habt
ihr Retouren?
RABER Auch die Oper selbst hält immer
ein paar Kärtchen zurück, weil ja je-
mand Berühmtes kommen könnte heu-
te Abend. Diese kleine Schaltzentrale
muss man kennen.
Zwei Plätze für das Champions-
League-Finale heute Abend: auch
nur ein Anruf?
LINDNER Wahrscheinlich schon. Ein-
mal hatte bei uns das Zimmermädchen
die Karten eines Gastes für ein Spiel
zwischen Bayern und Madrid aus Ver-
sehen weggeschmissen. Dann bin ich
mit der U-Bahn ins Stadion rausge-
fahren, habe meine Kontaktperson ge-
troffen und mir Ersatzkarten ausstellen
lassen. Und eine Viertelstunde vor An-
pfiff saß der Gast auf seinem Platz.
Concierges besorgen Kamelmedizin
für Ölscheichs und lassen Geschäfte
nach Ladenschluss aufsperren.
Sind solche Serviceleistungen im
Zimmerpreis inbegriffen?
RABER Das Hotel bucht natürlich auf jede
besondere Leistung etwas drauf. Das sagt
man dem Gast vorher.
Was sind denn so Wünsche, bei denen
Sie an Ihre Grenzen kommen?
LINDNER Wenn sie moralisch nicht einwand-
frei sind.
Dazu kommen wir noch, wir meinen
organisatorischer Natur.
LINDNER Bei uns hat mal eine Frau ein Stück
ihres Zahns verloren. Sie ging davon aus,
dass wir es wiederfinden. Vergeblich.
BUCHMANN Die Grenzen sind da, wo du dir
sie selbst setzt. Versuchen tut man alles.
RABER Das Nonplusultra sind Beziehungen.
Und je länger man dabei ist, desto besser ist
das Netzwerk. Als ich noch in Paris im Hotel

»George V« arbeitete, sollte ich zu Silvester
einen bestimmten Sportwagen besorgen.
Habe ich nicht hinbekommen. Hatte ich
noch nicht genug Beziehungen.
LINDNER Bei uns wollte mal einer an Weih-
nachten einen Lamborghini mieten. Da
mussten wir passen. Der Gast hat ihn dann
einfach gekauft.
RABER Man ist manchmal erstaunt, wozu
Gäste bereit sind.
BUCHMANN Am Ende ist es immer eine Fra-
ge des Geldes.
LINDNER Manchmal kommt man auch mit
Tricks weiter. Eines der besten Restaurants in
München war lange Zeit der »Königshof«.
Die beliebtesten Tische waren vorne, mit
Blick zum Stachus. Da gab es einen Tisch,
der war jeden Abend auf einen Dr. Frei reser-
viert, den es gar nicht gab. Den haben wir
manchmal reserviert. Den Gästen mussten

wir dann sagen: »Sie heißen heute nicht
Müller oder Maier, sondern Dr. Frei.« Und
meistens hat das geklappt.
Wie baut man die nötigen Kontakte
auf?
LINDNER Am besten man fängt mit den
Oberkellnern der besten Restaurants an.
BUCHMANN Ich habe einige Kontakte von
meinem Vorgänger übernommen. Aber Kon-
takte sind etwas Lebendes, manche schlafen
wieder ein, du musst neue knüpfen. Dazu
brauchst du ein gesundes Misstrauen,
denn Kontakte knüpft man relativ
schnell, aber nicht jeder ist seriös.
RABER Natürlich kommen auch Leute
auf uns zu. Restaurants, die einen zur
Probe einladen. Boutiquen, die nach
Ladenschluss öffnen, um uns ihre Neu-
heiten zu präsentieren.
BUCHMANN Restaurants muss man
wirklich selbst ausprobieren. Ich kann
den Gast ja nicht als Versuchskanin-
chen hinschicken.
Was war der bizarrste Wunsch, der
je an Sie herangetragen wurde?
LINDNER 1996 logierten die drei Tenöre
bei uns. Luciano Pavarotti wollte eine
eigene Küche in seiner Suite haben,
damit er seine Spaghetti kochen kann.
Innerhalb von zwei Tagen hatte er die.
Und als er abgereist ist, hat man sie wie-
der abgebaut und versteigert.
BUCHMANN Ich hatte einen Stammgast,
einen geborenen Wiener, der im Aus-
land lebte. Nur seine alte Tante war
noch in Wien, und die ist plötzlich ge-
storben. Er war aber unabkömmlich,
konnte nicht nach Wien kommen, um
das Begräbnis zu organisieren. Also rief
er mich an: »Sie machen das schon!« Aller-
dings hatte er einen speziellen Wunsch. Seine
Tante habe immer in einer engen Innenstadt-
wohnung gelebt. Es sollte ein Grab mit Son-
nenschein und Ausblick sein. Das hat sie dann
bekommen, und ich hoffe, sie genießt es.
RABER Von mir wollte ein älterer Herr ein-
mal Zange und Desinfektionsmittel. Er war
Zahnarzt und wollte seinem Enkel im Hotel-
zimmer einen Zahn ziehen. Nie vergessen
werde ich auch die Familie aus dem osteuro-
päischen Raum, die sich zum vierten Ge-
burtstag der Tochter Luftballons wünschte,
in denen lebende Schmetterlinge fliegen
sollten. Konnte ich leider nicht erfüllen.
Das grenzt an Schikane.
RABER Sagen wir mal so: Kamelmedizin ist
einfacher zu besorgen. Oder ein Rennpferd.
Aber auch bei solchen vermeintlich ein-
fachen Wünschen gibt es Grenzen.

ANNE RABER


Die gebürtige Saarländerin ist seit 2006
Head Concierge im »Hotel de Rome« in
Berlin. Davor arbeitete sie im »Four Seasons«
in Berlin, im »George V« in Paris sowie
im »Mandarin Oriental« in Jakarta. Ihr Ge-
heimtipp für Berlin: das Museum und
Baudenkmal »Tieranatomisches Theater«.

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