Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
36 SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN

Er sah sich das eine Weile an und erteilte ihm
dann Hausverbot.
BUCHMANN Das kann nur der Besitzer selbst
machen. Uns sind da die Hände gebunden.
Es kommt aber schon vor, dass ich ein Ge-
spräch abbreche, wenn ich merke, es eska-
liert gleich. Es gibt Gäste, die sind einfach
auf Stunk gebürstet. Lustigerweise werden
diese Gäste oft Stammgäste.
Wie das?
RABER Oft sind das Gäste, die genau wissen,
was sie wollen. Und wenn was nicht
klappt, schrauben sie sich hoch, merken
dann aber, dass man sich doch bemüht
hat, lenken ein und werden überaus
nachsichtig.
Manche Rockstars betrachten
Hotelzimmer als willkommene
Bühne, um die Sau rauszulassen.
Haben Sie diesbezüglich Erfah-
rungen gemacht?
RABER Gibt es diese Rockstars noch?
BUCHMANN Das war früher, als ich
jung war, ein Thema, jetzt kaum mehr.
Dass mir einer das Zimmer zerlegt, ist
mir in 40 Jahren nicht untergekommen.
LINDNER Doch, doch, bei uns schon.
2002, als sich die Band Oasis mit ande-
ren Gästen prügelte, ging in unserem
Nachtclub was zu Bruch. An jenem
Abend hatte ich aber frei. Sigi Sommer,
der AZ-Kolumnist, hat einmal mit sei-
ner Zigarette aus Versehen unsere Sau-
na abgefackelt.
RABER Bei uns stand mal einer in seiner
getigerten Unterhose auf dem Flur, voll
mit Drogen, und sprühte mit dem Feu-
erlöscher herum, haute Spiegel kaputt.
Aber der war nicht so bekannt. Das ist
die Ausnahme. Rockstars kommen heutzu-
tage mit ihren Kindern und wollen Fahrräder
leihen. Die wollen eher abschalten als sich
aufführen. Man erkennt sie auch kaum noch.
LINDNER Stimmt. Mich hat einmal meine
Frau nach Feierabend vom Hotel abgeholt, als
zwei Amerikaner reinkamen, mit so Jesus-
latschen, und ihre Rucksäcke in der Halle
abstellten. Da sagt meine Frau: Willst denen
nicht noch schnell das Gepäck hinterhertra-
gen? Wieso, sage ich, kennst du die? Ja, sagt
sie, der eine ist auf jeden Fall Mel Gibson.
BUCHMANN Promis wollen heute ein biss-
chen ins normale Leben eintauchen. Dann
sind die wie zahme Lämmchen, wollen ei-
nen Reiseführer engagieren, der ihnen die
Stadt zeigt.
Das zugeneigte Benehmen der
Concierges wird immer wieder anonym
getestet. Was wird da geprüft?

LINDNER Zum Beispiel, dass man das Tele-
fon nicht länger als dreimal klingeln lässt,
bevor man hingeht. Ob man lächelt, wenn
man den Zimmerschlüssel herausgibt.
RABER Man darf den Gast nicht unterbre-
chen, wenn er spricht.
BUCHMANN Es gibt Regeln, wie lange es dau-
ern darf, bis ich dem zweiten Gast in der
Schlange durch Zunicken oder Blickkontakt
meine Aufmerksamkeit schenke. Etwa zehn
Sekunden bis zum Kontakt, innerhalb einer
Minute muss ihm geholfen werden.
RABER Neuerdings wird man auch auf Em-
pathie geprüft. Wenn der Gast hustet, sollte
man was sagen wie: »Oh geht’s Ihnen heute
nicht so gut?« Wenn der Gast fragt, wo es zur
Apotheke geht: »Oh, geht’s Ihnen heute
nicht so gut?« Bang, hat man den Punkt!
LINDNER Wenn jemand fragt, wo geht’s zum
Reisebüro, darfst du nicht sagen, hier lang

bitte, sondern: »Kann ich diesbezüglich etwas
für Sie tun?«
Auch Concierges haben mal schlechte
Laune. Ihr Mittel dagegen?
RABER Schlechte Laune gibt es nicht. Nicht
vor dem Gast.
BUCHMANN Ganz ehrlich, ich bin ein Mor-
genmuffel. Wenn ich Frühdienst habe, muss
ich um Viertel vor vier aufstehen. Dann sitze
ich im Zug um vier Uhr dreißig, suche mir
meine Ecke und muffle vor mich hin. Und
wenn ich ins Hotel komme, habe ich
eine gewisse Ausgeglichenheit erreicht.
Ihre Strategie, wenn ein Stamm-
gast freudig grüßend auf Sie
zukommt und Ihnen der Name
nicht einfällt?
BUCHMANN Das ist ein Problem.
LINDNER Ich hab mir immer Esels-
brücken gemacht! Roger Whittaker?
Alles roger. So was.
BUCHMANN Wenn der Gast reserviert
hat, kann man unauffällig im Buch
nachschauen, meistens fällt es einem
dann ein. Hat er schon eingecheckt,
fragst du zwischendurch: »Mei, was ha-
ben Sie denn diesmal für ein Zimmer
bekommen?« Und über die Zimmer-
nummer kommst du an den Namen.
Du musst dich herantasten.
LINDNER Heute trainierst du dein Hirn
nicht mehr. Wenn du nicht mehr weißt,
wie der Lebensgefährte eines promi-
nenten Gastes heißt, dann googelst du
das. Ich versuche, wenig zu googeln.
Ich warte dann einfach zwei, drei Mi-
nuten, halte das aus. Und plötzlich ist
der Name wieder da.
RABER Manchmal schafft man es auch
ohne Namen. Man erinnert sich, dass der
Gast gern in die Oper geht. »Kommen Sie
wieder zur Oper?« Dann hat der Gast auch
das Gefühl, dass ich ihn kenne.
Verspüren Sie manchmal Neid auf das
privilegierte Leben Ihrer Gäste?
BUCHMANN Nicht intensiv. Als ich noch
nicht verheiratet war, wollte ich meiner Frau
ein wenig imponieren mit meinem Beruf,
in dem ich viele berühmte Persönlichkeiten
kennenlerne. Aber ich wollte nie eine Rolex
für 50 000 Euro haben. Ich darf mich wohl
mit den Wünschen meiner Gäste identifizie-
ren, aber ich darf sie nicht zu meinen eige-
nen machen. Manche junge Kollegen ma-
chen es doch, die sind aber nicht lange dabei.
RABER Wir sind ja privilegiert, werden ein-
geladen, bekommen Freikarten, weil wir
bestimmte Sachen kennenlernen müssen.
Diese Annehmlichkeiten reichen mir.

WOLFGANG BUCHMANN


begann 1976 im Empfang des Hotels
»Sacher« in Wien. Zwischenzeitlich leitete
er mehrere »Wienerwald«-Restaurants,
kehrte aber 1983 zum »Sacher« zurück und
wurde 2003 Chefconcierge. Sein
Geheimtipp für Wien: die Otto-Wagner-
Villa mit dem Privatmuseum über
Ernst Fuchs, einen Vertreter der Wiener
Schule des Phantastischen Realismus.

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