Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
38 SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN

Sind Sie noch befangen, wenn Promi-
nente oder Regierungschefs bei Ihnen
einchecken?
BUCHMANN Solche Persönlichkeiten tragen
normalerweise keinen Wunsch an uns heran,
sondern haben ihr Team, das sie dann beauf-
tragen, um ihn uns zu übermitteln.
LINDNER Für mich war immer egal, ob Bill
Gates vor mir steht oder ein Rucksacktourist
nach dem Weg zur U-Bahn fragt. Der wich-
tigste Gast ist immer der, der gerade vor
einem steht.
RABER Andererseits, wenn Bill Gates hinter
einem anderen Gast steht und wartet, wird
man schon nervös. Ging mir bei Michael
Douglas zumindest so. Man ist dann immer
noch freundlich zu dem anderen Gast,
nimmt aber schon Augenkontakt zu Douglas
auf. Meistens sind die aber eh tiefenent-
spannt. Überhaupt: Wenn die Assistenten
der berühmten Person nett sind, dann sind
sie es selbst meistens auch.
In Filmen wie Grand Budapest Hotel oder
Ein Concierge zum Verlieben sind Concier-
ges regelmäßig in amouröse Abenteuer
mit ihren Gästen verwickelt. Wie gehen
Sie mit Avancen Ihrer Gäste um?
BUCHMANN Das gibt es in jedem Beruf. Man-
che Singlereisende legen es darauf an zu flir-
ten. Aber das ist menschlich. Wenn’s dem
Ego guttut, warum denn nicht? Das muss
man spielerisch lösen. Es gibt natürlich eine
Grenze.
Wie erteilt man eine Abfuhr, ohne un-
höflich zu sein?
BUCHMANN Man darf es erst gar nicht zu
einer Abfuhr kommen lassen.
LINDNER Aus den USA ist die Geschichte
von Jack Nargil aus dem »Four Seasons« in
Washington überliefert. Er sollte einen Stadt-
plan in die Suite einer berühmten Schauspie-
lerin bringen, wo sie ihn textilfrei empfing.
Da muss man cool und höflich bleiben.
RABER Wer es nicht tut, würde nicht lange
in diesem Job überleben. Man wird schon
mal flapsig gefragt, ob man mit zum Abend-
essen kommt. Dann sagt man, oh, nett, dan-
ke, aber heute ist ganz schlecht.
LINDNER Eine Ärztin aus Köln bat mich ge-
legentlich, die Tageszeitung aufs Zimmer zu
bringen. Sie wusste, dass ich bald in Rente
gehe. Mit ihr habe ich gerne geplaudert, so-
weit es mir die Zeit erlaubte.
RABER Aber, ja, das gibt es wirklich: Die Tür
geht auf, und vor dir steht einer nackt im
Bademantel. Wer diesbezüglich auffällig
wird, landet auf einer schwarzen Liste. Weib-
liche Gäste zum Beispiel, die ausdrücklich
nur männliche Masseure wünschen.

LINDNER Natürlich werden immer mal wie-
der Zimmermädchen angebaggert.
RABER Das wird weitergegeben ans Manage-
ment, das den Gast dann darauf anspricht.
BUCHMANN Wir als Concierges stehen mit-
ten im Geschehen, wir sind da nicht so ge-
fährdet. Kritischer ist es im Spa-Bereich, weil
da zwangsläufig eine gewisse Intimgrenze
überschritten wird. Einen Gast, der hier
übergriffig wird, kann man nicht halten.
Als Sie drei in Ihrem Beruf anfingen,
gab es keine Smartphones und keine
Bewertungsportale. Wie hat der Gast
sich im Vergleich zu früher verändert?
BUCHMANN Das geht einher mit der gesell-
schaftlichen Entwicklung. Man selbst ändert
sich ja auch. Ich bin zum Beispiel viel unge-
duldiger als früher, weil sich viele Probleme
schnell mit E-Mail, mit Google, mit Whats-
App lösen lassen. Diese Ungeduld hat der
Gast eben auch. Alles muss sofort passieren.
Auf der Strecke bleibt leider oft die gegensei-
tige Wertschätzung. Ein Danke, ein Bitte.
LINDNER Früher kam der Gast ans Desk, bat
um eine Reservierung in einem Restaurant,
wartete, während man dort anrief. Heute war-
tet der nicht mehr, sondern sagt, schicken Sie
mir eine SMS, und ist bei der Tür hinaus.
Manche Gäste reservieren parallel woanders
und entscheiden nach Laune, wo sie hingehen.
Daher akzeptieren manche Restaurants Reser-
vierungen nur noch gegen Nennung der Kre-
ditkartennummer. Bei Nichterscheinen wer-
den 100 Euro Vertragsstrafe abgebucht.
RABER Man kann beide Seiten verstehen,
kriegt es aber auch von beiden Seiten ab. Der
Gast sagt, er kommt auf jeden Fall, nur spä-
ter, weil der Zug Verspätung hat. Das Restau-
rant ruft an, wo ist dein Gast?
LINDNER Ich hatte mal eine Reisegruppe, die
hatten einen Tisch reserviert für 16 Uhr in
einem Oktoberfestzelt und riefen an, sie kä-
men erst gegen 19 Uhr, ob das klargehe?
BUCHMANN In so einem Fall bist du der
Prellbock.
LINDNER Ich habe dann meine Tochter an-
gerufen. Sie hat ein paar Freundinnen orga-
nisiert und mit denen den Tisch freigehalten.
RABER Der Trend geht dahin, dass alles ver-
traglich abgesichert wird. Das fängt bei Da-
tenschutzerklärungen an und hört da auf,
dass wir Gästen keine Kopfschmerztabletten
mehr aushändigen dürfen ohne Einverständ-
niserklärung.
Das höchste Trinkgeld, das Sie je
bekommen haben?
RABER Ach, Geld, das ist schön, nimmt man
gern, aber Geschenke, die von Herzen kom-
men, sind schöner. Einmal brachte ein brasi-

lianisches Paar fürs ganze Team Flipflops
mit, so was merkt man sich.
LINDNER Maximilian Schell hat mir kurz vor
seinem Tod bei der Verabschiedung an der
Drehtür zwei Scheine hingehalten, einen
Fünfziger und einen Hunderter, und gefragt,
welchen ich haben möchte. Ich meinte, ich
würde ihn nicht zum Auto begleiten, damit
ich ein Trinkgeld bekomme. Darauf drückte
er mir den grünen Schein in die Hand. Das
ist meine letzte Erinnerung an ihn.
BUCHMANN Ich bekam von einem japa-
nischen Paar einen Stempel mit den Schrift-
zeichen für »Buch« und »Mann«. Das hat mich
gerührt.
Concierges werden wie Barmännern the-
rapeutische Fähigkeiten zugerechnet.
Wie oft weinen sich Gäste bei Ihnen aus?
BUCHMANN Das kommt vor. Als junger Con-
cierge musste ich viele Nachtdienste machen.
Da gab es dieses frisch verlobte Pärchen, das
eine Liebesreise nach Wien gemacht hatte.
Abends, wenn sie vom Restaurant kamen,
haben wir oft noch geplaudert. Die sind mir
richtig ans Herz gewachsen. Nach drei Tagen
passiert es, dass er allein zurückkommt: Sie
hätten sich gestritten. Na ja, dachte ich, das
kommt vor. Als er auf seinem Zimmer war,
kam sie herein und fing sofort an, wie fürch-
terlich alles sei, aber Gott sei Dank habe sie
das noch vor der Hochzeit bemerkt, und sie
brauche ein anderes Zimmer. Eigentlich
mische ich mich nicht in private Angelegen-
heiten meiner Gäste ein, aber da habe ich
eine Ausnahme gemacht. Ihr schickte ich
rote Rosen aufs Zimmer, ihm eine Flasche
Champagner mit zwei Gläsern. Am nächsten
Morgen kamen sie wieder gemeinsam herun-
ter und warfen mir verstohlene Blicke zu.
LINDNER Es gibt auch Ehepaare, die viele
Jahre kommen. Stirbt ein Partner, hörst du
zwei Jahre nichts, und dann kommt nur
noch einer.
BUCHMANN Und du hörst dir ihre Geschich-
ten an. Wie einsam sie sind.
LINDNER Das Zuhören ist unheimlich wich-
tig in unserem Job.

führten das Interview zur Mittagszeit mehr als zwei
Stunden lang auf der Dachterrasse des »Bayerischen
Hofs«, ohne ihren weit gereisten Gesprächspartnern
etwas zu essen zu organisieren. Das wäre Concier-
ges nicht passiert.

THOMAS BÄRNTHALER und
TOBIAS SCHARNAGL

Wir bedanken uns herzlich beim Hotel »Bayerischer Hof«, München

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