Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
46 SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN

nlängst wollte ich einen alten Freund treffen, der in
der Stadt war. Ich schlug einen Ort vor, der gut er-
reichbar war, an dem man früh oder spät aufkreuzen
konnte, der etwas Unverbindliches, aber auch Vertrautes
haben sollte: die Bar in Bahnhofsnähe. Dort standen wir
allerdings erst mal Schlange, denn die Bar hatte einen Tür-
steher. Als wir drinnen waren, fanden wir uns in einem engen
Raum mit viel Sichtbeton wieder, der etwas von einem
futuristischen Bunker hatte. Es wurde kein langer Abend.
Es war nicht das erste Mal, dass ich mich in einer Bar
fühlte wie in einer Galerie, in der gleich eine Kunstperfor-
mance abgeht. Bars sind Räume geworden, an denen sich
Designer beweisen müssen und die man aufsucht, um etwas
geboten zu bekommen. Wie in der Spitzengastronomie, in
der es auf das Essen genauso ankommt wie auf die Inszenie-
rung des Essens. Längst werden auch an Bars Auszeich-
nungen vergeben wie Sterne oder Punkte an Restaurants. So
wählen Experten jeden Herbst unter anderem die »Bar des

Jahres«. Da gewinnen Lokale, in denen Essenzen und
Konzentrate hergestellt und die Zutaten für Cocktails im
Dehydrator, in einer Zentrifuge oder Osmoseanlage behan-
delt werden. Oder die einen »Old Cuban« servieren, der in
der Karte als »gediegene Variante des Mojitos«, in der »Rum,
Limette, Zucker, Bitters und Minze ihr Paillettenkleid im
Licht prickelnden französischen Schaumweins drehen«, be-
schrieben wird.
Ich habe nichts gegen Verfeinerung. Ich finde es sogar
großartig, wenn ein Rum-Limetten-Champagner-Minz-Mix
zu einem Gesamtkunstwerk wird, über das man mit dem
Barkeeper eine Art Kuratorengespräch führen kann. Ich fra-
ge mich nur, ob es das ist, was eine Bar ausmacht. In einer
Bar geht es ja nicht in erster Linie um Geschmack und Ge-
nuss, sie ist ein soziales Gebilde. Wo man bei anderen Leuten
Halt findet oder allein am Tresen hängt, wo man nach drei
Drinks jemandem sein Interesse gesteht und froh ist, dass
der andere so viel trinkt, dass er das am nächsten Tag verges-
sen haben wird.
Bars sind Orte der Uneindeutigkeit, Transit-Orte, an de-
nen man sich findet und wieder verliert, an dem der Quer-
schnitt der Gesellschaft zusammenkommt. Eine Bar kann
eine Projektionsfläche für Sehnsüchte sein und die Bühne
für große und kleine Dramen, Bars haben die Kunst und die
Popmusik angeregt, viele Schriftstellerkarrieren und Film-
klassiker wären ohne Bars nicht denkbar.
Ich stelle mir gerade vor, wie Humphrey Bogart und
Ingrid Bergman sich in »Rick’s Café Américain« in Casa-
blanca treffen, während die Welt in Flammen steht, sie aber
noch diesen Wahnsinnsmoment zwischen Mann und Frau
haben, in dem alles unausgesprochen und doch klar ist. Und
dann sagt Ingrid Bergman, sie brauche jetzt dringend etwas
aus der Zentrifuge, vielleicht diese »gediegene Variante des
Mojitos, in der Rum, Limette, Zucker, Bitters und Minze ihr
Paillettenkleid im Licht prickelnden französischen Schaum-
weins drehen«. Nein, das geht nicht. Ich glaube, dass viele
große Szenen des Lebens in einer Bar spielen, aber nicht
unbedingt in der Bar des Jahres.

GETRÄNKEMARKT

Bar des Jahres


Kann man dort zur Ruhe kommen, wo alles glatt ist und Rum im


Paillettenkleid daherkommt?


U


schreibt hier im Wechsel mit Simone Buchholz, Tobias Haberl und
Lara Fritzsche über Getränke, die es verdient haben.

VERENA MAYER

Foto: Maurizio Di Iorio

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