Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1

Huawei


US-Drohungen


lassen


Seehofer kalt


Dietmar Neuerer Berlin


B


undesinnenminister Horst
Seehofer (CSU) hat die Ent-
scheidung der Bundesregie-
rung verteidigt, dem chinesischen
Netzwerkausrüster Huawei die Mög-
lichkeit einzuräumen, sich am Auf-
bau des 5G-Netzes in Deutschland zu
beteiligen. „Gelassenheit ist der beste
Wegbegleiter“, sagte Seehofer bei der
Vorstellung des jährlichen Lagebe-
richts des BSI zur IT-Sicherheit am
Donnerstag in Berlin. Der Minister
reagierte damit auf die massiven Vor-
behalte der USA.
Die US-Regierung hatte die Bun-
desregierung gedrängt, Huawei vom
Aufbau des neuen Netzes, das auch
für Anwendungen in der Industrie
und in sicherheitsrelevanten Berei-
chen große Bedeutung hat, auszu-
schließen.
Ein Regierungsvertreter hatte so-
gar die Geheimdienstkooperation mit
Deutschland infrage gestellt. „Um
den Austausch von Geheimdienstin-
formationen mit Regierungen wie in
Deutschland fortzusetzen, müssen
wir sicherstellen, dass es nur vertrau-
enswürdige Anbieter in unserem
5G-Netz gibt“, hatte Robert Strayer,
Deputy Assistant Secretary für Cyber
and International Communications
im US-Außenministerium, gesagt.
Sollte das nicht der Fall sein, müssten
die USA ihren Informationsaustausch
überdenken.
Seehofer sagte dazu, man sei in
Kontakt mit den Amerikanern. Bisher
habe man immer „alles lösen“ kön-
nen, gab sich der CSU-Politiker zuver-
sichtlich. Man solle das Thema daher
„mit Gelassenheit“ behandeln.
Laut einem Sicherheitskatalog der
Bundesnetzagentur müssen Lieferan-
ten für den 5G-Mobilfunkausbau eine
Erklärung der Vertrauenswürdigkeit
abgeben und zusichern, keine ver-
traulichen Infos ins Ausland weiterzu-
leiten. Wesentlich sei der Nachweis
der Vertrauenswürdigkeit einer Fir-
ma, betonte Seehofer. „Unser Ansatz
ist ein technologischer“, fügte der
Minister hinzu. „Wenn wir Bedenken
haben, dann sollten wir eine techno-
logische Antwort geben. Die gibt es.
Darauf setze ich.“


Große Cyberbedrohung


Eine zentrale Rolle spielt dabei das
Bundesamt für Sicherheit in der In-
formationstechnik (BSI). BSI-Präsi-
dent Arne Schönbohm wies auf die
umfassende Erfahrung seiner Behör-
de im Bereich der Zertifizierung hin.
„Wir glauben, dass wir das können“,
sagte Schönbohm. „Wir werden un-
sere Erfahrungen bei der Überprü-
fung der 5G-Komponenten zum Ein-
satz bringen.“
Wie wichtig IT-Sicherheit ist, zeigt
auch der Lagebericht des BSI, der
die Zeit von Juni 2018 bis Mai 2019
abbildet. Schönbohm sprach von ei-
ner anhaltend großen Cyberbedro-
hung. Die Zahl der Schadsoftware sei
auf 900 Millionen angestiegen, allein
im September von 300 000 auf
450 000 täglich. Die Konsequenzen
liegen für Seehofer auf der Hand:
„Wir müssen als Gesellschaft begrei-
fen, dass unsere digitalisierte Zu-
kunft untrennbar mit der konse-
quenten Umsetzung von IT-Sicher-
heit verbunden ist.“


Donata Riedel Berlin

D


ie deutsche Industrie
drängt es über irdische
Grenzen hinaus. „Ein
gutes Projekt wäre ein
deutscher Weltraum-
bahnhof “, sagt BDI-Präsident Dieter
Kempf. Und wenn die USA 2024 wie-
der Menschen zum Mond schicken,
dann sollte eine deutsche Astronau-
tin mit an Bord sein, findet er.
Der Präsident des altehrwürdigen
Industrieverbands meint diese Vor-
schläge durchaus ernst.
50 Jahre nach der ersten Mondlan-
dung veranstaltet der BDI an diesem
Freitag seinen ersten Weltraumkon-
gress. Das Ziel: Endlich soll es den
großen Schub für die kommerzielle
Raumfahrt, „Newspace“ genannt,
auch in Deutschland geben.
Die Forderungen nach einer deut-
schen Frau auf dem Mond und ei-
nem Weltraumbahnhof für Kleinra-
keten, die Satelliten ins All tragen,
sind die Kernforderungen in Kempfs
Redemanuskript für den BDI-Welt-
raumkongress in Berlin. Die Rede lag
dem Handelsblatt vorab vor.

Wie so oft bei Zukunftstechnolo-
gien sind deutsche Forscher und
deutsche Firmen auch in der Raum-
fahrt sehr weit vorn dabei, solange
es um die Entwicklung neuer Tech-
nik geht. Bei der Umsetzung in kom-
merzielle Projekte geht aber nur
langsam voran. „Raumfahrt ist für
das Industrieland Deutschland ein
Schlüssel für Zukunftstechnologien“,
so Kempf.
In seiner „Berliner Weltraumer-
klärung“ fordert der BDI ein Welt-
raumgesetz mit wettbewerbsfähigen
Haftungsgrenzen für Firmen, staatli-
che Unterstützung bei der Vermei-
dung von Weltraumschrott und in-
ternationale Regeln für den Welt-
raumbergbau.

Neue Geschäftsmodelle
Jeder für Weltraumtechnik eingesetzte
Euro schaffe einen Nutzen im Wert
von vier Euro in Europa, sagt Johann-
Dietrich Wörner, Direktor der Euro-
päischen Raumfahrtagentur ESA.
Die Nutzung von Satelliten hat den
Alltag durchdrungen – vom Navigati-

onsgerät bis zur Wettervorhersage.
Satellitendaten eignen sich außerdem
als Basis für viele weitere Geschäfts-
modelle. So lässt sich die Infrastruk-
tur von Unternehmen aus dem All
überwachen. Die Deutsche Bahn
zum Beispiel kann so kontrollieren,
ob Bäume Gleise blockieren. Und
wenn die Idee vom autonomen Auto-
fahren Realität werden soll, wird
auch das nicht ohne exakte Positions-
daten von Satelliten gehen.
Die Europäer mit ihrer Weltraum-
agentur ESA, die Ariane-Raketen
baut und sich an den Weltraumfor-
schungsmissionen auf der ISS betei-
ligt, sind keineswegs technologisch
abgehängt. In Deutschland zählen
Airbus und OHB in Bremen zur Welt-
spitze, gemeinsam mit Mittelständ-
lern und kleinen Start-ups wie Planet
Labs: Die Tochter einer US-Firma
steuert vom Berliner Ku‘damm aus
einen Schwarm von Mini-Satelliten,
die täglich die Erde abfotografieren.
Bauern zum Beispiel können darauf
erkennen, ob sich Dürreschäden
ausbreiten.
„Die deutsche Industrie verfügt
über eine weltweit einmalige Kern-
kompetenz in der Raumfahrt“, sagt
Kempf. Wenn die US-Raumfahrtagen-
tur Nasa 2024 ihr neues bemanntes
Raumschiff Orion zum Mond schickt,
wird das European Service Modul
(ESM) eine systemkritische Kompo-
nente sein. „Das halbe Raumschiff
wird in Bremen gebaut. Wir liefern
den Amerikanern damit den Weg
zum Mond“, sagt Thomas Jarzombek
(CDU), Raumfahrtkoordinator im
Bundeswirtschaftsministerium, dem
Handelsblatt.
Woran es in Deutschland trotzdem
mangelt, sind staatliche Raumfahrtin-
vestitionen. Die viertgrößte Industrie-
nation liegt mit ihrem nationalen
Programm für Raumfahrt mit 297
Millionen Euro international nur auf
Platz 8. „Die Bundesrepublik sollte
das Programm mindestens auf das
Niveau des französischen Budgets
von mehr als 700 Millionen Euro er-
höhen“, fordert Kempf.
Ein staatliches Projekt mit Signal-
wirkung wäre ein Weltraumbahnhof
in Deutschland, so der BDI. Von die-
sem aus könnten kleine Raketen, so-
genannte Micro-Launcher, Mini-Satel-
liten in den Orbit befördern. Das wä-
re Rückenwind auch für die Firmen
Isar Aerospace, Hyimpulse und OHB,
die hierzulande Micro-Launcher ent-
wickeln. Die auch von der Bundes-
wehr genutzten Flugplätze Rostock-
Laage und Nordholz in Niedersach-
sen halten Weltraumenthusiasten für
geeignet. Jarzombek ist skeptisch:
Starts von den erheblich einsameren
Azoren oder aus Schottland hält er
für leichter umsetzbar.
Der BDI fordert außerdem, dass
bereits 2024, beim ersten Start des
US-Raumschiffs Orion zum Mond, ei-
ne deutsche Astronautin an Bord sein
solle. Die Werbewirkung für die deut-
sche Raumfahrt und nebenbei für
technische Berufe wäre enorm, ist
Kempf überzeugt.
Finanziert von der privaten Initiati-
ve „Die Astronautin“, trainieren be-
reits zwei Frauen, Insa Thiele-Eich
und Suzanna Randall, für Aufenthal-
te im All. Allerdings werden bisher
nicht Mondmissionen, sondern Ein-
sätze auf der ISS trainiert. Und bei
der ESA steht als Nächstes wieder ein
Mann, Matthias Maurer, auf der Liste
der ISS-Astronauten.

Raumfahrt


Die Industrie will


zum Mond


Der BDI startet eine Offensive zur Kommerzialisierung


des Alls und regt einen Mini-Weltraumbahnhof an.


Außerdem will er eine Frau zum Mond schicken.


Mond-Station in einer Esa-Studie:
Die deutsche Industrie will sich im
Bereich Raumfahrt gut aufstellen
und Chancen nutzen.

dpa/ESA

Das halbe


Raumschiff


wird in Bremen


gebaut.


Wir liefern


den Ameri -


kanern damit


den Weg zum


Mond.


Thomas Jarzombek
Bundeswirtschafts -
ministerium

Wirtschaft & Politik
WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
12

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