Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
„Wo ein Wille ist, ist auch
ein Deal – wir haben einen!“
Jean-Claude Juncker,
EU-Kommissionspräsident, zum
Entwurf für einen Brexit-Vertrag mit
Großbritannien

„Seien Sie kein harter Kerl.
Seien Sie kein Narr!“
Donald Trump, US-Präsident, hat den
türkischen Präsidenten Recep Tayyip
Erdogan in der vergangenen Woche in
einem eigenwilligen Brief zu einer friedlichen
Lösung im Nordsyrien-Konflikt aufgerufen.

Stimmen weltweit


Nach den Rassismus-Entgleisungen bulgarischer
Fußballfans bei einem EM-Qualifikationsspiel
befasst sich die bulgarische Zeitung „Sega“ mit
dem Umgang mit rechtsextremen
Gruppierungen und Parteien:

D


eutschland ist das Land, dass es hartnä-
ckig vermeidet, Gruppierungen wie die
Alternative für Deutschland an die Regie-
rung kommen zu lassen. Die führenden politi-
schen Parteien überwinden ihre politischen Dif-
ferenzen, um die Legitimierung solcher politi-
schen Formationen nicht zuzulassen, die in der
Gesellschaft mit der Ausrede parasitieren, dass
sie demokratisch gewählt sind.
Deutschland weiß besser als jeder andere, dass
auch Hitler auf demokratischem Wege an die
Macht gekommen ist. Die Demokratie ist keine
Rechtfertigung, solche Formationen zu tolerie-
ren. Ähnliche Herangehensweisen, um politische
Hassbewegungen zu umgehen, gibt es auch in
anderen Staaten. Die Wahlen in Nordmazedo-
nien, Neuseeland, in Frankreich, Holland und so-
gar in Deutschland haben in den vergangenen
Jahren gezeigt, dass man Wahlen auch mit positi-
ven Botschaften gewinnen kann.

Zur türkischen Militäroffensive in Nordsyrien
schreibt die spanische Zeitung „El País“:

S


eit (US-Präsident) Donald Trump den Ab-
zug der US-Truppen angeordnet und dem
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdo-
gan grünes Licht für eine Offensive gegen kurdi-
sche Milizen in Nordsyrien gegeben hat, ist alles,
was schieflaufen kann, auch wirklich schiefgelau-
fen. (...) Mit dem vorzeitigen Rückzugsbefehl
ist Trump in ein Wespennest getreten, das die
Komplexität und Grausamkeit des Syrienkriegs
zusammenfasst. Der türkische Angriff hat eine
chaotische und gefährliche Situation ausgelöst,
die einen klaren Sieger hat: den Diktator Baschar
al-Assad und seinen wichtigsten Unterstüt-
zer Russland (...). Und zwei Verlierer: die kurdi-
sche Zivilbevölkerung und die Diplomatie Wa-
shingtons, die erneut bestätigt hat, dass sie kein
zuverlässiger Verbündeter mehr ist und einen
wichtigen Teil des syrischen Territoriums an ihre
AFP, REUTERS (2)vermeintlichen Gegner ausgehändigt hat.

Zu den Brexit-Verhandlungen heißt es in der
französischen Zeitung „Libération“:

W


enn uns vor einigen Jahren jemand ge-
sagt hätte, dass die Hoffnung auf eine
Einigung über den Brexit ausreichen
würde, um uns glücklich zu machen, hätten wir
sicherlich kein Wort davon geglaubt. Diese politi-
sche Trennung des Vereinigten Königreichs vom
europäischen Kontinent ist eine der schlimmsten
Tragödien, mit denen Europa seit seiner Grün-
dung konfrontiert ist, ein Zeichen für ein echtes
kollektives Scheitern und die erschreckende
Rückkehr zum Motto: Jeder für sich allein.
Und doch müssen wir zugeben, dass dieser
ganze Zirkus und all die Meinungswechsel, die
wir seit dem 23. Juni 2016 erleben – jenem
schicksalhaften Tag, an dem die Briten dafür ge-
stimmt haben, die EU zu verlassen –, lange genug
gedauert haben. Angesichts einer solchen Inkon-
sistenz seitens der gesamten britischen politi-
schen Klasse wird deutlich, dass all das nun auf
die eine oder andere Weise enden muss (....).

G


eschafft! Die Erleichterung darüber, dass drei
Jahre nach dem Brexit-Referendum und schein-
bar endlosen, quälenden Verhandlungen end-
lich ein neuer Deal auf dem Tisch liegt, ist groß. In
Großbritannien und sicher auch im Rest Europas. Vor
allem aber für Nordirland ist der jetzt gefundene Kom-
promiss eine gute Nachricht. Es wird keine harte Zoll-
grenze auf der irischen Insel geben. Damit bleibt der im
Karfreitagsabkommen von 1998 mühsam ausgehandelte
Frieden zwischen den protestantischen Unionisten und
den Katholiken in Nordirland gewahrt.
Erreicht werden konnte das nur, weil der britische
Premier Boris Johnson sich am Ende deutlich auf die
EU zubewegen musste. Nordirland bleibt zwar rechtlich
im Zollgebiet Großbritanniens, de facto aber verläuft
die Zollgrenze künftig quer durch die Irische See, und
die nordirische Provinz wird sich weiter an die EU-Re-
geln halten. Diesen Vorschlag hatte Brüssel bereits The-
resa May gemacht, doch Johnsons Vorgängerin lehnte
die Idee auf Druck der nordirischen Unionisten ab.
Am Ziel ist der Premier aber noch lange nicht. Zu-


nächst muss Johnson den revidierten Brexit-Vertrag am
„Super-Samstag“ durch das Parlament bringen. Das ist
keine Kleinigkeit. Auch May hatte mit der EU einen Aus-
trittsvertrag ausgehandelt und scheiterte damit dreimal
im britischen Unterhaus. Und auch jetzt wird das kein
Spaziergang: Die nordirischen Unionisten der DUP wol-
len (noch) nicht zustimmen, die schottischen Nationa-
listen lehnen ab, und auch Labour als größte Oppositi-
onspartei will den Deal nicht unterstützen. Selbst wenn
es Johnson gelingen sollte, die DUP noch mit politi-
schem Druck und finanziellen Zusagen auf seine Seite
zu ziehen, braucht er mindestens zehn Labour-Abge-
ordnete aus Wahlkreisen, die 2016 für den Brexit ge-
stimmt haben und jetzt für seinen Deal votieren.
Am Samstag wird jedoch nicht nur über den neuen
Brexit-Vertrag abgestimmt, sondern Johnson und Oppo-
sitionsführer Jeremy Corbyn werden auch um die Pole-
position für den jetzt bevorstehenden Wahlkampf rin-
gen. Johnson möchte als Brexit-Held vor die Wähler tre-
ten. Labour-Chef Corbyn wird alles daransetzen, das zu
durchkreuzen. Womöglich mit dem Vorschlag, John-
sons Deal in einem zweiten Referendum dem Volk zur
Abstimmung vorzulegen. Dann wüssten die Briten zu-
mindest, worüber sie abstimmen.
Selbst wenn Johnsons Deal eine Mehrheit bekommen
sollte, wäre die Brexit-Tragödie damit nicht vorbei. Har-
te Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit
der EU stünden noch bevor. Und auf die Briten käme
auch mit dem jetzt gefundenen Deal nach Berechnun-
gen von Ökonomen immer noch ein wirtschaftlicher
Schaden von jährlich rund 2 000 Pfund pro Kopf zu.

Brexit


Noch lange nicht am Ziel


Der neue Brexit-Deal ist
ein Fortschritt. Ob er
eine Mehrheit findet,
ist jedoch höchst unsicher,
warnt Torsten Riecke.

Der Autor ist International Correspondent.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik
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WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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