Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
Airbus und Boeing im Vergleich
Bestellungen und Auslieferungen in den ersten drei Quartalen 2019

Zahl der Flugzeuge
571

302

HANDELSBLATT


127





*Summe aus Bestellungen und Abbestellungen, Jan. bis Sept. 2019 • Quelle: Unternehmen

Airbus Boeing 7 133

5 705
Orderbuch
gesamt

Auslieferungen

Air

bus

Boein

g
Neue Bestellungen*

Flugzeugbestellungen

Das Ende


des Booms


D


ie Auftragsbücher von Boeing und Airbus
sind prall gefüllt. Airbus hatte Ende Sep-
tember 7 133 noch nicht abgearbeitete
Flugzeugbestellungen. Bei Boeing sind es immer-
hin 5 705 Jets. Die Fertigung der beiden dominie-
renden Hersteller von Verkehrsflugzeugen ist da-
mit auf Jahre hinaus ausgelastet.
Dennoch scheint sich der Flugzeugmarkt gera-
de zu drehen. Der fast zehn Jahre dauernde Be-
stellboom geht zu Ende. Das zeigen die aktuellen
Zahlen. Airbus bekam in den zurückliegenden
drei Quartalen Bestellungen für 127 Flugzeuge.
Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es
noch 256 Jets gewesen.
Noch dramatischer ist die Situation bei Boeing.
Hier steht in den ersten neun Monaten dieses
Jahres sogar ein Minus von 84 Flugzeugen in den
Büchern, nach 631 Neubestellungen im Vorjah-
reszeitraum. Dieser Einbruch bei Boeing erklärt
sich vor allem mit der Max-Krise. Erste Kunden
haben den Jet storniert. Aber die Airlines agieren
auch grundsätzlich zunehmend vorsichtiger bei
ihren Flottenplänen. Teilweise werden Bestellun-
gen storniert, teilweise wird der Flugzeugtyp ge-
wechselt.
Das zeigt sich auch bei Airbus. So wird Emi -
rates bis Jahresende wie schon angekündigt die
Zahl der bestellten A380-Jets von 162 auf 123 re-
duzieren. Gleichzeitig wird die Golf-Airline die
kleineren Modelle A330neo und A350 ordern.
Der Nachbar aus Abu Dhabi, Etihad Airways, hat
bereits erklärt, 42 A350 nicht mehr abnehmen zu
wollen. Insgesamt verzeichnete Airbus in den
ersten neun Monaten 174 Stornierungen.
Die Beispiele Emirates und Etihad zeigen gut
die Gründe für diese Entwicklung auf. Ursprüng-
liche Wachstumspläne gehen nicht auf, die Ge-
schäftsmodelle werden überarbeitet und ange-
passt. Emirates etwa will nicht mehr wie geplant
allein auf die Superjumbos von Airbus setzen, die
am Drehkreuz Dubai gefüllt werden. Stattdessen
will man mit kleineren Langstreckenflugzeugen
auch Strecken jenseits von Dubai direkt bedie-
nen. Etihad wiederum hat verlustreiche Jahre
hinter sich gebracht und ist massiv auf Schrumpf-
kurs gegangen.

Airlines agieren vorsichtiger
Dieser Trend wird vorerst wohl anhalten. Zwar
herrscht gerade in der europäischen Luftfahrt
weiter die Tendenz, Kapazitäten hoch zu halten.
Weil niemand Landerechte und Strecken aufge-
ben will, bleiben bestehende Überkapazitäten
vorerst bestehen.
Doch angesichts des einsetzenden wirtschaftli-
chen Abschwungs versuchen die Airlinemanager,
zumindest diese Überkapazitäten nicht noch wei-
ter zu steigern. Hinzu kommen die Belastungen
aus zusätzlichen Ticketsteuern, die beispielswei-
se Deutschland im Rahmen des Klimapakets er-
hebt. So beobachtet Daniel Röska von Bernstein
Research eine gewisse Disziplin, was die Ange-
botsplanung der Fluggesellschaften betrifft. Air-
lines würden bei ihren Planungen offensichtlich
nicht mehr an der oberen Grenze der Nachfrage
kratzen. „Wenn sich die Makrodaten nicht ver-
schlechtern, könnten wir eine Stabilisierung der
Industrie in den kommenden Monaten erleben“,
so Röska. Die Vorsicht wirkt sich auch auf die
Flottenplanungen aus.
Der Haken: Trotz der jüngsten Stornierungen
und der wachsenden Vorsicht sind immer noch
viele Flugzeuge bestellt – wahrscheinlich deutlich
mehr, als der Markt verträgt. Niemand weiß, was
passiert, wenn die 737 Max im kommenden Jahr
wieder in den Verkehr gehen darf. Großabneh-
mer wie Ryanair könnten dann schnell jene Ka-
pazitätskürzungen wieder rückgängig machen,
die sie wegen der fehlenden Maschinen in die-
sem Jahr vorgenommen haben. Jens Koenen

Selbst wenn dann die Aufseher einer Rückkehr
des Jets zugestimmt haben, bleibt eine entschei-
dende Frage: Gelingt es, bei den Kunden – den
Airlines aber vor allem den Passagieren – wieder
Vertrauen in den Kurz- und Mittelstreckenjet auf-
zubauen? Nach fast einem Jahr Zwangspause und
ständig neuen Schlagzeilen über Rückschläge ist
der Ruf der Max in der Öffentlichkeit beschädigt.
Zwar hat die Vergangenheit gezeigt, dass Fluggäs-
te doch recht vergesslich sind, sofern sie günstig
an ihr Ziel gelangen. Doch keiner weiß, ob das bei
der Max ähnlich sein wird.
In der Branche wird deshalb darüber speku-
liert, ob Boeing nicht bald mit der Entwicklung
eines ganz neuen Kurz- und Mittelstreckenjets als
Nachfolger für die 737 beginnen muss. Zwar ver-
zeichnete das Orderbuch für die 737 Ende Sep-
tember noch 4592 Bestellungen für die Max, ge-
nug für sieben Jahre Produktion. Doch Neubestel-
lungen bleiben aus. Lediglich die
Business-Variante wurde im September einmal
geordert. Gleichzeitig haben sich erste Kunden
von der Max abgewendet. Die indonesische Garu-
da stornierte 50 Maschinen, der saudi-arabische
Billiganbieter Flyadeal ist zur Konkurrenz Airbus
übergelaufen. Die indische Spice-Jet, die 17 Max
in der Flotte hat, überlegt derzeit laut, im Kurz-
und Mittelstreckenverkehr statt auf Boeing künf-
tig auf Airbus zu setzen, und stellt die Bestellung
von gleich 100 Flugzeugen in Aussicht. Zwischen
Januar und September hat Airbus für die
A320-Familie netto 134 Bestellungen erhalten.
Der Druck zu handeln ist groß. Doch die Ent-
wicklung eines Ersatzes für die Max erfordert
personelle Kapazität und kostet viel Geld. Dabei
könnte Boeing auf Vorarbeiten zurückgreifen. Als
sich Boeing 2011 entschied, die alte 737 mit neuen
Triebwerken zur Max aufzurüsten, lagen bereits
Pläne für einen neuen Kurz- und Mittelstrecken-
jet in der Schublade. Doch weil Airbus mit seiner
modernisierten A320 neo schneller am Markt
war, wurde der Plan einer kompletten Neukon-
struktion verworfen. Doch ob die damals ausgear-
beiteten Pläne heute noch zeitgemäß sind, ist of-
fen. Materialien, Flugsteuerung und Triebwerks -
technik haben sich weiterentwickelt.
Zudem hat das Team um Boeing-Chef Muilen-
burg noch zahlreiche andere Baustellen, um die es
sich dringend kümmern muss. Bei der Fertigung
der 787, dem Dreamliner, gibt es Qualitätsmängel
im Werk in Charleston. Hinzu kommen Probleme
mit den Trent-Triebwerken des Jets, die von Rolls-
Royce kommen. Der europäische Billiganbieter
Norwegian etwa wird im kommenden Winter im-
mer sieben der 42 Dreamliner in der Flotte am Bo-
den lassen, um die Motoren zu überprüfen.
Die neuen Langstreckenjets 777-8 und der
777-9 – jeweils gestreckten Versionen der belieb-
ten 777 – kommen mit erheblichen Verzögerun-
gen auf den Markt. Die Einführung der 777-


wurde vom Boeing-Management wegen der Max-
Krise bereits nach hinten geschoben. Der 777-
droht ein ähnliches Schicksal. Der Erstflug wur-
de wegen Triebwerksproblemen auf 2020 ver-
schoben. Zudem gab kürzlich bei einem Belas-
tungstest eine Frachttür überraschend nach.
Dennoch verspricht Boeing, dass der Jet noch
2020 ausgeliefert werden kann. Kunde Emirates
gab aber nun bekannt, dass man erst für 2021
mit der 777-9 rechne, und warnte Boeing explizit
vor einer hektischen Erprobungsphase für das
Flugzeug.
Angesichts all dieser Rückschläge steht das
Boeing-Management vor der schwierigen Ent-
scheidung, wie die verfügbaren Entwicklungska-
pazitäten und Finanzreserven am besten verteilt
werden können. Dabei rückt vor allem ein Pro-
jekt in den Mittelpunkt: der seit Jahren diskutier-
te und immer wieder in Aussicht gestellte kom-
plett neue Langstreckenjet, intern 797 getauft.
Mit ihm will Boeing das mittlere Marktsegment
für Langstreckenflüge jenseits der großen Dreh-
kreuze bedienen.

Veteran mit neuen Motoren
Doch die Boeing-Spitze hat die Entscheidung
über den Jet immer wieder aufgeschoben, zuletzt
auch wegen der Max-Krise. Währenddessen
macht sich Konkurrent Airbus in diesem Markt
breit – von unten mit der Langstreckenversion
der A321, der XLR, und von oben mit der A
neo. Mit jeder Bestellung für diese beiden Flug-
zeugmuster schrumpft das Marktpotenzial für die
geplante Boeing 797, die frühestens 2025 markt-
fähig wäre.
Bisher hält Boeing offiziell an den 797-Plänen
fest. Doch Spekulationen über eine ganz andere
Idee nährten jüngst Zweifel an einer Realisierung
des Projekts. So berichtete das Fachmagazin
„Flightglobal“ kürzlich, dass der US-Konzern der-
zeit prüfe, die betagte 767 zu modernisieren – un-
ter anderem mit effizienteren Triebwerken. Zwar
soll es dabei vor allem um Frachtmaschinen ge-
hen. Die 767, die vor 40 Jahren erstmals in den
Verkehr ging, ist in diesem Markt nach wie vor
sehr beliebt, technisch aber ein Veteran. Aber
laut „Flightglobal“ sollen auch die Chancen einer
möglichen Passagiervariante analysiert werden.
Eine solche modernisierte 767 würde einen
komplett neuen Langstreckenjet überflüssig ma-
chen. Boeing hätte relativ schnell eine Antwort
auf die A321 XLR und die A330 neo. Gleichzeitig
könnte man die frei werdenden Kapazitäten in
die Entwicklung eines Nachfolgers für die Max
stecken. Ob es tatsächlich dazu kommt, ist aller-
dings offen. Experten wie Hamilton von Leeham
mahnen dazu, sich ein solches Vorhaben sehr ge-
nau zu überlegen. „Eine Überarbeitung der 767
könnte eine Wiederholung der Erfahrungen bei
der Modernisierung der 737 sein.“

Dennis Muilenburg:
Der Boeing-Chef soll
sich auf die Bewälti-
gung der Max-Krise
konzentrieren.

AFP

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WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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