Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1

K


elly Luegenbiehl ist als
Kind nach eigenen
Aussagen nie ohne ein
Buch aus dem Haus ge-
gangen. Jeder in ihrer
Professorenfamilie habe pausenlos
gelesen – selbst beim Schnellimbiss.
Das ist aber nicht der Grund, warum
die US-Amerikanerin zur Frankfurter
Buchmesse gekommen ist. Sie ist in-
zwischen beim Streamingdienst Net-
flix für Serien in Europa zuständig.

Frau Luegenbiehl, wir hätten Sie
nicht unbedingt auf der Frankfurter
Buchmesse erwartet. Was treibt Sie
her?
Wir sind hier, damit die Leute uns
besser kennen lernen und erfahren,
wie wir mit Verlagen zusammen -
arbeiten wollen. Da sind wir wie alle
anderen hier auch. Und natürlich su-
chen wir nach großartigen Ideen und
Geschichten.

Ist denn die Bestsellerliste ein guter
Indikator dafür, welche Geschichte
bei den Netflix-Zuschauern an-
kommt?
Zum Teil. Da hat das Publikum schon
gezeigt, dass sie die Story interes-
siert. Näher angucken müssen wir
uns meiner Meinung nach ältere Bü-
cher, die sich noch gut verkaufen. Da-
mit hatten wir oft Erfolg, zum Bei-
spiel bei der Serie „Der Pate von
Bombay“, die letztes Jahr herausge-
kommen ist – da war das Buch schon
über zehn Jahre alt. Es ist sehr aufre-

gend, dass wir einem Buch neues Le-
ben einhauchen können oder es als
Inspiration für neue Serien nutzen
können.

Sie haben gerade drei neue Produk-
tionen in Europa angekündigt. Unter
anderem werden Sie Tyll als Serie
verfilmen. Autor Daniel Kehlmann
versetzt die bekannte Figur Till Eu-
lenspiegel in den Dreißig jährigen
Krieg und erzählt vom gesellschaftli-
chen Zerfall. Wie kam es dazu?
Das ist tatsächlich aus der Freund-
schaft zwischen den Produzenten Ba-
ran bo Odar und Jantje Friese mit
dem Autor Daniel Kehlmann entstan-
den. Daniel ist schon lange ein Fan
ihrer Arbeit. Wenn jemand sein Buch
verfilmen wollte, dann aus seiner
Sicht also am liebsten sie. Wir wie-
derum haben ja schon bei Dark mit
den beiden zusammengearbeitet. Al-
so haben sie uns angerufen und ge-
fragt, ob wir an einer Tyll-Serie inte-
ressiert seien. Und wir haben gesagt:
klar.

Netflix sucht gerade in Berlin ein Bü-
ro. Die ersten Mitarbeiter sind schon
in ein Co-Working-Space gezogen.
Was machen Sie in der deutschen
Hauptstadt?
Stimmt, wir werden dort künftig
Teams haben, die sich um Inhalte,
Öffentlichkeit und Marketing küm-
mern. Mit dem Büro sind wir näher
dran an der kreativen Szene, das ist
uns sehr wichtig, damit man einfach

mal in der gleichen Stadt Mittagessen
kann. Wir bekommen schon ganz
viele Anfragen von Autoren, Direkto-
ren und Produzenten, die wir ken-
nen.

Was steht hinter der Strategie, in vie-
len Ländern präsent zu sein und
spezifische Filme und Serien zu pro-
duzieren?
Ich glaube, Leute sind wirklich daran
interessiert, Filme in ihrer eigenen
Sprache über ihre eigene Kultur zu
sehen. Dass wir mit unserem Wachs-
tum die Chance haben, lokale Ge-
schichten auf einer globalen Platt-
form in einer internationalen Weise
zu erzählen, ist einmalig. Sie werden
kaum Menschen in Ihrem Freundes-
kreis finden, die sagen: Ich will keine
Serie auf Deutsch sehen. Das ist eine
Chance für uns.

Was wünscht sich denn der deutsche
Zuschauer am meisten von Netflix?
Der deutsche Abonnent ist dem Rest
der Welt ähnlicher, als Sie vielleicht
denken. Wir sehen, wenn eine Serie
in Deutschland erfolgreich ist, wird
sie wahrscheinlich weltweit Erfolg
haben – und andersrum.

Aber die Deutschen lieben doch
zum Beispiel ihren Tatort. Diese gro-
ße Menge an Polizeiserien im deut-
schen Fernsehen ist international
ungewöhnlich.
Wir sehen, dass das Format beim
Fernsehzuschauer sehr gut an-

kommt. Aber das heißt nicht, dass es
notwendigerweise auch auf Netflix
funktioniert.

Werden Sie sich denn an einem Net-
flix-Tatort versuchen?
Ich glaube nicht, dass wir versuchen
werden, genau darauf abzuzielen.
Aber wir probieren definitiv Krimi -
elemente aus.

Niemand kennt die Vorlieben von
Film- und Serienguckern so gut wie
Sie. Netflix bekommt von seinen
Abonnenten einen gewaltigen Da-
tenschatz. Es heißt ja oft, die Auf-
merksamkeitsspanne der Menschen
werde immer kürzer. Sagen Sie uns:
Wie viel Minuten dauert der maßge-
schneiderte Netflix-Film?
Darüber denken wir überhaupt nicht
nach. Da vertrauen wir auf die Künst-
ler. Sie müssen bestimmen, welche
die beste Länge für ihre Shows und
Serien ist. Das diktieren wir Ihnen
nicht. Die Story bestimmt das Format.

Was wissen Sie noch über Ihre Zu-
schauer? Wo gucken die ihre Filme?
Wir wissen, wo sie die Filme anfan-
gen. Sie können dann natürlich un-
terwegs sein. Und wir wissen, welche
Geräte sie nutzen. Mit der globalen
Verbreitung haben wir mehr Nutzer
bekommen, die auf ihren Telefonen
und mobilen Geräten schauen.
Manchmal wechseln Leute auch mit-
ten in einer Folge das Gerät. Nun,
und in manchen Ländern sind die
Zuschauer mobiler als in anderen.

Das kann daran liegen, dass das Da-
tenvolumen weltweit unterschied-
lich teuer ist oder auch an der Netz-
abdeckung. Sie freuen sich
wahrscheinlich auf die superschnel-
len 5G-Mobilfunknetze?
Ich bin keine Technikerin, ich kann
dazu nur so viel sagen: Es gibt eine
Menge Leute in unserem Unterneh-
men, die 5G sehr aufgeregt erwarten.

Netflix war mit seinem Streaming -
angebot lange allein auf dem Markt.
Jetzt bekommen Sie Konkurrenz von
Apple, Disney, NBC und Warner Me-
dia. Und ihre Angebote sind billiger.
Wird das Einfluss auf Ihre Preispoli-
tik und Inhalte haben?
Es geht nicht darum, was andere ma-
chen, sondern darum, was wir ma-
chen. Wir tun am besten daran, ein-
fach großartige Filme und Serien für
Netflix zu produzieren.

Aber die Zahl Ihrer Abonnenten ist
zuletzt nicht so gewachsen wie er-
wartet. Macht Ihnen das keine Sor-
gen?
Natürlich nehmen wir uns immer ei-
ne bestimmte Zahl vor. Aber wir sind
auch nur Menschen. Mal erreicht
man ein bisschen mehr als erhofft,
und mal kann man darunter liegen.
Genau trifft man die Erwartungen
eben nicht immer.

Über Exklusivverträge sichern Sie
sich die Dienste Ihrer Schauspieler.
Die können dann nicht in den Serien
der Konkurrenz mitspielen. Funk-
tioniert das Filmgeschäft künftig wie
die Bundesliga mit hohen Ablöse-
summen?
Wir bemühen uns, für die Talente die
bestmöglichen Erfahrungen zu er-
möglichen. Unsere Hoffnung ist, dass
sie sich entscheiden, weiter mit uns
zu arbeiten, und dass sie auch ihren
Freunden weitersagen, dass sie wei-
tere Projekte mit uns machen sollen.

Konkurrenz kommt auch aus dem
Gaming-Bereich. Mit den neuen
Cloud-Gamingdiensten braucht man

Kelly Luegenbiehl


„Es ist aufregend, einem


Buch neues Leben


einzuhauchen“


Die Netflix-Managerin erklärt auf der Frankfurter Buchmesse, warum alte und


neue Romane für den Streamingdienst eine so große Bedeutung haben.


Deutsche Serie
„Dark“: Netflix
plant neue Serien
aus Europa.

Hollywood Picture Press/face to

imago images/Future Image

Wenn eine


Serie in


Deutschland


erfolgreich


ist,


wird sie


wahrscheinlich


weltweit Erfolg


haben.


Kelly Luegenbiehl
Netflix-Managerin

Unternehmen & Märkte


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WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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