Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
„Der Abbau von Kobalt
erfolgt heute in großen
Teilen unkontrolliert unter
oft nicht akzeptablen
Arbeitsbedingungen, teilweise
unter Einsatz von Kinderarbeit.“
Ansgar Hinz, Vorstandschef VDE

„Es wird einige Zeit dauern, bis
wir alle aufgeworfenen
regulatorischen Fragen geklärt
haben, und es ist unsere Pflicht und
unsere Verantwortung, Antworten auf all
diese Fragen zu finden.“
David Marcus, Leiter Facebook-Libra-Projekt

I


ch habe gelesen, dass es gar nicht so schön
sein soll, reich zu sein. Denn wer reich ist, hat
Stress. Wer reich ist, wird von seinen Eltern als
Kind etwa in Eliteschulen geschickt. In Elite-
schulen geht es aber nicht so gemütlich zu, wie an
den Schulen für den Plebs. Wer ganz oben dabei sein
will, der ist sehr beschäftigt und muss dazu noch
den ganzen Tag networken.
Man sollte auch noch einen exklusiven, aber lang-
weiligen Sport ausüben wie Hockey, Polo oder Golf,
den man mit den entsprechenden Leuten zusam-
men macht. Auch das kostet Zeit. Die Elite ist zwar
reich an Mitteln, aber arm an Zeit. Während die obe-
ren zehn Prozent mehr als 50 Prozent des Vermö-
gens der Gesellschaft haben, besitzen die unteren
zehn Prozent fast hundert Prozent der Zeit.
Der Yale-Professor Daniel Markovits hat ein Buch
namens „The Meritocracy Trap“ geschrieben – die
Leistungsgesellschaftsfalle. Darin beschreibt er, wie
die Oberschicht und die Mittelschicht auseinander-
driften – und wie nicht zuletzt die Reichen darunter
leiden. Denn Reich und Arm sind in einer „gegensei-
tig destruktiven Beziehung“.
Während die weniger Bemittelten immer weniger
Möglichkeiten haben, zur Spitze der Gesellschaft auf-
zuschließen, müssen die Reichen immer mehr Geld
und Zeit investieren, um an der Spitze zu bleiben. In
der „New York Times“ hat der britische Autor Ri-
chard V. Reeves darüber geschrieben, dass die Rei-
chen in Amerika mittlerweile einen guten Teil ihres
Vermögens dafür ausgeben, ihre Kinder auf die bes-
ten Schulen des Landes zu bekommen. Und deswe-
gen noch weniger gerne Steuern zahlen. Es ist also
offenbar im Interesse alle, wenn die Schere zwi-
schen Arm und Reich geschlossen wird.

Nun muss man mit den Reichen nicht allzu viel
Mitleid haben. Wer reich ist, lebt noch immer deut-
lich gesünder als jemand, der arm ist. Gleichzeitig
muss er auch einen deutlich größeren Anteil seiner
Lebenszeit mit Menschen zubringen, denen man ei-
gentlich gar nicht begegnen möchte. Eine erste Idee
wäre: Vielleicht könnte man es ähnlich wie beim Zer-
tifikatehandel in der Klimapolitik machen. Dort kau-
fen ja reiche Staaten den ärmeren die Verpestungs-
rechte ab. Ähnlich könnten reiche Menschen den är-
meren die Zeit abkaufen.
So könnte mancher Chef eines Dax-Konzerns wert-
volle Zeit im Kino verbringen, während ein Hartz-IV-
Empfänger, dem er die Zeit abgekauft hat, seine Ge-
schäfte führt. Betriebswirtschaftlich dürfte das kein
Problem sein. Betrachtet man, welches Missmanage-
ment zum Teil von Profis betrieben wird, erkennt
man, dass Amateure in der jeweiligen Zeit kaum
mehr Schaden werden anrichten können, als es Top-
manager schon selbst tun.
Ein solches Modell ließe sich aber auch abseits des
Büros praktizieren. So könnten die Kinder der Rei-
che auch Vertretungen für die Zeit anmieten, die sie
am Wochenende im Hockeyclub verbringen müssen.
Davon hätten dann alle etwas. Denn die anderen Rei-
chen-Kinder würden dann auch mal ein paar weni-
ger uninteressante Menschen um sich herum haben


  • und sich danach vielleicht dagegen wehren, auf Eli-
    teschulen geschickt zu werden.


Prüfers Kolumne


Zeit abkaufen


Tillmann Prüfer
schlägt eine Art
Zertifikatehandel
zwischen armen
und reichen
Menschen vor, um
die Ungleichheit
ein wenig zu
bekämpfen.

Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des
„Zeit-Magazins“. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

imago/UPI Photo, Uwe Noelke, Bloomberg

Illustration: Max Fiedler


Amazon


Versteckte


Macht


Z


ugegeben, der Vergleich
hinkt ein bisschen, aber er
veranschaulicht ganz gut,
welche Dimension das Phänomen
Amazon schon in der Wahrneh-
mung des deutschen Verbrauchers
hat: Wenn man das Geld zusam-
menrechnet, das Kunden für Käufe
über die Plattform Amazon ausge-
ben, kommt man fast auf den Um-
satz, den der größte deutsche Ein-
zelhändler, Edeka, im Jahr macht.
Aber es ist nicht allein die schiere
Größe, mit der Amazon dem deut-
schen Handel Angst einflößt. Mit ei-
ner perfektionierten Nutzerfreund-
lichkeit, kostenloser Lieferung, ei-
nem riesigen Angebot und
beispielloser Kulanz bei Reklama-
tionen lullt der Plattformbetreiber
die Kunden so ein, dass viele gar
nicht mehr auf die Idee kommen,
nach Alternativen zu suchen, wenn
sie sich einmal daran gewöhnt ha-
ben, über Amazon zu bestellen.
Heute schon hat Amazon in eini-
gen Produktkategorien einen Markt-
anteil in Höhe von rund 15 Prozent,
etwa bei Büchern, Elektronikarti-
keln oder Spielzeug. Und wenn
man sieht, wie viele Kunden vor
dem Kauf in einem stationären Ge-
schäft auf Amazon recherchieren,
ist es nur eine Frage der Zeit, bis
die Geschäfte direkt auf dem On-
linemarktplatz abgewickelt werden.
Einmal ist das Bundeskartellamt
schon dagegen eingeschritten, weil
Amazon seine Macht missbraucht
hatte. Die Behörde zwang den Platt-
formbetreiber zu einer Änderung
des Umgangs mit den Händlern auf
seinem Marktplatz. Doch das kann
nur der erste Schritt sein. Die Wett-
bewerbshüter müssen aufmerksam
im Blick behalten, wie Amazon im
Stillen seine Macht ausbaut.
Denn bisher wächst Amazon
schleichend und ohne große Prä-
senz im Straßenbild. Doch so, wie
der Konzern in den USA die Lebens-
mittelkette Whole Foods übernom-
men hat, so ist auch in Deutschland
nicht ausgeschlossen, dass Amazon
einen Händler kauft, um das Ge-
schäft abzurunden. Spätestens
dann sollte das Kartellamt vorberei-
tet sein, den Einfluss von Amazon
in seiner ganzen Breite zu beurtei-
len.

Für viele Konsumenten macht sich
der Onlinemarktplatz schleichend
unverzichtbar – mit Folgen für den
Wettbewerb, warnt Florian Kolf.

Der Autor ist Teamleiter im
Ressort Unternehmen & Märkte.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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