Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
Yasmin Osman Frankfurt

W


er den vor Kurzem veröffent-
lichten Bundesbank-Bericht zur
Ertragslage der deutschen Ban-
ken durchblätterte, kam aus
dem Staunen nicht heraus: Im
vergangenen Jahr ist der Zinsüberschuss der deut-
schen Kreditinstitute leicht gestiegen – und das, ob-
wohl kaum ein Tag vergeht, ohne dass deutsche
Bankenvertreter die lockere Geldpolitik der Europäi-
schen Zentralbank und ihre schlimmen Folgen für
die Kreditinstitute geißeln. Ein Blick in die Details
zeigt aber, welchen Preis die Banken und Sparkas-
sen dafür zahlen – und welche Institutsgruppen zu
den größten Verlierern zählen.
Denn die Bundesbank weist nicht nur einzelne Er-
tragspositionen aus, sie setzt die Kennziffern auch in
Relation zur Bilanzsumme der Institute. So lässt sich
erkennen, ob bestimmte Geschäfte noch immer so
ertragreich sind wie vorher oder ob die Institute sin-
kende Gewinnspannen durch mehr Geschäftsvolu-
men ausgebügelt haben.
Das Resultat: Nimmt man das gesamte Bankensys-
tem, dann ist die Gewinnspanne im Zinsgeschäft in
den vergangenen Jahren zwar leicht gestiegen. Pro-
fiteure waren aber in erster Linie die Großbanken
und Hypothekenbanken, die sich von einem gerin-
gen Niveau aus gesteigert haben. Bei Sparkassen
und Genossenschaftsbanken schnurrten die Ge-
winnspannen im Zinsgeschäft dagegen um etwa ein
Fünftel zusammen. „Eine geringere Marge bedeutet,
dass die Banken weniger rentabel arbeiten, auch
wenn die absoluten Zahlen kaum verändert ausse-
hen“, sagt Hans-Peter Burghof, Bankenprofessor an
der Universität Hohenheim.

Gewinnspannen schrumpfen
Bislang können die Institute das verkraften. Zwar ist
der Zinsüberschuss für sie eine besonders wichtige
Ertragssäule, die für gut 70 Prozent der Roherträge
steht. Aber trotz des Rückgangs liegen ihre Margen
mit 1,7 beziehungsweise 1,8 Prozent der durch-
schnittlichen Bilanzsumme noch immer deutlich
über denen der Großbanken, bei denen der Wert
gerade einmal 0,86 Prozent der durchschnittlichen
Bilanzsumme erreicht. Härter als die Regionalban-
ken traf es nur die Bausparkassen, bei denen die
Zinsmargen um mehr als ein Viertel einbrachen.
Die heftigste Gegenwehr gegen diesen negativen
Zins-Trend kam ebenfalls aus der Ecke der Sparkas-
sen und Genossenschaftsbanken. Die Institute haben
mit einem strammen Wachstumskurs reagiert. Die
Bilanzsummen – und damit das Geschäftsvolumen


  • schwollen in den vergangenen fünf Jahren um 15
    beziehungsweise 21 Prozent an. Damit ließen sich
    nicht alle wegbrechenden Erträge aus dem Zinsge-
    schäft ausbügeln. Doch mit einem Minus von fünf
    beziehungsweise drei Prozent kamen Sparkassen
    und Genossenschaftsbanken glimpflich davon. Die
    regionalen Institute waren damit aber noch erfolgrei-
    cher als die Bausparkassen, die ihre Bilanzsummen
    zwar seit 2014 um 14 Prozent ausgedehnt haben. Ihr
    Zinsüberschuss ist aber um 16 Prozent gesunken.
    Angesichts des harten Wettbewerbs sind die Ban-
    ken zuletzt auch größere Risiken eingegangen. Eine
    Untersuchung der Finanzaufsicht Bafin und der
    Bundesbank unter 105 kleinen Banken und Sparkas-
    sen hat vor Kurzem gezeigt, dass die Banken zuletzt
    auch größere Risiken eingegangen sind. So ist der
    Anteil unbesicherter Kredite jenseits der gewerbli-
    chen Immobilienfinanzierung in den vergangenen
    drei Jahren deutlich gewachsen. Auch bei kleineren
    Unternehmen seien mittlerweile mehr als drei Vier-
    tel des Kreditvolumens unbesichert, merkten die
    Aufseher an. Das entspreche einem Anstieg von bei-
    nahe 50 Prozent. Der Anteil von Krediten, die nicht
    in Raten zurückgezahlt werden, sondern erst am
    Ende der Laufzeit, legte ebenfalls zu.
    Mit Blick auf die sich abschwächende Wirtschafts-
    lage in Deutschland stellt sich aber zunehmend die
    Frage, welche Risiken die Banken mit einem Expan-
    sionskurs im Kreditgeschäft eingehen. Denn je stär-
    ker die Konjunktur schwächelt, desto größer ist die
    Gefahr, dass Kunden ihre Kredite nicht mehr bedie-
    nen können. Die Risikovorsorge für ausfallgefährde-
    te Kredite – auch das eine Nebenwirkung der losen


Geldpolitik – verharrt seit Jahren auf einem unty-
pisch niedrigen Niveau.
Das dürfte sich im Abschwung ändern. Im ersten
Halbjahr 2019 ist die Risikovorsorge bei vielen Ban-
ken spürbar gestiegen. „Die Risikovorsorge ist derzeit
ungewöhnlich niedrig. Wenn diese Risikokosten wie-
der steigen, geraten die Gewinne umso stärker unter
Druck“, sagt der Finanzwissenschaftler Burghof.
Wie viel auf dem Spiel steht, zeigen historische
Durchschnittswerte des sogenannten Bewertungser-
gebnisses der Institute. In dieser Kennziffer sind ne-
ben der Risikovorsorge für faule Kredite auch Wert-
veränderungen des Wertpapierbestands der Liquidi-
tätsreserve enthalten. Im vergangenen Jahr belastete
das Bewertungsergebnis die Erträge der deutschen
Banken gerade einmal mit 0,08 Prozent der durch-
schnittlichen Bilanzsumme. Der langfristige Durch-
schnittswert beträgt aber 0,19 Prozent der Bilanz-
summe. Zum Vergleich: Der Vorsteuergewinn pen-
delte in den vergangenen Jahren zwischen 0,15 und
0,24 Prozent der Bilanzsumme.

Mehr Vorsicht im Neugeschäft
Ein „normales“ Bewertungsergebnis würde also
die Vorsteuergewinne der deutschen Finanzinsti-
tute zu einem großen Teil ausradieren. Das gilt
zwar nicht für alle Bankengruppen gleicherma-
ßen – die Großbanken würde es etwa härter tref-
fen als Sparkassen oder Genossenschaftsbanken,
doch eine Bürde wäre es wohl für alle Institute.
Kein Wunder, dass die wirtschaftliche Verfas-
sung die Kreditinstitute allmählich unruhig wer-
den lässt. „Ich mache mir Sorgen um die deut-
sche Konjunktur“, sagte der Chef der Hamburg
Commercial Bank, Stefan Ermisch, vor Kurzem
vor dem Internationalen Club Frankfurter Wirt-

schaftsjournalisten. Die deutsche Industrie befin-
de sich seit Ende 2018 in einer Rezession. Er-
misch will sich deshalb im Neugeschäft bei beson-
ders konjunktursensiblen Branchen stärker
zurückhalten.
Befinden sich Regionalinstitute wie Sparkassen
und Genossenschaftsbanken also auf einem Irrweg?
Der Bundesverband deutscher Volks- und Raiffeisen-
banken (BVR) verteidigt die Strategie seiner Mit-
gliedsinstitute. „Erträge lassen sich in der aktuellen
Zinslage nur noch aus dem Kreditgeschäft, nicht
mehr aus dem Einlagengeschäft generieren“, sagte
BVR-Vorstandsmitglied Andreas Martin dem Han-
delsblatt. „Deshalb sehen wir die Ausweitung unse-
res Kreditgeschäfts ohne Abstriche als Erfolg an. Wir
sind gewachsen, ohne übermäßig ins Risiko zu ge-
hen – und ohne teure Kundenfangaktionen“, betonte
Martin.

Volksbanken bilden Reserven
Bislang spüren die Volksbanken noch wenig von Ein-
schränkungen in ihrem Geschäft. „Unsere Geschäfts-
daten bis Juni zeigen, dass sich das Kreditgeschäft
nicht abgeschwächt hat“, betont Martin. Zum einen
dürften seiner Meinung nach die jüngste Entschei-
dung der EZB und der langfristige Zinsausblick den
Immobilienmarkt weiter stützen. „Zum anderen spü-
ren wir in unserer Kundschaft noch nichts von einer
Rezession“, so Martin. Dazu mag beitragen, dass die
Kernkundschaft der Genossenschaftsbanken aus
dem Mittelstand und dem Handwerk „stark von der
nach wie vor guten Binnenkonjunktur lebt“.
Das bedeutet nicht, dass die Volks- und Raiffeisen-
banken ihre Augen vor dem besonderen Umfeld ver-
schließen, das sie umgibt. Dass die Volks- und Raiff-
eisenbanken von den ungewöhnlich niedrigen Risi-

Per Wachstum

aus dem Zinstief

Auf den ersten Blick haben deutsche Banken die Niedrigzinsen gut


verkraftet. Das gelang nur, weil viele Institute ihr Geschäftsvolumen


ausdehnten. In der nächsten Krise könnte sich das rächen.


imago images / Jan Eifert

Sepp Spiegl

Selbst


Risikokosten


auf


historischem


Niveau


würden derzeit


unseren


Jahresüber-


schuss nicht


aufzehren.


Andreas Martin
BVR

Finanzen


& Börsen
1

WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
26
Free download pdf