Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
KfW-Kreditmarktausblick

Überraschend hohe Nachfrage


D


as Kreditgeschäft der Banken mit deut-
schen Firmen und Selbstständigen entwi-
ckelt sich allen Warnungen zum Trotz ro-
buster als gedacht. Im zweiten Quartal wuchs das
Neugeschäft mit Darlehen im Vergleich zum Vor-
jahr um 7,1 Prozent, zeigt der Kreditmarktaus-
blick der KfW Bankengruppe, der dem Handels-
blatt exklusiv vorliegt. Auch die Prognose für das
mittlerweile abgelaufene dritte Quartal liegt mit
sieben Prozent noch einen Prozentpunkt über
dem Wert zu Jahresbeginn. Ursprünglich hatte
die staatliche Förderbank einen allmählichen
Rückgang der Wachstumsraten prognostiziert
und war von einem Plus von nur fünf Prozent
ausgegangen.
Entsprechend skeptisch beurteilt die KfW den
Wachstumsschub im Kreditneugeschäft. „Wir hal-
ten das überraschende Wachstum im zweiten
Quartal für kein nachhaltiges Phänomen“, sagt
der KfW-Ökonom Sebastian Wanke. „Das Wachs-
tum wurde größtenteils von kurzfristigen Kredi-
ten getragen, nur ein Prozentpunkt stammt noch
von langfristigen Krediten“, begründet Wanke
seine Zweifel. Kurzfristige Kredite dienten in der
Regel dem Lageraufbau und finanzierten keine
wachstumsfördernden Investitionen.
Aus diesem Grund rechnet die KfW damit,
dass sich die Wachstumsraten „in absehbarer
Zeit“ auch wieder abschwächen werden. Für
das Schlussquartal 2019 geht die Förderbank
von einem Rückgang des Wachstums von 5,5
Prozent aus.
Zu dieser skeptischeren Einschätzung passen
die lauter werdenden Stimmen von hochrangi-
gen Bankern, die sich für eine größere Vorsicht
bei der Vergabe neuer Darlehen aussprechen.
Diese Zurückhaltung dürfte vor allem Unterneh-
men aus konjunktursensiblen Branchen treffen.
„Das verarbeitende Gewerbe spürt die Eintrü-
bung im internationalen Umfeld bereits deutlich.
Das betrifft unter anderem die Automobilproduk-
tion, den Maschinenbau, die Chemie- und Phar-
mabranche“, sagte der Firmenkundenchef der
genossenschaftlichen DZ Bank, Uwe Berghaus,
vor Kurzem der Nachrichtenagentur Bloomberg.
„In diesen Segmenten prüfen wir Kreditengage-
ments natürlich intensiver.“
Auch in Kreisen der Deutschen Bank heißt es,
man sehe sich Unternehmen aus zyklischen
Branchen bei neuen Kreditengagements mittler-
weile genauer an. Ähnlich hatte sich kürzlich
auch der Chef der Hamburg Commercial Bank,
Stefan Ermisch, geäußert. Und die Landesbank
Baden-Württemberg, die stärker als jedes andere
Geldhaus im Automobilsektor engagiert ist, will

ihr Engagement „leicht reduzieren“, wie Firmen-
kundenvorstand Karl Manfred Lochner vor Kur-
zem der „Börsen-Zeitung“ sagte.
Die Banken stehen bei ihrer Risikoabwägung
unter großem Druck: Weil die Zinsmargen sin-
ken, müssen die Institute wachsen, wenn sie ihre
Erträge stabil halten wollen. Das wird immer
schwerer, wenn die Institute dabei Risiken ver-
meiden wollen. Das dürfte ein Grund dafür sein,
dass sich die Zurückhaltung erst allmählich in
Umfragedaten niederschlägt. Laut einer Untersu-
chung der Unternehmensberatung EY gehen 46
Prozent der dafür befragten Banken davon aus,
dass sich die Kreditvergabepolitik gegenüber Un-
ternehmen in den kommenden sechs Monaten in
Deutschland verschärfen wird. Noch im April
2018 glaubte das nur eine Minderheit von sechs
Prozent der Institute.
In der Juli-Umfrage der Bundesbank zum Kre-
ditgeschäft der Banken zeigte sich, dass sich die
Kreditrichtlinien der Banken nun das zweite Mal
in Folge leicht verschärft haben. Auslöser dafür
waren vor allem die eingetrübten Konjunkturaus-
sichten sowie die Aussichten für die Branchen
und die Bonität von Unternehmen. Und erstmals
seit drei Jahren stieg der Anteil der abgelehnten
Kreditanträge.
Das kann die Nachfrage nach Krediten bei den
Unternehmen durchaus befördert haben, meint
KfW-Volkswirt Wanke. Manche Unternehmen
würden sich, wenn sie eine restriktivere Kredit-
vergabe bei Banken befürchten, schnell noch
Darlehen zu möglichst günstigen Konditionen si-
chern. „Die Frage ist, ob die Unternehmen aus
Zuversicht zu mehr Krediten greifen oder in letz-
ter Not“, meint Wanke. Zumindest im Frühjahr
dürfte aus seiner Sicht noch das „Zuversichtsmo-
tiv“ überwogen haben.“
Ungewöhnlich für das Kreditgeschäft ist aber
der hohe Anteil kurzfristiger Darlehen, der mitt-
lerweile überraschend lange zu beobachten ist.
„Diese kurzfristigen Kredite gewinnen bereits
seit dem zweiten Halbjahr 2017 an Bedeutung,
während sich das Interesse an langfristigen Kre-
diten seit Ende 2017 schrittweise abgeschwächt
hat. Das ist sehr untypisch“, meint Wanke. „Ei-
ne Erklärung für dieses Phänomen könnte sein,
dass immer noch viele Unternehmen hoffen,
dass die Konjunkturschwäche irgendwann ein-
mal vorüber ist“, meint Wanke. Auch unerwar-
tete Schocks wie etwa der Brexit oder Handels-
streitigkeiten könnten dafür sorgen, dass Waren
nicht ausgeliefert und Lager aufgebaut würden,
die von den Unternehmen finanziert werden
müssten. yo

kokosten der letzten Jahre profitiert haben, streitet
Martin gar nicht ab. „Das ist für die einzelnen Insti-
tute auch transparent“, sagt er, denn intern rechnen
die Institute ihm zufolge mit Standardrisikokosten,
also Durchschnittswerten – und nicht mit den aktu-
ell sehr niedrigen Risikokosten.


Puffer helfen nicht auf Dauer


Er verweist darauf, dass seine Institute sich seit Jah-
ren für härtere Zeiten rüsten. „Unsere Institute ha-
ben die guten Jahre genutzt, um die Vorsorgereser-
ven kräftig zu dotieren“, sagt Martin. In den stillen
Reserven, die sich nicht in den Bankbilanzen erken-
nen lassen – im Fachjargon 340f-Reserven genannt



  • schlummern Martin zufolge bei den Genossen-
    schaftsbanken mehr als 13 Milliarden Euro. „Auch
    die Profitabilität der Gruppe könnte eine Ver-
    schlechterung abfedern. Selbst Risikokosten auf his-
    torischem Niveau würden derzeit unseren Jahres-
    überschuss nicht aufzehren“, betont Martin.
    Bankenprofessor Burghof bestätigt diese Ein-
    schätzung für die regionalen Sparkassen und Volks-
    banken. „Gerade Sparkassen und Volksbanken ha-
    ben in den vergangenen Jahren einen großen Teil
    ihrer Gewinne in die Reserven gesteckt und damit
    ihre Eigenkapitalpuffer aufgebaut“, sagt er. „Diese
    Institute können einen wirtschaftlichen Ab-
    schwung und auch die Fortsetzung der Minuszins-
    politik der EZB für einige Jahre verkraften, aber
    eben auch nicht auf Dauer.“


Blick auf Frankfurts
Skyline: Sorge um die
Konjunktur.

Kfw, Heinrich Voelkel

Wir halten das


überraschende


Wachstum


im zweiten


Quartal


für kein


nachhaltiges


Phänomen.


Sebastian Wanke
KfW

-7,9

-2,6
-8, 7

-34,6
-36,8

+4,5

+15,4

-5,0

+21,4

-3,0

Harter Kampf um Erträge


Kreditneuzusagen an Unternehmen und Selbstständige,
Veränderung zum Vorjahr in Prozent

Zinsmarge in Prozent der
durchschnittlichen Bilanzsumme


Bilanzsumme und Zinsüberschuss
Veränderung zwischen 2013 und 2018 in Prozent

HANDELSBLATT *Nominal • Quelle: KfW


Kreditneuzusagen

Unternehmensinvestitionen* +7,07

+7,0

+,

2008 2018 1. Q. 2007 4. Q. 2019

Prognose

+20

+10

±0

-10

-20

2,


2,0


1,


1,0


0,


Alle
Banken

Privat-
banken

Spar-
kassen

Genossen-
schaftsb.

Landes-
banken

Alle
Banken

Privat-
banken

Spar-
kassen

Genossen-
schaftsbanken

Landes-
banken

1,80

1,73

1,08

1,02

0,66

Bilanzsumme
Zinsüberschuss

Finanzen & Börsen
1


WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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