Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
Mathias Brüggmann Berlin

S


audi Aramco ist ein Kon-
zern der Superlative. Mit
111,1 Milliarden Dollar hat
er 2018 so viel Gewinn ge-
macht wie Apple, Google
und der US-Ölriese Exxon-Mobil zu-
sammen. Mit fast zehn Millionen Bar-
rel ( je 159 Liter) täglich fördert der
profitabelste Konzern der Welt mit
Abstand so viel Rohöl wie kein ande-
res Unternehmen, etwa ein Zehntel
des globalen Ölverbrauchs. Und mit
336 Milliarden Barrel Reserven ver-
fügt Aramco, das die alleinige Lizenz
zum Ölfördern in Saudi-Arabien hat,
über die größten Vorräte.
Der lange geplante Börsengang des
Unternehmens dürfte somit eigent-
lich einfach über die Bühne gehen.
Aber es gibt ein großes Problem: Mo-
hammed bin Salman, der mächtige
Kronprinz des Königreichs und

Chairman des Staatsfonds PIF (Public
Investment Fund), des Aramco-Eig-
ners, hat seit der Verkündung des
Börsendebüts immer wieder eine Be-
wertung des Megakonzerns von zwei
Billionen Dollar gefordert. Da Analys-
ten den realen Aramco-Wert aber
eher bei 1,5 Billionen sehen, wurde
das Initial Public Offering (IPO) bis-
her immer wieder verschoben.

Zankapfel Bewertung
Am Donnerstag kam das Aramco-
B oard, der Aufsichtsrat und die Füh-
rung des PIF-Gouverneurs Yasir Al-
Rumayyan, mit den 25 für das IPO
angeheuerten Investmentbanken
und Finanzberatern zusammen. Am
Freitag sollen Analystenberichte der
beteiligten Banken veröffentlicht wer-
den. Und am Sonntag soll der Bör-
sengang offiziell verkündet werden.

Wie groß der Anteil sein soll, der an
die Börse Riad (Tadawul) gebracht
wird, soll spätestens mit der Veröf-
fentlichung des Börsenprospekts eine
Woche später klar sein.
Eine weitere Platzierung an auslän-
dischen Börsen soll 2020 erfolgen,
heißt es bei mit dem IPO beteiligten
Personen. Gerechnet wird mit einer
Erstplatzierung von bis zu drei Pro-
zent der Aramco-Anteile. Aber selbst
bei der Erstausgabe von nur zwei
Prozent und der erhofften Bewer-
tung des Konzerns mit zwei Billionen
Dollar wäre das Aramco-IPO mit 40
Milliarden Dollar der weltgrößte Bör-
sengang. Der chinesische Internet-
händler Alibaba hatte 25 Milliarden
und die japanische Softbank-Gruppe
21 Milliarden Dollar für ihren Tele-
komkonzern eingespielt.
Doch enorme Risiken belasten den
Aramco-Börsengang: „Geopolitische
Unsicherheiten“ sowie das schlechte
Umfeld wegen des amerikanisch-chi-
nesischen Handelskriegs führt Nae-
em Aslam, Analyst bei ThinkMarkets
in London, ins Feld. Andere Analys-
ten stört der relativ niedrige Ölpreis.
Hinzu kommt, dass die wichtigsten
Ölanlagen Aramcos am 14. Septem-
ber bei einer Drohnen- und Raketen-
attacke, hinter der der Iran vermutet
wird, zerstört wurden. Und Analys-
ten der Ratingagentur Fitch sehen
mögliche weitere Angriffe als Risiko
für Aramco.
Hinzu kommt ein miserables Bör-
senumfeld: Seit dem Vier-Jahres-
Höchststand im Mai sind die Kurse
der am Tadawul, der heimischen
Wertpapierbörse, notierten saudi-
schen Aktien stark gefallen. Um den
Aramco-Börsengang dennoch zu ei-
nem Erfolg zu machen und eine ho-
he Bewertung zu erzielen, unter-
nimmt die Regierung einiges: So wur-
den die Steuerlast und die Zahlungen
für Förderlizenzen deutlich gesenkt
und für 2020 eine 75 Milliarden Dol-
lar hohe Dividende garantiert. Den-
noch wäre selbst diese Dividenden-
höhe mit einer Rendite von 3,75 Pro-
zent – bei einer Bewertung des
Konzerns mit zwei Billionen Dollar –
deutlich unter der von Wettbewer-
bern wie Shell (6,2 Prozent) oder Ex-
xon-Mobil (4,9 Prozent). Aber: „Re-
gierungshilfe reicht dem Aktienkurs
nicht, wenn der Gegenwind zu stark
ist“, meint Hasnain Malik, Aktienstra-
tege von Tellimer in Dubai.

Familien sollen zeichnen
Und so macht Riad mächtig Druck:
Reiche saudische Familien, von de-
nen einige Mitglieder 2017/18 festge-
nommen und teilweise monatelang
in Riads Ritz-Carlton Luxushotel fest-
gehalten worden waren, werden er-
presst. Sie sollten Aramco-Aktien
kaufen oder ihre für die Freilassung
aus dem Ritz erpressten, eingefrore-
nen Vermögen in Aramco-Anteile
tauschen, heißt es bei einem Insider
unter der Bedingung, nicht nament-
lich zitiert zu werden. Auch werden
Staatsfonds in befreundeten und ab-
hängigen Ländern wie Kuwait oder
den Vereinigten Arabischen Emiraten
zu Investments gedrängt, ebenso
Großkunden wie chinesische oder ja-
panische Ölfirmen. Gerade vor der
erstmaligen Präsidentschaft Saudi-
Arabiens bei der G20-Gruppe im Jahr
2020 will der König, dass sein Land
mit Aramco auch öffentlich sichtbar
das wertvollste Unternehmen der
Welt besitzt.

Börsengänge


Die Billionen-


Dollar-Frage


Saudi Aramco ist der profitabelste Konzern der Welt.


Am Sonntag soll der Börsengang verkündet werden.


Ölförderung in Saudi-
Arabien: Aramco fördert
täglich fast zehn Millionen
Barrel (je 159 Liter).

mauritius images

Regierungs-


hilfe reicht


dem


Aktienkurs


nicht, wenn


der Gegenwind


zu stark ist.


Hasnain Malik
Aktienstratege von
Tellimer in Dubai

Saudi-Arabien


Vision und


Realität


D


reistellige Milliardenbeträge
investiert das Königreich
Saudi-Arabien in die Moder-
nisierung der größten Volkswirt-
schaft am Golf. „Vision 2030“ heißt
das Konzept von Kronprinz Moham-
med bin Salman. Faktisch lenkt er
das Land seit drei Jahren für seinen
kranken Vater, König Salman. Der
mächtige Kronprinz will das Land
fit machen für die Zeit nach der Öl-
Ära. Dazu lässt er für 500 Milliar-
den Dollar die nagelneue For-
schungs- und Zukunftsstadt Neom
am Roten Meer bauen, die zum Sili-
con Valley am Golf werden soll.
Die Schaffung von Millionen neu-
er Jobs für die junge Bevölkerung –
das Durchschnittsalter beträgt nur
27 Jahre – steht im Mittelpunkt der
Strategie. Vor allem Frauen, die bis-
her nicht einmal ohne Zustimmung
eines männlichen Verwandten ei-
nen Pass beantragen durften, sollen
in Lohn und Brot kommen und
mehr Rechte erhalten.


Ratingagentur ist skeptisch


Es läuft also in Richtung Moderne.
Doch der Weg ist steinig: Am Mitt-
woch hat der Internationale Wäh-
rungsfonds (IWF) die Prognose für
das saudische Wirtschaftswachstum
von 1,9 auf 0,2 Prozent für das lau-
fende Jahr gesenkt. Das Haushalts-
defizit werde laut der Ratingagentur
Fitch von 5,9 Prozent 2018 auf 6,7
Prozent dieses Jahr steigen. Zu-
gleich senkte Fitch die Bonität für
Anleihen des Landes auf A, Wettbe-
werber Standard & Poor’s hat sogar
nur A- vergeben.
Durch einen massiven Drohnen-
und Raketenangriff auf die Ölverar-
beitungsanlage Abqaiq und das Öl-
feld Khurais am 14. September hatte
der Staatsölkonzern Saudi Aramco
vorübergehend Produktionsausfälle
in Höhe von 5,7 Millionen Barrel
Rohöl täglich – fast 60 Prozent der
Produktionskapazität. „Obwohl die
Ölförderung bis Ende September
vollständig wiederhergestellt wur-
de, sehen wir die Gefahr weiterer
Angriffe auf Saudi-Arabien, die zu
wirtschaftlichen Schäden führen
könnten“, erklärte Fitch.
Die Ratingagentur warnt, Saudi-
Arabien sei „anfällig für eskalieren-
de geopolitische Spannungen ange-
sichts seiner prominenten außenpo-
litischen Haltung, einschließlich
seiner engen Ausrichtung an der
US-Politik gegenüber dem Iran und
seiner anhaltenden Beteiligung am
Jemenkrieg“. mbr


Saudi-Arabien


Bruttoinlandsprodukt (real)
Veränderung z. Vorjahr in Prozent


-0,7

+4,1

+1,7

+2,2
+2,4

+0,2

HANDELSBLATT


2015 2020
Quelle: IWF

Prognose

Finanzen & Börsen
WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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