Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
Christian Schnell München

D


as Wohlwollen der Analysten war Wi-
recard lange Zeit gewiss. Stets lobten
sie die gewaltigen Wachstumschan-
cen sowie die überlegende Technik
des Aschheimer Unternehmens –
trotz aller Bedenken zum schwer durchschaubaren
Geschäftsmodell und der seit mehr als einem Jahr-
zehnt anhaltenden Spekulationen gegen den Zah-
lungsdienstleister. Diese oftmals sehr einseitige
Sicht auf die Dinge bekommt nun nach neuerlichen
Zweifeln an der Bilanzierung Risse.
Die „Financial Times“ hatte am Dienstag berich-
tet, dass im Jahr 2016 rund die Hälfte des von Wire-
card in diesem Jahr erzielten Gewinns vor Zinsen,
Steuern und Abschreibungen (Ebitda) über ein
Partnerunternehmen aus Dubai namens Al Alam
erzielt worden sei. Daraufhin kontaktierte die Wirt-
schaftszeitung 34 wichtige Kunden, deren Geschäf-
te über die Plattform dieses Wirecard-Partners ab-
gewickelt wurden. Diese Recherchen ergaben, dass
fast die Hälfte den Namen Al Alam nie gehört ha-
ben, andere sich nicht äußerten oder nicht mehr
auffindbar sind.
Wirecard selbst wies die Vorwürfe am Mittwoch
zurück. Die mehr als 300 000 Vertragskunden von
Wirecard seien alle mit der eigenen Technologie-
Plattform verbunden, hieß es. Alle Umsätze und
Erträge, die Wirecard in seiner Bilanz nenne, bezö-
gen sich somit auf die Dienstleistungen, die über
diese Plattform bereitgestellt würden.
Es gibt mehrere Gründe, warum die Aktie von
Wirecard immer unter Druck gerät. Und warum
Anleger hier starke Nerven brauchen.

nDas Geschäftsmodell: Keiner der weiteren 29
Dax-Konzerne hat ein solch schwer durchschauba-
res Geschäftsmodell wie Wirecard. Der Zahlungs-
dienstleister produziert nichts, hat keine Warenein-
und -ausgänge und auch kein allzu großes Anlage-
vermögen. Stattdessen werden millionenfach Zah-
lungen von Käufern zu Verkäufer weitergeleitet.
Dafür braucht es vor allem leistungsstarke Service-
Hubs, die Wirecard in Aschheim, Dubai, Irland und
seit 2017 in den USA hat. Zudem hat Wirecard be-
reits Mitte des vergangenen Jahrzehnts eine Bank-
lizenz erworben und braucht somit keinen Partner,
mit dem die Gebühren für die Abwicklung geteilt
werden müssten. Wirecard stellt bei den Zahlungs-
vorgängen die Plattformen und versucht diese im-
mer weiter auszubauen. Das teils mit namhaften
Partnern. Dabei geht es um Konzepte, die heute
bereits die Zukunft des Bezahlens zeigen. Wenn die
Telekom-Tochter T-Systems einen Einkaufswagen
mit integriertem Tablet für Supermärkte entwi-
ckelt, an den der Einkaufszettel via App geschickt
und zudem gleich bezahlt werden kann, dann
sorgt Wirecard dafür, dass auch Geld für die Ware
vom Kunden an den Verkäufer fließt. Für Privat-
kunden soll zudem das Angebot um Finanzierun-
gen, Versicherungen sowie Bonus- und Treuepro-
gramme ausgebaut werden. Die eigene Zahlungs-
verkehrs-App Boon ermöglicht das Bezahlen via
Smartphone und ist Partner von Apple Pay, Google
Pay, Garmin Pay und Fitbit Pay. Wie bei den meis-
ten Banken fällt dafür eine Kontoführungsgebühr
an, hier sind es derzeit 1,49 Euro im Monat.

nWhite Label: Dass Wirecard letztlich dahinter-
steckt, wenn Geld fließt, ist für Außenstehende in
den wenigsten Fällen direkt erkennbar. Das gilt für
Geschenkgutscheine beim Discounter Lidl ebenso
wie für Chinesen, die als Touristen über den popu-
lären Bezahldienst Alipay ihre Kirschen am Mün-
chener Viktualienmarkt kaufen. Weltweit ist die
Zahl der Geschäftskunden, die diese Dienste nut-
zen, inzwischen auf über 300 000 angestiegen.
Zum Jahreswechsel waren es noch 279 000. Vor al-

Komplex und

umstritten

Das Vertrauen in den Zahlungsdienstleister


Wirecard leidet nach einem neuerlichen


kritischen Bericht in dieser Woche erneut.


Das müssen Anleger jetzt wissen.


Hauptversammlung
von Wirecard:
Die Aktie wird derzeit
besonders oft gehandelt.

Manuel Nieberle für Handelsblatt

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Geldanlage


WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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