Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1

Eine deutsche Familiengeschichte
WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
47


Roland Berger: Vier
Dekaden lang Chef
seines Unternehmens,
noch heute gefragt
und verehrt.

Getty Images Entertainment/Getty Images

Sehr elegant im Ausdruck


und knallhart in


dem, was er vorschlägt.


Hans-Werner Sinn
Wirtschaftsprofessor und ehemaliger Chef
des Ifo-Instituts

W


enn man fragt, wer als Berater die
deutsche Wirtschaftszeit nach der
Adenauer-Ära geprägt hat, wird
man schnell den Namen Roland
Berger hören. Vielleicht noch den von Herbert
Henzler, dem großen Rivalen von McKinsey.
Aber da gibt es den Wermutstropfen, dass er für
die amerikanische Consulting-Maschine arbeite-
te. Die Berger-Beratung aber war genuin deutsch,
eine Erfindung des Diplom-Kaufmanns aus dem
Jahr 1967, der eine Wäscherei und einen Spirituo-
sen-Discounter gründete und in Mailand fünf Jah-
re lang als Wirtschaftsberater gearbeitet hatte.
Der Gründer startete mit Ideen, Selbstbewusst-
sein und dem Status eines Selfmade-Millionärs.
Er war dreißig und stand für eine neue Zeit: hip-
per, lebenslustiger, experimentierfreudiger. Die
Angebote von Konzernen, dort Karriere zu ma-
chen, hatten bei dem agilen Deutschen keine
Chance: „Warum sollte ich zurück in den Käfig?“
Im Grunde hat Roland Berger damals nach US-
Vorbild Marketing in die deutschen Lande ge-
bracht. „Jedes Geschäft“, bilanziert Berger, „ist
50 Prozent Hirn und 50 Prozent Bauch.“ Und na-
türlich auch zu 100 Prozent Networking, worauf
sich der Mann aus München mit Charme, Er-
werbssinn und politischem Gespür wie kein Zwei-
ter verstand. Das hat ihn zu einem zentralen Ge-
stalter der deutschen Ökonomie gemacht, der bei
vielem geholfen hat: Industrien verschwinden zu
lassen (Textil), sie neu auszurichten (Bier) oder zu
globalisieren (Automobil). Er saß in insgesamt 20
Regierungskommissionen, er wirkte für Kanzler
Helmut Kohl mit an der Privatisierung der DDR
und für Gerhard Schröder an der Auflösung der
Deutschland AG. Aber bei Angela Merkel kam sei-
ne Fraternisierungskunst nicht weiter.

„Mr. Wirtschaft“
Der entscheidende Kick in der Karriere war ein ers-
ter Auftrag 1971 für die Deutsche Bank. Daraus ent-
stand eine jahrzehntelange enge Bindung an das
Geldinstitut und mancher Auftrag. Berger war eng
mit dem legendären, von Linksterroristen ermorde-
ten Bankchef Alfred Herrhausen befreundet. 1988
erstand die Deutsche Bank sogar 95 Prozent der Be-
ratungsfirma Roland Berger. Eine Dekade später
kauften der Gründer und seine Partner die Anteile
zurück. Erst mit dem Abgang von Vorstandschef Jo-
sef Ackermann 2012 kühlte die Liebe zur „Deut-
schen“ ab.
Früh hat Roland Berger die Chancen Asiens ent-
deckt. Er beriet die NordLB und deren Firmenkun-
den Rollei, der allerdings gegen die modernen ja-
panischen Kameras keine Chance hat. Wieder und
wieder begleitete der Consigliere Unternehmer-Fi-
guren mit Berthold Leibinger oder Ferdinand
Piëch bei ihren Trips nach Fernost. Heute wirkt
Roland Berger unter anderem als Honorarkonsul
der Republik Singapur, die mit ihren zwei Staats-
fonds einen gewissen Einfluss auf den globalen Fi-
nanzkapitalismus hat. Zuvor hatte er, in gleicher
diplomatischer Funktion, für Finnland agiert. Dass
auch Cäsar und Napoleon Konsuln waren, er-
wähnt Berger mit Freude am Humor, aber vermut-
lich auch an der eigenen Geltung.
Sein Erfolgsrezept sei „neben Fleiß auch einer
Mischung geschuldet aus meiner DNA, kompe-
tenten Menschen um mich herum und natürlich
Glück“, sagte Roland Berger einmal. Wirtschaft
ist für ihn nicht Krieg, sondern „Sport“, wie er
im „Handelsblatt Magazin“ zum 80. Geburtstag
in seinem Ferienhaus im schweizerischen St. Mo-
ritz erklärte: „fairer, regelbasierter Wettbewerb“,

nannte er das, wobei die Goldmedaille schon das
Ziel sein sollte, wie Berger auch noch süffisant
anmerkte.
Ein langjähriger Gefährte wie Linde-Aufsichts-
ratschef Wolfgang Reitzle nennt ihn einen „Men-
schenfänger mit Unternehmer-Gen“, der sich ex-
trem gut an unterschiedliche Situationen anpas-
sen könne. Und der überall ankomme und nie
polarisiere. Roland Berger sei „sehr elegant im
Ausdruck und knallhart in dem, was er vor-
schlägt“, sagt Wirtschaftsprofessor Hans-Werner
Sinn, einst Chef des Ifo-Instituts. Dort avancierte
Berger prompt zum Chef des Freundeskreises.
2003 gab Roland Berger den Chefposten der
Beratung auf, einige Jahre später auch den Auf-
sichtsratschefposten. Trotzdem ist er als Person,
als Investor sehr aktiv. Die Trennung hatte
schmerzhafte Aspekte, man ging sogar zu Ge-
richt, aber heute liegt der Mantel der Harmonie
über dieser Geschichte. Berger hält rund 2,5 Pro-
zent und ist Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats.
Man begegnet ihm dort mit Respekt.
Der Senior hält heute rund 25 Firmenbeteili-
gungen, immer in der Hoffnung, „the next big
thing“ sei dabei, etwa ein Heilmittel gegen Alz-
heimer oder neue Erkenntnisse über die DNA
von Menschen. Sein Vermögen dürfte sich auf
rund eine halbe Milliarde Euro belaufen, wozu
auch erlesene Kunstwerke beitragen, etwa Ge-
mälde seines Freundes Georg Baselitz oder Wer-

ke von Isabelle Bourgeois. 350 zeitgenössische
Werke, teils von Weltrang, gehören zur Kollekti-
on.
Roland Berger hat es in Deutschland im Dunst-
kreis von Konzernzentralen und Regierungssit-
zen zu einiger medialer Wichtigkeit gebracht,
was natürlich auch auf intensive Pressearbeit zu-
rückzuführen ist. Als erster Berater in Deutsch-
land überhaupt lud er zu Pressekonferenzen. Ne-
ben Bilanzzahlen präsentierte der Vortragende
vor allem seine Zukunftssicht und Branchenre-
ports, was immer wieder gern abgedruckt wurde
und Kontakte sicherte. Jahrelang war der „Mr.
Wirtschaft“ in Talkshows. Aber Berger weiß
auch, dass Journalisten ständig auf der Jagd seien
„und dass man stets zum Abschuss steht“.
Politisch leidet der Doyen der Beraterbranche


  • der den Parteien CSU und FDP nahesteht – an
    der Wechselhaftigkeit der Entscheider. Wenn so-
    zial „in“ sei, schalte man eben auf sozial, wenn
    Markt „in“ ist, auf Markt, referiert er. Berger fin-
    det, man solle sich immer vergegenwärtigen,
    dass beim Terminus „soziale Marktwirt-
    schaft“ das „sozial“ nur das Adjektiv und „Markt-
    wirtschaft“ das Primäre sei. Sein wirtschaftspoliti-
    sches Leitbild entspricht den marktradikalen Ide-
    en von Friedrich August von Hayek, dem
    Vordenker des ökonomischen Liberalismus. In
    der Regierung von Gerhard Schröder trat er aber
    als Bundeswirtschaftsminister trotz Aufforde-
    rung nicht an – Roland Berger sah zu wenige
    Durchsetzungschancen. Unumstritten waren die
    Leistungen seiner Berater für die öffentliche
    Hand allerdings nicht: Der einstige Ministerpräsi-
    dent Christian Wulff zum Beispiel beklagte co-
    ram publico Leistungsdefizite.
    Einige Jahre will Roland Berger noch als Teilha-
    ber von Firmen und Redner mitmischen. Den Be-
    griff „Rentner“ lehnt er denn auch aus tiefstem
    Herzen ab, der passe nicht zu ihm, selbst wenn
    er offiziell einer sei. Es gehe ihm nicht ums Wich-
    tigsein – sondern darum, „weiter meinen Kopf zu
    nutzen, Dinge anzustoßen, zu gestalten, mich
    einzubringen.“ Hans-Jürgen Jakobs


Lebenswerk Roland Berger


Doyen der Beraterbranche


Unternehmen, Regierungskommissionen, Netzwerke: Kaum ein anderer Berater


prägte die deutsche Wirtschaft so sehr wie Roland Berger.

Free download pdf