Handelsblatt - 17.10.2019

(Ron) #1

die Liste der deutsch-amerikanischen Zwistigkei-


ten. Selten war das Verhältnis so angespannt. Dass


US-Präsident Donald Trump und Kanzlerin Angela


Merkel kein gerade herzliches Verhältnis verbindet,


macht die Lage nicht einfacher. Zuletzt setzte man


sich am Rande der UN-Vollversammlung in New


York zusammen, um über die Irankrise zu beraten.


Aus dem rund 15-minütigen Gespräch sickerten kei-


ne Details durch, und so verblasste das Treffen


zum müden Signal, dass man überhaupt noch mit-


einander redet.


Die Kluft zwischen der US-Regierung, die das


multilaterale System skeptisch betrachtet, und


Deutschland, das auf Kooperation drängt, ist kaum


noch zu kaschieren: „Die Zukunft gehört nicht den


Globalisten, sondern Patrioten“, bekräftigte Trump


in seiner Rede vor der UN. Merkel hingegen war


auch nach New York gereist, um für einen kollekti-


ven Ansatz im Kampf gegen den Klimawandel zu


werben. Demonstrativ hielten sich die USA von der


Klimadebatte fern, Trump erschien nur für einen


spontanen Abstecher als Publikumsgast.


Die Kontroverse über das 5G-Netz


wirkt wie plötzlicher Nachtfrost


Die Entfremdung wird auch an anderer Stelle deut-


lich. Über einen Deutschlandbesuch von Trump et-


wa wird seit Längerem geredet, aber konkrete Plä-


ne gibt es nicht. Merkel war zuletzt im Frühjahr


2018 im Weißen Haus. Erst vor einigen Monaten


besuchte sie die Eliteuniversität Harvard und


drängte vor Tausenden Studenten darauf, „global


statt national“ zu denken. Doch den Umweg über


Washington sparte sie sich. Spricht man mit Trans-


atlantikern in Washington, klingt die beschriebene


Stimmung stets ähnlich: Auf Arbeitsebene funktio-


niere der Austausch noch, man zehre vom über


Jahrzehnte gewachsenen Vertrauen. Und doch sei


mit Trump eine Deutschlandkälte ins Weiße Haus


gezogen, die selbst in Krisenzeiten seiner Vorgän-


ger, etwa während George W. Bushs Irakkrieg und


der Spähaffäre unter Barack Obama, nicht erreicht


worden sei. Im Ringen um eine Nahoststrategie


oder im Umgang mit Chinas wirtschaftlicher Ex-


pansion in Industrie- und Entwicklungsländern sit-


ze Deutschland oft zwischen den Stühlen, beklagte


ein führender Beamter aus Berlin in Washington.


Eine Kontroverse wie um Huawei wirkt in diesem


Umfeld wie plötzlicher Nachtfrost – vor allem, weil


die Liste weiterer Streitigkeiten immer länger wird.


Trumps Rückzug aus dem Pariser Klimaabkom-


men und dem Iran-Atomdeal waren erste, frühe Af-


fronts seiner Amtszeit, die das Verhältnis zu


Europa erschütterten. Seit Verteidigungsminister


James Mattis Ende 2018 zurücktrat, gibt es keinen


prominenten Transatlantiker mehr in der US-Re-


gierung. In seinem Abschiedsbrief legte Mattis na-


he, er habe einen „respektvollen Umgang mit Ver-


bündeten“ vermisst. Offensichtliches Symptom der


gestörten Beziehungen ist der Handelskrieg, in des-


sen Kontext deutsche Autos von Trump oft als Be-


drohung für die heimische Fahrzeugindustrie ge-


schmäht werden. Bei den Feiern zum Tag der


Deutschen Einheit in Washington witzelte US-Fi-


nanzminister Steven Mnuchin, ihm gefalle „beson-


ders der Mercedes im Eingangsbereich“ der Deut-


schen Botschaft. Doch jenseits von Scherzen ist die


Lage ernst. Trump riskiert mit seinem Handels-


krieg einen globalen Abwärtsschwung, der die ex-


portstarke Euro-Zone empfindlich trifft. Die Mühen


um ein transatlantisches Industriezollabkommen


sind festgefahren, die Verhandlungen haben formal


noch nicht einmal begonnen. Das einzige konstruk-


tive Signal, das beide Seiten zuletzt sendeten, war


ein Rindfleisch-Abkommen, das zollfreie US-Expor-


te in die EU verdreifachen soll.


Doch die großen Konfliktlinien löst der Fleisch-


Deal nicht auf. Seit der US-Präsidentschaftswahl-


kampf an Fahrt gewinnt, scheint Washington die


EU und Deutschland wieder verstärkt treffen zu


wollen. Noch in dieser Woche wollen die USA im


Konflikt um Luftfahrt-Subventionen neue Strafzölle


gegen mehrere EU-Länder einführen. Ein Schieds-


spruch der Welthandelsorganisation hatte den USA


grünes Licht dafür gegeben. Die Strafzölle auf Stahl


und Aluminium sind auf unbestimmte Zeit in Kraft,


und die USA wollen den europäischen Agrarmarkt


aufbrechen, wogegen sich Länder wie Frankreich
sperren. Parallel erschüttern Drohungen mit Auto-
zöllen, die insbesondere Deutschland schaden
würden, die Vertrauensgrundlage. Im November
läuft eine Frist ab, bis zu der Trump seine Entschei-
dung über Autozölle bekanntgeben will. Darüber
hinaus untersucht die US-Regierung neue Strafzölle
gegen Frankreich, als Reaktion auf Pläne für eine
Digitalsteuer für amerikanische Tech-Giganten wie
Google, Facebook oder Amazon.
Nicht nur über Deutschlands Exportüberschuss
schimpft Trump vor seinen Anhängern. Immer
wieder zieht er Deutschland als abschreckendes
Beispiel heran, mal für eine aus seiner Sicht „wahn-
sinnige“ Flüchtlingspolitik, mal als Nutznießer im
Verteidigungsbündnis Nato. Wenn Trump mit eu-
ropäischen Staats- und Regierungschefs auftritt,
kommt er über kurz oder lang auf Deutschland zu
sprechen. So nahm er einen Besuch des polni-
schen Präsidenten Andrzej Duda im Sommer zum
Anlass, die EU in gute und schlechte Partner zu un-
terteilen. Polen, dessen Regierung konservative
Werte vertritt und das sogenannte Zwei-Prozent-
Ziel der Nato einhält, stünde auf der guten Seite,
betonte Trump. Scharfe Kritik hingegen übte er an
Deutschlands Militärbudget, das derzeit 1,35 Pro-
zent vom Bruttoinlandsprodukt beträgt. Zuletzt er-
wog die US-Regierung gar, einen Teil der in
Deutschland stationierten US-Soldaten nach Polen
zu verlegen. Auch im Zusammenhang mit der
deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 er-
innert Trump regelmäßig daran, dass die USA
nicht lockerlassen werden und bezeichnet
Deutschland als „Geisel Russlands“.

Auch andere Länder haben die
Chinesen ausgeschlossen

Trump trifft mit seinen Rundumschlägen nicht sel-
ten wunde Punkte. Die Nato-Ausgaben und Nord
Stream 2 sind auch innerhalb Deutschlands und
der EU umstritten. Dasselbe gilt auch für Huawei –
und zwar auch innerhalb der Bundesregierung.
Das Auswärtige Amt etwa plädiert für einen härte-
ren Kurs gegenüber dem chinesischen Hersteller.
Auch andere Staaten sehen den Netzwerkausrüs-
ter kritisch. In Australien und Japan ist Huawei
vom Aufbau des nächsten Mobilfunkstandards 5G
ausgeschlossen. In Taiwan, das Peking als abtrünni-
ge Provinz betrachtet, dürfen sich chinesische Aus-
rüster seit 2013 nicht mehr an Regierungsaufträgen
für das Mobilfunknetz beteiligen. In den USA ist
chinesische Technik seit Jahren weitgehend aus
dem Mobilfunknetzen verbannt. Trotz der Anstren-
gungen der USA, ihre Verbündeten zum Ausschluss
von Huawei zu drängen, haben sich viele Staaten
gegen ein pauschales Verbot entschieden. Großbri-
tannien kam zu dem Schluss, Huawei zwar nicht
im sensibelsten Bereich der Infrastruktur, dem so-
genannten Kernnetz, einzusetzen, im restlichen
Teil der Mobilfunkarchitektur aber zuzulassen.
Die EU hatte sich im März ebenfalls gegen ein
pauschales Verbot von Huawei ausgesprochen und
die Mitgliedstaaten aufgefordert, den Umgang mit
dem chinesischen Ausrüster kritisch zu prüfen.

Wir halten die


Entscheidung,


Huawei die


Tür offen


zu halten,


für unverant -


wortlich.


US-Regierungsvertreter


Neue Technologien


Europa fällt


weiter zurück


V


on wegen Aufholjagd. Europa droht im
Technologiewettlauf mit den USA und
China weiter zurückzufallen. Das ist je-
denfalls das Ergebnis einer neuen Studie „Inno-
vation in Europe“ des McKinsey Global Instituts
(MGI), die heute veröffentlicht wird und dem
Handelsblatt vorliegt. „Auch Europa ist zwar digi-
tal in den vergangenen Jahren stark gewachsen,
der Abstand zu den wichtigsten Wettbewerbern
hat sich jedoch vergrößert“, sagte MGI-Partner
und Mitautor der Studie, Jan Mischke.
Die Fakten belegen das: Von den 250 global
führenden Technologieunternehmen stehen eu-
ropäische Firmen nur für acht Prozent der For-
schungs- und Entwicklungsausgaben – China liegt
bei elf Prozent, die USA bei 77 Prozent. „Europas
Anteil an den sogenannten „Superstar-Firmen“ –
das sind die Top-Zehn-Prozent-Unternehmen, die
ein Großteil der Gewinne abschöpfen – ist seit
den 1990ern von 32 Prozent auf 16 Prozent zu-
rückgegangen“, konstatieren die Autoren.
Die Ergebnisse der MGI-Studie decken sich mit
ähnlichen Untersuchungen. Nach einer Umfrage
der Boston Consulting Group (BCG) aus dem ver-
gangenen Jahr beschäftigt sich zum Beispiel we-
niger als die Hälfte aller deutschen Unternehmen
mit der Zukunftstechnologie Künstliche Intelli-
genz (KI). Und nach einer Studie des Vodafone
Instituts in neun europäischen Ländern vermis-
sen 60 Prozent der Befragten bei ihren Regierun-
gen den Willen zur Digitalisierung.
Spitze seien die Europäer immer noch in der
Grundlagenforschung, betonen die MGI-For-
scher. „Wenn es jedoch darum geht, die For-
schungsergebnisse zu skalieren und wirtschaft-
lich umzusetzen, verlieren wir den Anschluss“,
bemängelt Eckart Windhagen, Co-Autor und
ebenfalls Partner bei MGI. Europa tue sich nach
wie vor schwer damit, exzellente Forschung in
erfolgreiche Geschäftsmodelle zu überführen:
Die Zahl der Start-ups für Künstliche Intelligenz
habe sich in den vergangenen drei Jahren zwar
verdreifacht. Dennoch gebe es bisher kein Uni-
corn – also ein Start-up mit einer Bewertung von
über einer Milliarde Dollar in diesem Bereich in
Europa. Mischke führt das unter anderem auf die
immer noch starke Fragmentierung der europäi-
schen Anstrengungen zurück.
Aufholen könnten die Europäer nach Meinung
der Autoren nur, wenn sie ihre Kräfte stärker
bündeln und „strategische Prioritäten“ setzten.
So würden im Gesundheitswesen enorme öffent-
liche Summen ausgegeben, die man für die Be-
schaffung auch gemeinsam nutzen könne. Die
MGI-Forscher sehen gerade im sogenannten Busi-
ness-to-Business(B2B)-Geschäft gute Chancen für
europäische digitale Plattformen.
Voraussetzung dafür sei allerdings ein Umden-
ken in der Wirtschaftspolitik. „Wir müssen wie
mit der Exzellenzinitiative bei den Universitäten
dazu kommen, dass wir auch bei der Technolo-
gieförderung die Besten besonders unterstüt-
zen“, forderte Windhagen. Man könne doch ein
Drittel der Fördergelder den besten Unterneh-
men geben und den Rest per Gießkanne vertei-
len. Gerade in Deutschland tue man sich mit die-
ser Elitenförderung sehr schwer. In anderen eu-
ropäischen Ländern wie der Schweiz oder
Frankreich sei es kein Problem.
Lobend äußern sich die Autoren darüber, dass
Europa durch frühzeitige Regulierung der Digital-
wirtschaft globale Standards setze. „Da hat man
wirklich vorausgedacht“, sagte Windhagen. Jetzt
komme es allerdings darauf an, die richtige Ba-
lance zwischen Nutzerkontrolle und der Nutzung
von Daten zu finden. „Das ist zwar technisch
nicht immer einfach, aber doch möglich“, beton-
te der MGI-Forscher. „Wir können jedenfalls
nicht weiter halb auf der Bremse und halb auf
dem Gaspedal stehen.“ Torsten Riecke

Merkel und Trump im
Juli 2018 beim Nato-
Gipfel in Brüssel:
Das Verhältnis der
beiden ist angespannt.

Kevin Lamarque/REUTERS

Wirtschaft & Politik


DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200


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