Martin Greive, Jan Hildebrand
Berlin
A
m Mittwochmittag ge-
lang der lang ersehnte
Durchbruch. Nach vie-
len Treffen und Telefo-
naten zwischen Bun-
desfinanzministerium, FDP und Grü-
nen stand fest: Die Grundsteuer-Re-
form wird doch wie geplant am Frei-
tag beschlossen. Die beiden Oppositi-
onsfraktionen werden den nötigen
Grundgesetzänderungen im Bundes-
tag zustimmen.
Monatelang rangen erst Union und
SPD miteinander, dann Finanzminis-
ter Olaf Scholz (SPD) mit seinen Län-
derkollegen und schließlich Regie-
rung und Opposition. Für den Be-
schluss in Bundestag und Bundesrat
ist eine Zweidrittelmehrheit nötig –
dafür braucht die Koalition die Stim-
men der FDP und Grünen.
Die Reform sieht ein neues Be-
steuerungsmodell vor, das sich am
Wert der Immobilie orientiert, von
dem die Bundesländer dank einer
Öffnungsklausel allerdings abweichen
und eigene Grundsteuerregelungen
einführen können. Streitpunkt war
zuletzt die Auswirkung dieser Klausel
auf den Länderfinanzausgleich. So
könnten sich Länder über niedrige
Grundsteuern „arm rechnen“. Um
das zu verhindern, sollte für Länder
mit einer eigenen Regelung das Bun-
desmodell simuliert und für den Län-
derfinanzausgleich herangezogen
werden.
Die FDP befürchtete, dass dadurch
Bundesländer doppelt rechnen und
Grundstückseigentümer womöglich
zwei Steuererklärungen abgeben
müssen. Beides soll nun im Gesetz
ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Während die FDP dies für sich als
großen Erfolg wertet, hieß es aus der
SPD, den Liberalen sei es nur um Pu-
blicity gegangen, die Gesetzänderung
sei eigentlich wirkungslos.
Scholz wird es letztlich egal sein,
er hat wenigstens eine Dauerbaustel-
le in der Steuerpolitik nun geschlos-
sen. Allerdings tun sich schon wieder
neue auf. So will die Koalition etwa
ein Steuerschlupfloch beim Kauf von
Immobilien stopfen. Über sogenann-
te „share deals“ können sich Investo-
ren unter bestimmten Bedingungen
von der Grunderwerbsteuer befrei-
en. Wenn sie clever konstruiert sind,
lassen sich bei Transaktionen mit ei-
nem Volumen von mehreren Hun-
dert Millionen leicht zweistellige Mil-
lionenbeträge sparen. Dem will die
Politik einen Riegel vorschieben.
Das Gesetz sollte eigentlich eben-
falls beschlossen werden. Doch am
Montag ließen in einer Bundestags-
Anhörung Experten kein gutes Haar
an dem Gesetzentwurf. Die Union
schloss sich der Kritik an. „Die deut-
lich überschießende Wirkung des Ge-
setzes auf den Mittelstand können
wir nicht zulassen. So kann das Ge-
setz nicht bleiben“, hieß es aus der
Fraktion nach einer Ausschusssit-
zung zu dem Thema am Mittwoch.
„Ich bin nicht sehr zuversichtlich,
dass das Gesetz bald beschlossen
wird. Die Union steht auf der Brem-
se“, sagte ein SPD-Finanzpolitiker.
Immer häufiger geraten Union und
SPD bei Steuerfragen aneinander. Bei
der Grundsteuer rangen CDU, CSU
und SPD lange miteinander, ebenso
beim Soli-Abbau, nun bei den Share
Deals. Und auch im Jahressteuerge-
setz gibt es noch so manche Kleinig-
keit, die Ärger verursacht.
So enthält das Gesetz eine Rege-
lung, nach der Crowdlending-Platt-
formen künftig verpflichtet sein sol-
len, Kapitalertragsteuer einzubehal-
ten und abzuführen. „Das wäre ein
Riesenproblem für die Branche, zu-
mal EU-interne Wettbewerber diese
Pflicht nicht trifft“, sagt FDP-Finanz-
politiker Florian Toncar. „Da haben
wir mal eine digitale Neuentwicklung
im Finanzbereich, und dann wird
gleich die Steuerkeule herausgeholt.“
Die Halbzeitbilanz in der Steuerpo-
litik fällt denn auch eher ernüch-
ternd aus – zumindest aus Sicht des
Steuerzahlerbundes. Der Verband
hat alle steuerpolitischen Maßnah-
men aus dem Koalitionsvertrag über-
prüft. Ergebnis: Die Große Koalition
hat sich auf 28 steuerpolitische Maß-
nahmen verständigt. Vollständig um-
gesetzt wurden laut Steuerzahler-
bund bisher neun, weitere 13 wurden
angepackt, vier sind liegen geblieben,
zwei gescheitert.
„Das Positive an der Halbzeitbilanz
ist schnell erzählt: Pluspunkte sam-
melt die Regierung auf dem Weg zur
vorausgefüllten Steuererklärung“,
sagt Reiner Holznagel, Präsident des
Steuerzahlerbundes. „Dagegen sind
die Bemühungen beim Bürokratieab-
bau völlig unzureichend: Der Gesetz-
entwurf bleibt weit hinter den Erwar-
tungen zurück.“
Vor allem aber sei die Koalition bei
ihrem zentralen Versprechen ge-
scheitert, die Steuerbelastung nicht
zu erhöhen. „Es drohen deutliche
Steuermehrbelastungen“, urteilt der
Steuerzahlerbund in seinem Papier.
Die neue Grundsteuer könnte ebenso
zu einer Mehrbelastung führen wie
die Abschaffung der Abgeltungsteuer.
Den Daumen senkt der Steuerzah-
lerbund auch bei der Einführung ei-
ner Digitalsteuer. Diese ist innerhalb
der EU zwar gescheitert. Allerdings
strebt Finanzminister Scholz weiter-
hin eine Einigung auf globaler Ebe-
ne an.
Finanzpolitik
Umkämpfte Steuerpolitik
Der Streit über die Grundsteuer ist gelöst. Dafür beharken sich Union und SPD aber bei anderen
Steuerthemen. Die Halbzeitbilanz in der Steuerpolitik fällt ernüchternd aus.
Klimaschutz
Scharfe Kritik an neuer Pendlerpauschale
Die Bundesregierung hat
weitere Teile des Klimapakets
beschlossen. Verbände halten
die Maßnahmen für
unzureichend.
Dietmar Neuerer Berlin
K
napp einen Monat ist es her,
dass sich die Große Koalition
nach langem Ringen auf Eck-
punkte geeinigt hat, damit Deutsch-
land national und international ver-
pflichtende Klimaziele für 2030 doch
noch erreicht. Die Maßnahmen wer-
den nun in Gesetzesform gegossen.
Am Mittwoch billigte das Bundes-
kabinett mehrere steuerliche Rege-
lungen, die den Verkehrs- und den
Gebäudesektor betreffen. So sollen
Bahnfahrten im Fernverkehr billiger
und Flugreisen teurer werden. Dafür
wird die Mehrwertsteuer auf Bahnti-
ckets gesenkt und die Luftverkehrs-
abgabe erhöht. Die Ministerrunde
verständigte sich auch auf eine befris-
tete Anhebung der Entfernungspau-
schale für Pendler sowie eine Mobili-
tätsprämie für Kleinverdiener. Zu-
dem soll die energetische
Gebäudesanierung steuerlich geför-
dert werden. Das Kabinett beschloss
außerdem Eckpunkte zum Einstieg in
eine nationale CO 2 -Bepreisung.
Wissenschaftler und Umweltver-
bände halten die Maßnahmen für un-
zureichend, um die deutschen Klima-
ziele zu erreichen. Und auch
Deutschlands oberster Verbraucher-
schützer Klaus Müller übt Kritik.
„Wenn jetzt im Gesetzgebungsverfah-
ren nicht noch deutlich nachge-
schärft wird, ist die Enttäuschung
programmiert“, sagt der Chef des
Verbraucherzentrale-Bundesver-
bands (VZBV) dem Handelsblatt. „Die
Folge wäre: Der Protest auf der Stra-
ße würde noch lauter und die Politik-
verdrossenheit noch größer.“
Für richtig hält Müller zwar, dass
die CO 2 -Bepreisung auf Sprit, Heizöl
und Gas schrittweise erhöht und im
Gegenzug die Bürger entlastet werden
sollen – etwa durch eine Senkung der
Stromsteuer. Dann hätten die Bürger
auch das Geld, um etwa die höheren
Spritpreise zu bezahlen. Dieser sozia-
le Ausgleich werde aber durch andere
Maßnahmen konterkariert, bemän-
gelt er. Eine höhere Pendlerpauschale
etwa sei „keine echte soziale Kompen-
sation“ – trotz der Mobilitätsprämie
für Geringverdiener, betont der VZBV-
Chef. „Besserverdienende Pendler
werden am Ende durch steuerliche
Effekte mit der Erhöhung der Pend-
lerpauschale sogar mehr Geld in der
Tasche haben.“
Ihm wäre es lieber, der CO 2 -Preis
steige „verlässlich“ und jeder Bürger
bekäme zu Jahresbeginn einkom-
mensunabhängig das Geld über ei-
nen „Klimascheck“ erstattet. Dieses
„Klimabudget“ könne dann zur De-
ckung der eigenen Mehrkosten oder
für Investitionen eingesetzt werden.
„Das wäre die sozial gerechtere Vari-
ante“, so Müller.
Günstigere Bahntickets hält der
VZBV-Chef für sinnvoll, wenn damit
eine „echte Lenkungswirkung“ ent-
faltet werde. Dazu müsse die Bahn ei-
ne „ernsthafte und attraktive“ Kon-
kurrenz zum Fliegen sein. „Ambitio-
niert wäre, wenn Flüge im
innerdeutschen Bereich aufgrund
der Klimabelastung grundsätzlich
und immer deutlich teurer wären als
eine Bahnreise.“
Müller plädiert überdies für einen
deutlich günstigeren öffentlichen
Nahverkehr. „Ich bin absolut dafür,
mit dem Ein-Euro-pro-Tag-Ticket in
geeigneten Städten ein bezahlbares
Mobilitätsangebot auszuprobieren“,
sagte er. Dadurch würde der Nahver-
kehr attraktiver. Die Finanzierung
müsste der Bund sicherstellen. Mit ei-
ner stärkeren steuerlichen Belastung
des Kurzstreckenflugbereichs gebe es
dafür schon eine erste Geldquelle.
Leitartikel Seite 14
Verbraucherschützer
Müller:
Maßnahmen der Bun-
desregierung zum Kli-
maschutz haben nur
wenig Lenkungswir-
kung.
Fabrizio Bensch/REUTERS
Olaf Scholz:
Die Reform der
Grundsteuer hat der
Finanzminister
abgearbeitet, viele
andere Vorhaben aber
sind umstritten.
Kay Nietfeld/dpa
Wirtschaft & Politik
DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200
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