Süddeutsche Zeitung - 17.10.2019

(Tina Meador) #1
Ein leuchtender Jaguar hinter Gittern? Das
istder erste Eindruck, den das Foto von Ale-
jandro Prieto hinterlässt. Unter dem Ster-
nenhimmel im US-Bundesstaat Arizona
projizierte er das Bild der Raubkatze auf
ein Stück des Grenzzauns, der die USA
vom Nachbarn Mexiko trennt. Der Jaguar
war ihm in Mexiko in eine Kamerafalle ge-
laufen und er nutzte das Bild, um auf die
Zerstörung des Lebensraumes dieser Tiere
hinzuweisen. Das brachte ihm den Sieg als
Wildlife Photographer of the Year 2019 in
der Kategorie Einzelfoto ein. Der Wettbe-
werb wird vom britischen Natural History
Museum ausgeschrieben. Ebenfalls ausge-
zeichnet wurde ein Foto laichender Frö-
sche in einem Teich in Südtirol. Der Foto-
graf Manuel Plaickner verfolgt seit mehr
als einem Jahrzehnt Grasfrösche bei ihrer
Wanderung. Die kriechen in jedem Früh-
jahr aus ihren Winterquartieren und su-
chen das Gewässer auf, in dem sie einst
selbst schlüpften. Weil Plaickner dafür
selbst im Tümpel untertauchte, belohnte
ihn die Jury mit dem Preis in der Kategorie
„Verhalten von Amphibien und Reptilien“.
Mit viel Geduld fing auch Yongqing Bao ge-
nau den Moment ein, in dem ein Fuchs ein
Murmeltier attackiert, auf das er eine Stun-
de lang gelauert hat. „Fotografisch gese-
hen ist es einfach der perfekte Moment“,
heißt es in der Begründung der Jury, die
das Bild zum Gewinner in der Kategorie
Säugetierverhalten kürte.sz
 Mehr Fotos unter sz.de/wildlife

Die Geduld


derJäger


Laut einem Bericht der Europäischen Um-
weltagentur EEA hat sich die Luftqualität
in europäischen Städten zuletzt etwas ver-
bessert. Vielerorts ist die Luft jedoch noch
so stark verschmutzt, dass im Jahr 2016
rund 400000 Menschen vorzeitig starben.
Bei der Zahl handelt es sich um einen
rechnerisch ermittelten Wert, keinen ge-
messenen. Er eignet sich etwa für Verglei-
che zwischen Regionen oder Zeiträumen.
Die aussagekräftigere Angabe ist die der
verlorenen Lebensjahre. Demnach gehen
in Europa jährlich 4,2 Millionen Lebensjah-
re aufgrund von Feinstaub mit einem
Durchmesser kleiner als 2,5 Mikrometer
verloren. Die Belastung mit Stickstoffdi-
oxid kostet die Bevölkerung 707 000 Le-
bensjahre. Durch die Ozonbelastung
schwinden weitere 160 000 Lebensjahre.
Gegenüber den Vorjahren zeigen die
EEA-Zahlen einen leichten Rückgang der
Todesfälle und der verlorenen Lebensjah-
re. Gleichwohl werden die von der Weltge-
sundheitsorganisation WHO empfohlenen
Grenzwerte vielerorts nicht eingehalten.
Gerade in den Ballungsräumen, in Osteuro-
pa und Norditalien ist die Belastung mit
den drei wichtigsten Schadstoffen noch im-
mer viel zu hoch. Verkehr, Energieerzeu-
gung und Landwirtschaft sowie die Indus-
trie sind die wesentlichen Quellen des
Drecks in der Luft. Die Belastung durch
Verkehr und Landwirtschaft ist nahezu
konstant geblieben, während sie in den an-
deren Bereichen zurückgegangen ist.
Für Nino Künzli, stellvertretender Direk-
tor des Schweizerischen Tropen- und Pu-
blic-Health-Instituts, zeigt der neue Be-
richt, dass die von der WHO empfohlenen
Höchstmengen der Luftschadstoffe einge-
halten werden könnten, wenn die Politik
diese Ziele vorgebe. „Am Beispiel der Stick-
oxide erkennt man die Bedeutung gesund-
heitsorientierter Zielvorgaben gut: Die Jah-
resmittelwerte liegen nur noch an zehn Pro-
zent aller Messstationen über dem von der
WHO vorgeschlagenen und von der EU als
Grenzwert vorgegebenen Wert von 40 Mi-
krogramm pro Kubikmeter.“ Ohne Be-
trugsskandale wäre die Situation aber
noch besser.
Beim Feinstaub wiederum werden an
der Mehrzahl der Messstationen noch im-
mer Mengen ermittelt, die über dem WHO-
Jahresrichtwert von zehn Mikrogramm
pro Kubikmeter liegen. „Seit Jahren wei-
gert sich die EU, diesen Richtwert gesetz-
lich zu verankern“, sagt Künzli. Stattdes-
sen habe die EU für Feinstaub „den von
Lobbyisten propagierten – viel zu hohen –
Jahresmittelwert von 25 Mikrogramm pro
Kubikmeter in der Direktive verankert“.
Als Skandal bezeichnet Christoph Schnei-
der, Professor für Klimageographie an der
Berliner Humboldt-Universität, „die la-
sche Umsetzung von Maßnahmen zur Ein-
haltung von Grenzwerten an Tausenden
von Messstellen in Europa“. In Süd- und
Osteuropa müssten die Emissionen flä-
chendeckend durch Modernisierungen in
der Industrie und im Verkehrssektor ge-
senkt werden. In West- und Nordeuropa
bräuchten insbesondere die ärmeren Ein-
wohner Schutz, die häufig an hochbelaste-
ten Orten leben. Dazu empfiehlt Schneider
Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge,
Tempolimits und einen raschen Umstieg
auf Elektromobilität. Auch mit Holz befeu-
erte Öfen sind enorme Dreckschleudern,
die vor allem in Städten zur Belastung der
Anwohner beitragen.
Im Vergleich zu den übrigen Schadstoff-
quellen ist die Belastung durch die Land-
wirtschaft seit dem Jahr 2000 kaum gesun-
ken. „Hier spielen vor allem die weiterhin
auf hohem Niveau stagnierenden Ammoni-
ak-Emissionen eine wichtige Rolle, weil sie
eine Vorläufersubstanz für die Bildung von
Feinstaub sind“, sagt Barbara Hoffmann,
Professorin für Umweltepidemiologie an
der Universität Düsseldorf. Erfolgreiche
Luftreinhaltung habe einen doppelten Nut-
zen, betont Hoffmann: Dadurch werde
nicht nur die Gesundheit der Menschen
verbessert, sondern auch das Klima ge-
schützt. hanno charisius


von hanno charisius

A


ls Hiromitsu Nakauchi das Bild von
zwei perfekt geformten, grün leuch-
tenden Nieren im Körper einer se-
zierten Maus an die Wand projiziert, geht
ein Raunen durch das Audimax der Univer-
sität München. Das Leuchten entsteht
durch einen molekularbiologischen Kniff,
es ist eine Markierung, die anzeigt, dass
dem japanischen Internisten und seinen
Kollegen etwas Unerhörtes gelungen ist.
Aus ein paar Stammzellen einer Ratte lie-
ßen sie Nieren im Körper einer Maus heran-
wachsen. Irgendwann, so sagt Nakauchi,
sollen menschliche Organe in Schweinen
oder Schafen wachsen und todkranken
Menschen transplantiert werden.
1896 veröffentlichte der britische Autor
H. G. Wells seinen Roman „Die Insel des
Dr. Moreau“, in dem eben dieser Moreau in
seinem Labor das „Beast Folk“ zusammen-
näht, chirurgisch geschaffene Mischwesen
aus Mensch und Tier. Wer im großen Hör-
saal der Ludwig-Maximilians-Universität
zugehört hat, konnte sich leicht an diese
Mischung aus Science-Fiction und Horror
erinnert fühlen. Dort tagte vor wenigen Ta-
gen die Internationale Gesellschaft für Xe-
notransplantation – ein vielleicht einmal
lebensrettendes, aber auch verstörendes
Forschungsgebiet.
Die 300 angereisten Expertinnen und
Experten diskutierten, wie man einen ka-
putten menschlichen Körper mit Ersatzge-
webe aus Tieren reparieren könnte. Das
klingt zunächst abwegig, ist aber in einem
Teilbereich der Medizin bereits üblich: Vie-
le ältere Patienten bekommen Herzklap-
pen von Schweinen oder Rindern einge-

setzt und leben damit unbeschwert. In
München ging es darum, wie man noch
mehr defekte Körperteile ersetzen könnte,
welche Schwierigkeiten es dabei gibt und
auch um die ethischen Fragen, die diese
Art von Forschung zwangsläufig aufwirft.
Es gibt verschiedene Lager unter den Xe-
notransplantationsforschern. Die einen
wollen kaputte Organe des Menschen ein-
fach mit tierischem Gewebe reparieren.
Wozu ein ganzes Herz austauschen, wenn
nur ein paar Bereiche des Pumpmuskels,
etwa durch einen Infarkt, beschädigt sind?
Die anderen planen den Komplettaus-
tausch von Organen. Auch diese Gruppe
zerfällt in zwei Fraktionen bei der Frage,
wie man den besten Organersatz für Men-
schen bekommt. Die einen glauben, das
man Tiere durch Zucht und gentechnische
Eingriffe so weit trimmen kann, dass ihre
Organe dem menschlichen Immunsystem
möglichst wenig Probleme bereiten. Die an-
deren wollen wie Nakauchi gleich mensch-
liche Organe in Tieren züchten.

Wer hinter solchen Plänen doch einen
Dr. Moreau erwartet, wird beruhigt sein,
wenn er den Japaner vortragen hört. Er be-
gann 1993 mit einer Methode namens
„Blastozysten-Komplementierung“. Dabei
wird Versuchstieren zuerst durch einen
gentechnischen Eingriff die Fähigkeit ge-
nommen, ein Organ zu bilden, etwa die
Bauchspeicheldrüse. In den sehr jungen
Embryo, während des sogenannten Blasto-

zysten-Stadiums, werden dann Stammzel-
len eines anderen Tieres gespritzt, die in
der Nische des fehlenden Organs heran-
wachsen. In Mäusen ohne Bauchspeichel-
drüse ließ Nakauchi so Ersatzgewebe aus
einer Ratte sprießen, und umgekehrt
Maus-Bauchspeicheldrüsen in Ratten. Auf
diese Weise entstanden schon Blutgefäße,
Lebern, Lungen und eben Nieren. Nur ans
Herz hat sich Nakauchi noch nicht gewagt.
Im Juli hatte er von der japanischen Re-
gierung die Erlaubnis bekommen, Chimä-
ren aus tierischen Embryonen und mensch-
lichen Zellen von Muttertieren bis zur Ge-
burt austragen zu lassen. Das wurde zwar
von einigen Medien als ethischer Damm-
bruch dargestellt, ist tatsächlich jedoch in
einigen Ländern seit Längerem erlaubt. In
München konkretisierte Nakauchi seine
Pläne etwas: So will er menschliche Stamm-
zellen in Maus-, Ratten-, Schaf- und
Schweineembryonen injizieren, um zu
schauen, wie sich die Zellen der verschiede-
nen Arten miteinander vertragen. In die
transplantierten Zellen eingebaute „Suizid-
gene“ sollen verhindern, dass sie sich in
den Gehirnen der Versuchstiere zu mensch-
lichen Neuronen entwickeln. Außerdem
plant er, Gewebe zwischen verschiedenen
Affenarten auszutauschen.
Wann in seinem Labor die erste Tier-
Mensch-Chimäre geboren wird, vermag
Nakauchi noch nicht zu sagen. Gut mög-
lich, dass es nie so weit kommt. Denn noch
ist vollkommen unklar, ob sich jemals über-
winden lässt, was der Forscher als „xenoge-
ne Barriere“ bezeichnet. Was zwischen Rat-
te und Maus, die entwicklungsgeschicht-
lich eng miteinander verwandt sind, gut
klappt, funktioniert bei Arten, die evolutio-

när weiter auseinander liegen, bislang gar
nicht. Als Nakauchi zum Beispiel menschli-
che Stammzellen in Schafembryonen inji-
zierte, fand er später nur wenige menschli-
che Zellen im Gewebe und das auch nicht
bei allen Embryonen. Die chimären Em-
bryonen hatten zudem häufiger Fehlbil-
dungen. Um diese evolutionäre Barriere zu
umgehen oder abzubauen, gibt es derzeit
nur die Idee, näher mit dem Menschen ver-
wandte Arten zu verwenden. Schimpansen
wären da theoretisch die erste Wahl. Prak-
tisch wären solche Überlegungen der Insel
des Dr. Moreau vielleicht zu ähnlich, um ge-
sellschaftlich akzeptiert zu werden.

„Nakauchi hat ja im Grunde gezeigt,
dass es nicht funktionieren kann“, sagt der
Veterinärmediziner Eckhard Wolf von der
LMU, der den Kongress zusammen mit
dem Münchner Herzchirurgen Bruno
Reichart organisiert hat. Wolf verfolgt das
andere Konzept: Er versucht, Schweine
durch Zucht und mittels gentechnischer
Eingriffe so zu verändern, dass sie als Spen-
der für Menschen infrage kommen. In Tier-
versuchen hat das bereits funktioniert.
Reichart und sein Chirurgenteam haben
Pavianen Herzen aus Schweinen einge-
pflanzt, die Wolf für diesen Zweck gezüch-
tet hatte. Sechs von neun Pavianen haben
90 Tage und länger überlebt. Das genüge,
um nun in die klinische Phase zu gehen,
sagt Paolo Brenner, der mit Wolf und Reich-
art arbeitet. Doch bevor herzkranke Patien-

ten tatsächlich Schweineherzen einge-
pflanzt bekommen, müsse das Verfahren,
das für Paviane optimiert wurde, noch an
Menschen angepasst werden. Das bedeu-
tet noch ein paar Jahre Schweinezucht.
Weltweit ist es noch keiner anderen Ar-
beitsgruppe gelungen, einen Pavian mit ei-
nem artfremden Herz 90 Tage überleben
zu lassen. Bevor die Münchner anfingen,
lag der Rekord bei 57 Tagen. Eine amerika-
nische Arbeitsgruppe berichtete auf dem
Kongress von 30 Tagen Überleben. Im Ver-
gleich zu einer Pavian-OP gebe es bei
menschlichen Patienten, die ein menschli-
ches Spenderorgan bekommen, viele Stell-
schrauben, um das Ergebnis nachträglich
noch zu verbessern, sagt Brenner. Beim
Tierversuch müsse jeder Handgriff abso-
lut zuverlässig sitzen. Dabei helfen sicher-
lich die 50 Jahre Erfahrung, die Reichart
als Herzchirurg hat, doch „da war auch ein
bisschen Glück dabei“, sagt Brenner.
Der Medizinethiker Georg Marckmann
von der LMU fasst das Unbehagen ange-
sichts der Entwicklungen so zusammen:
„Das Bauchgefühl sagt, ich will nicht, dass
das gemacht wird. Aber wenn man damit
Leben retten kann, finden es doch viele
Menschen toll.“ Das Forschungsfeld bewe-
ge sich gerade von der Science-Fiction hin
zur Realität. Weshalb er eine Bürgerkonfe-
renz ins Leben gerufen hat, bei der Laien
Für und Wider der Xenotransplantation ab-
wägen sollten. Die Teilnehmenden spra-
chen sich im Juni dafür aus, „das Potenzial
weiter zu erforschen“, dabei aber die Situa-
tion der Spendertiere nicht aus dem Blick
zu verlieren und sicherzustellen, dass die
neuen Möglichkeiten allen Menschen zugu-
te kommen, und nicht nur den Reichen.

(^14) WISSEN Donnerstag, 17. Oktober 2019, Nr. 240 DEFGH
„Wenn man damit Leben
retten kann, finden es
doch viele Menschen toll.“
Zu viel
Feinstaub
Studie: Schmutzige Luft führt in
Europa zu 400 000 Todesfällen
Ein bisschen Schwein
Schlagen bald Herzen von Tieren in menschlichen Körpern? Xenotransplantations-Forscher suchen
nach Organ-Ersatz. Was als Science-Fiction begann, nähert sich nun mehr und mehr der Realität
„Suizidgene“ sollen verhindern,
dassmenschliche Zellen im
Gehirn der Versuchstiere siedeln
FOTOS: ALEJANDRO PRIETO, MANUEL PLAICKNER, YONGQING BAO / WILDLIFE PHOTOGRAPHER OF THE YEAR
Donnerstag, 17. Oktober 2019
11.00 | Volker Weidermann, Das Duell | Karin Janker
11.30 | Sascha Lobo, Realitätsschock | Bernd Graff
12.00 | Philipp Ther, Das andere Ende der Geschichte: Über die große Transformation | Kia Vahland
12.30 | Ulrich Ladurner, Der Fall Italien | Jens-Christian Rabe
13.30 | Rüdiger Safranski, Hölderlin – Komm! Ins Offene, Freund! | Johan Schloemann
14.00 | Norman Ohler, Harro & Libertas | Johan Schloemann
14.30 | Ursula März, Tante Martl | Felix Stephan
15.00 | Herfried und Marina Münkler, Abschied vom Abstieg | Jens-Christian Rabe
16.00 | Martin Winter, China 2049 | Franziska Augstein
16.30 | Amelie Fried, Ich bin hier bloß die Mutter | Roswitha Budeus-Budde
17.00 | Ildikó von Kürthy, Es wird Zeit | Detlef Esslinger
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