von philipp crone
undgerhard fischer
B
ei Helmfried von Lüttichau fallen
zwei Dinge sofort auf: sein Gang
und sein Gesichtsausdruck. Über sei-
nen Gang hat dieSüddeutsche Zeitungein-
mal geschrieben, man habe das Gefühl, ei-
ne Wendeltreppe setze sich in Bewegung.
Er hat darüber gelacht. Diesmal ist sein Ge-
sicht interessanter, denn Lüttichau geht
nicht, er sitzt: im Literaturhaus. Er lächelt
fast immer, und sein Lächeln ist eher fröh-
lich als süffisant. Aber vor allem sieht er
aus, als würde er unablässig beobachten:
sein Gegenüber im Literaturhaus; die Um-
welt, wenn er durch München spaziert. Lüt-
tichau ist gleich dreimal nach München ge-
zogen: als Schüler kam er aufs Karlsgymna-
sium nach Pasing, als 20-Jähriger begann
er eine Ausbildung an der Falckenberg-
schule, und 1997 kam er hierher, um eine
Karriere als Film- und Fernsehschauspie-
ler zu starten. Deutschlandweit bekannt
wurde er durch seine Rolle als Polizist Jo-
hannes Staller in der Vorabendserie „Hu-
bert und Staller“. Der 62-Jährige ist Schau-
spieler, Autor, Lyriker, vor allem aber ein
leidenschaftlicher Flaneur, ein nachdenkli-
cher Humorist, der seinen Hund Gassi
führt, immer auf der Suche nach Münch-
ner Momenten.
SZ: Herr von Lüttichau, welcher Umzug
nach München war der schönste?
Helmfried von Lüttichau: 1977. Da bin ich
mit einem Freund in eine Drei-Zimmer-
Wohnung ohne Bad mit Klo auf halber
Treppe gezogen. Damals war München die
große Welt für mich, eine Verheißung. Ich
war sehr stolz, ein Falckenbergschüler zu
sein, schwankend zwischen Arroganz und
Euphorie. Als wäre ich am Ziel meiner Träu-
me angekommen. Eine aufregende Zeit.
Außerdem war München noch nicht so
schick, es war weniger etabliert, was Dis-
cos, Kneipen und die Leute anging. Es gab
die – damals nannte man sie so – Gamm-
ler.
Junge Leute mit langen Haaren, die Musik
hörten und noch keiner geregelten Arbeit
nachgingen.
Ja, die Stadt war flippiger, poppiger, eher
im Geiste der Rocky Horror Picture Show,
die damals in die Kinos kam. München war
nicht so brav. Es gab noch nicht so viel coo-
le und modisch gekleidete Leute.
Als Sie 1997 zurück kamen ...
... war schon alles hermetischer, arrivier-
ter, homogener. Auch heute ist alles eher
gleichförmig, nicht nur die Kleidung, auch
eine gewisse Einstellung zu den Dingen.
Wenn in der U-Bahn einer „Arschloch“
ruft, schüttelt doch sofort jemand den
Kopf und sagt: „Des is aber ned schee“, und
alle anderen nicken. München – ich meine
vor allem die Innenstadt – ist heute wirk-
lich sehr, sehr homogen im Vergleich zu an-
deren Städten. Aber das ist auch entspan-
nend. München ist sogar gleichförmiger,
was die Ethnien angeht.
München hat allerdings von allen deut-
schen Städten den höchsten Anteil an Mi-
granten.
Aber die passen sich offenbar mehr an. In
Köln zum Beispiel wird die türkische Kul-
tur viel mehr nach außen getragen.
Woran liegt es, dass München so homogen
ist?
Vielleicht an stark ausgeprägten Hierar-
chien. Das System München hat in gewis-
ser Weise etwas Autoritäres. Das mag an
der Polizeipräsenz liegen, aber noch viel
mehr an den starken Hierarchien in Wirt-
schaft, Politik, Kultur, Film ...
... die Wiesnwirte.
(lacht): Vielleicht auch die. Es gibt eine so-
genannte Oberschicht. Diese besetzt die
Hauptschauplätze. In München gibt es
nicht so viele Parallelschauplätze wie in an-
deren Städten.(Lüttichau schaut aus dem
Fenster des Literaturhauses; es regnet.)
München hat übrigens auch ein fantasti-
sches Licht, bei jeder Wetterlage. Wenn es
in Köln regnet, dann ist es einfach nur düs-
ter. Hier ist es das nicht. Als hätte diese
Stadt ein anderes Licht als andere Städte.
Warum?
Keine Ahnung, das ist für mich auch ein Ge-
heimnis. Vielleicht liegt es an den vielen
gelben und cremefarbenen Gebäuden in
der Innenstadt, wie der Theatinerkirche.
Auch der Himmel reißt hier öfter auf als an-
derswo, das ist ein wahnsinnig freundli-
cher Aspekt, sozusagen von Natur aus. Üb-
rigens liegt für mich in der Münchner Men-
talität auch eine gewisse Luxuriösität. Das
kommt vielleicht auch durch die luxuriöse
Umgebung, die Seen und Berge. München
wird allein dadurch oft nicht so als Groß-
stadt wahrgenommen.
Noch einmal zur Homogenität in der
Stadt, dasscheint für Sie ja ein starkes Cha-
rakteristikum für München zu sein.
In Berlin ist die Diversität viel größer.
Wenn ich in der U-Bahn von Charlotten-
burg nach Kreuzberg fahre, sehe ich das;
und da ist die Stimmung auch ganz anders.
Oder Pankow, das ist eine andere Welt.
Wenn ich aber von der Münchner Innen-
stadt nach Neuperlach fahre, fallen mir die
Unterschiede weniger auf. Und es gibt ja
den Spruch, dass in München die Penner
so aussehen, als wären sie von Jürgen Rose
ausgestattet, dem Kostümbildner von Die-
ter Dorn. Wenn in München jemand eine
Pfandflasche aus dem Mülleimer holt,
kann der auch gut angezogen sein. Mün-
chen hat etwas Artiges, Entspanntes, Ber-
lin bedeutet mehr Stress. Ja, München ist
„artiger”, auch im Sinne von Kunst.
Wie meinen Sie das?
Es gibt eine starke kulturell geprägte
Schicht, die sich in den Prachtstraßen, den
Museen, Theatern, Programm-Kinos und
den darum herum liegenden Lokalen
trifft. Das sind diese Hauptschauplätze.
Ihre Paraderolle istein tollpatschiger Poli-
zeibeamterbei „Hubert und Staller“ gewe-
sen, in der Serie geht es albern zu, es gibt
viel zu lachen. Gibt es eigentlich einen
Münchner Humor?
Ich denke schon. Den von Karl Valentin
würde ich als Münchner Humor bezeich-
nen, Oskar Maria Graf vielleicht auch, aber
der ist schon ländlicher geprägt. Valentins
Humor hat immer etwas Städtisches.
Selbst wenn er mal derb ist. Die Menschen,
die er porträtiert, sind selten Handwerker
oder Bauern, eher Bürgerliche. Städter.
Und daraus entsteht so etwas wie Münch-
ner Humor.
Wie ist der?
Trocken. Wenn man zum Beispiel mit je-
mandem zusammenrumpelt und der sagt
bloß: „Jetzt waar’s aber fast schiafganga.”
Wird München nicht immer humorloser?
Weil jeder in sein Handy schaut? Ich habe
den Eindruck, dass sich die Städte anglei-
chen, dass dadurch das spezifisch Mün-
chenhafte verloren geht, das sich früher
zum Beispiel in Sigi Sommer oder Helmut
Dietl gezeigt hat. Die standen für eine star-
ke Individualität auf der einen Seite und
gleichzeitig aber auch für etwas Gemeinsa-
mes. Für ein unausgesprochenes Überein-
kommen, dass mia halt Münchner san.
Dass mia auch ein spezielles Humorver-
ständnis und eine ähnliche Sprache haben,
einen ähnlichen kulturellen Hintergrund.
Das verschwindet immer mehr. Das liegt
auch daran, dass es weniger Zeit gibt.
Zeit ist doch genauso viel da wie immer.
Einfach so in der Wirtschaft hocken, wer
macht denn das noch? Ich treffe mich öfter
mit dem befreundeten Künstler und Foto-
grafen Joseph Gallus Rittenberg, wir ge-
hen einfach zwei Stunden in ein Lokal, nur
zum Reden. Da sind wir schon fast aus der
Zeit gefallen. Einen Tisch weiter sitzt meis-
tens ein Herr allein vor einer Halben Bier.
Auch das fällt auf, eine Art Anachronis-
mus. So was gab es früher öfter.
Wie viel Ruhe braucht es, damit sich Hu-
mor entwickeln und entfalten kann?
Ich glaube, dass man eine große Ruhe
braucht. Sonst reagiert man immer nur,
vielleicht auch mal humorvoll, aber entwi-
ckeln kann sich da nichts. Es muss einem
ja erst einmal was einfallen. Und dafür
braucht es Freiräume. Nicht umsonst gab
es das Rossini, wo sich die Filmleute trafen
- zu einer Zeit, wo beim Film der Druck
nicht so groß war. Da konnte man noch gan-
ze Abende etwas weiterspinnen oder sich
austauschen. Einfach mal so ins Blaue.
Heute ist alles ergebnisorientiert, muss
schnell gedreht werden.
Hubert und Staller hat sich über viele Jah-
re entwickelt.
Auch dadurch, dass ich mit Christian Tra-
mitz(dem Polizei-Kollegen in der Serie,
Anm. d. Red.), schon seit Schulzeiten be-
freundet bin, hat sich über die Jahre ein ge-
meinsames Humorverständnis gebildet,
das dann einfach unangestrengt zur Verfü-
gung stand. Auch ein Stammtisch, an dem
man sich erst einmal zweckfrei trifft, ist un-
ter Umständen ein Freiraum, aus dem et-
was entsteht. Humor entwickelt sich lang-
sam, ein Leben lang, da braucht man nur
bei Gerhard Polt schauen.
Könnte man sagen, dass der Münchner im-
mer schlagfertiger wird, aber immer we-
niger humorvoll?
Ja, das liegt wohl an der Schnelligkeit. Hu-
mor hat ja auch immer etwas Philosophi-
sches. Da komme ich noch mal auf Valen-
tin: Die Texte haben ein viel langsameres
Tempo, als es heute üblich ist. Das Entwi-
ckeln der einzelnen Gedanken und komi-
schen Situationen braucht eben Zeit – oder
nimmt sich Zeit.
Es gibt wohl wenig schönere Kulissen
zum Flanieren als München, aber es
scheint immer weniger Flaneure wie Sie
zu geben.
Manchmal versuche ich, mich einfach nur
so in der Stadt aufzuhalten. Dann beobach-
te ich schon, wie sich Menschen in Ruhe ei-
ne Zeitung holen und diese lesen. Aber das
fällt einem dann schon auf. Es gibt ja auch
immer weniger Kaffeehäuser. Gestern war
ich in einem, vor 12 Uhr. Da denkst du: Ist
ja herrlich hier. Aber ab 12 beginnt der
Druck, da geht das Business-Lunch los. (Im
Literaturhaus wird es gerade jetzt lauter,
es ist kurz nach 12, die Tische füllen sich.
Lunch.)Man hat sofort das Gefühl: Jetzt
kommt die Hektik aus den Büros, hier wird
weitergearbeitet. Noch eine schnelle Nah-
rungsaufnahme. Auch die Gerichte sind
dann oft eher der Funktion als dem Genuss
untergeordnet, Risotto zum Beispiel. Da
muss man nicht hinsehen. Oder eine Bowl.
Man kann in sich reinlöffeln und aufs Han-
dy schauen. Das ist aber in jeder Großstadt
ähnlich. In München kommt dann auch in
dieser gehobenen Arbeitswelt wieder die-
ses Homogene zum Vorschein. Eine homo-
gene Stimmung, Menschen, die alle auf ei-
ne ähnliche Weise schicke Kleidung anha-
ben, wenig Schrilles dazwischen.
Sie haben einen Hund. Trägt er zu Ruhe
und Gelassenheit bei?
Ja. Der Hundespaziergang ist ja erst ein-
mal für den Hund da. Der muss in seinem
Tempo sein Geschäft erledigen können
und genügend schnuppern, sprich Zeitung
lesen, und Auslauf bekommen.
Ist München ein guter Ort für Hunde?
Sogar ein sehr guter. München ist die einzi-
ge Stadt, in der man im Park den Hund frei
laufen lassen kann. Ohne Leinenpflicht
wie in allen anderen Städten. Und das Hun-
de-Erziehungsniveau ist in München rela-
tiv hoch.
Sind die auch homogenisiert?
Ja, hier sind sogar die Hunde homogen.
Hier ist es auch Konsens, dass der Hund er-
zogen wird. Und wenn einer nicht erzogen
wird, spricht sich das sofort rum und der
Hund wird dann gemobbt.
Das dörfliche München.
Das kann man als spießig und engstirnig
bezeichnen, oder auch als eine natürliche
Form des Zusammenlebens und Kommu-
nizierens.
Wie sehen Sie es?
Ich habe gelernt, es positiv zu sehen.
Was sagt es denn über die Stadt aus, wenn
selbst die Hunde gut erzogen sind?
Es geht einfach sehr vernünftig zu. Und es
erleichtert schlichtweg das Zusammenle-
ben. Eine Besonderheit in München ist
auch die Fahrgasterziehung in der U-Bahn,
wenn der Zugführer sagt: „Ja, hamma wie-
der bloß oa Tür heut?“ Soll heißen: „An al-
len Türen zusteigen!” Münchner Humor.
Das versteht doch kein Fremder. Was heißt
denn für einen Norddeutschen: Haben wir
wieder nur eine Tür heute?
Der Münchner Humor hat aber auch et-
was Motziges an sich.
Als ich als Kind 1963 nach München kam –
um genau zu sein: nach Gilching –, war der
erste Satz, den ein Möbelpacker sagte, dem
ich aus Versehen mein Fahrrad in den Weg
gestellt hatte: „Das war kein feiner Zug von
dir.“ Habe ich nicht verstanden. Der Satz
war eine Mischung aus Maßregelung und
Humor. Da muss man schon länger hier
verortet sein, um das als Humor wahrzu-
nehmen und für sich als eine Art Lebensge-
fühl umzumünzen. Das Lebensgefühl: Wir
wissen es und schmunzeln darüber.
Wie viel Zeit braucht es, um diesen Humor
und dieses Lebensgefühl zu erlernen?
Das kommt darauf an, wie viel Zeit man
hat. Wenn man die U-Bahn als Durchren-
nender nutzt, dauert es länger. Als ich 1997
zum dritten Mal nach München kam, habe
ich in Giesing gewohnt, hatte erst mal we-
nig Arbeit und bin tagsüber oft mit der
U-Bahn in die Innenstadt gefahren. Das
war für mich eine Studienstrecke. Der Un-
terschied von Innenstadt und Giesing war
ganz schön groß. Giesing ist sehr normal,
wenig chic, eher bodenständig, aber heute
auch teuer natürlich. Wobei ...
Ja?
Was ich in München auch beobachte, es
gibt durchaus Vermieter, die „den ganzen
Schmarrn ned midmacha“. Die ihre Mieter
schon lange in ihren Wohnungen haben
und als Vermieter auf wucherhafte Mieter-
höhungen verzichten. Ich höre schon öfter
den Satz: Ne, mein Vermieter, das ist noch
so einer, der ... Das ist vielleicht ein ganz tie-
fes bürgerliches Verständnis von Gerech-
tigkeit. Kann sein, dass diese Seite der
Stadt vielleicht woanders weniger ausge-
prägt ist.
In Ihren Beispielen kommt viel Dialekt
vor, und es geht oft um traditionelle Inhal-
te und die Vergangenheit. Machen Sie sich
Sorgen um die Zukunft der Stadt bei den
vielen schwierigen Themen wie etwa Mie-
ten und Verkehr?
Eigentlich nicht. Jedenfalls nicht speziell
um München. Jede Stadt unterliegt natür-
lich einem Wandel, der nicht immer posi-
tiv ist. Und Bewahren ist ja gut, aber trotz-
dem muss man auf den Wandel reagieren.
Ich fand zum Beispiel das Volksbegehren
gegen Hochhäuser sehr merkwürdig. Ich
bin da an den Stand gegangen und habe
den Kronawitter(ehemaliger Oberbürger-
meister, d. Red.)gefragt, wo man denn für
Hochhäuser unterschreiben kann. Da kam
dann genau wieder dieses Münchnerische
zurück, der entsetzte, fast enttäuschte
Blick mit einem Satz wie: „Also des, des
geht ja gar ned...“ Ich wünsche mir mehr
Wagnis in der Stadt, auch in der Architek-
tur. Wir brauchen doch mehr Verdichtung
und höhere Gebäude für mehr Wohnraum.
Immer mehr Grünflächen im Umland zu
bebauen, kann ja auch nicht die Lösung
sein.
Warum genau machen Sie sich nun keine
Sorgen?
Weil Wandel ja nicht per se nur Schlechtes
bringt. Natürlich wird sich vieles ändern,
auch der Dialekt wird unter Umständen we-
niger werden, aber ich habe Vertrauen in
die Münchner, dass sie gewisse Dinge ein-
fach erhalten. Weil sie ja doch Sturschädel
sind. München ist von starken Veränderun-
gen im Vergleich zu anderen Städten eher
verschont geblieben bislang. Die Stadt ist
nicht unbedingt ein Paradebeispiel für die
Beschleunigung des Lebens und für die Di-
gitalisierung. Es ist hier immer noch ge-
mütlich. Eben auch durch diesen Konsens,
der in München herrscht. Manchmal muss
ich über ihn grinsen, manchmal finde ich
ihn weltfremd. Vielleicht ist es ja auch ein-
fach nur die Mentalität, der Dialekt. Als ich
vorhin auf dem Weg hierher in der vollbe-
setzten U-Bahn saß, musste jemand laut
niesen und sofort sagte eine weiter ent-
fernt sitzende Frau zu ihrer Nachbarin:
„Koa Wunder, dass alle krank san!“ (über-
legt kurz).Und dann liegt München ja auch
so besonders.
Wie denn?
Na, wenn man mit dem Auto nach Mün-
chen fährt, dann steht doch schon recht
bald nur noch ein einsames Wort auf den
Autobahnschildern: München. Und man
hat vielleicht noch fast hundert Kilometer
vor sich. Im Ruhrgebiet zum Beispiel sind
da immer ganz viele Städte. Aber hier ist es
nur München. Es liegt da in Bayern – wie ei-
ne Insel.
REDEN WIR ÜBER MÜNCHENMIT HELMFRIED VON LÜTTICHAU
Helmut Friedrich Wilhelm Helmfried
Graf von Lüttichau, 62, entstammt dem
meißnischen Adelsgeschlecht Lütti-
chau. Er wuchs aber nicht in einem
Schloss auf, sondern in bürgerlichen
Verhältnissen. Seine Mutter war Buch-
händlerin, sein Vater war beim Bundes-
nachrichtendienst. Helmfried von Lütti-
chau wollte eigentlich Musiker oder Ma-
ler werden. Er lernte Geige, Gitarre und
Blockflöte und sah sich schon als Kind
als Beatle. Mit 15 spielte er in einer Schü-
lerband, die Eduard XIVhieß. Sein
künstlerisches Vorbild sei Nick Cave,
sagt Lüttichau: „Er ist Rockmusiker,
Dichter und einfach eine komplexe
künstlerische Persönlichkeit, unange-
passt, eigenwillig, individuell.“ Lütti-
chau lebt mit seiner zweiten Frau Gabri-
ela in Schwabing und am Schliersee. sz
Helmfried von Lüttichau war zunächst
Theaterschauspieler. Er sagt, er habe
mal größere, mal kleinere Rollen ge-
habt; der Durchbruch sei ausgeblieben.
Und er habe die strengen Hierarchien
an den meisten Theatern nicht ge-
mocht. Die längste Zeit verbrachte er
1987 bis 1992 am Nationaltheater Mann-
heim (Foto). Seit 1997 arbeitet Lüttichau
als Schauspieler für Film und Fernse-
hen. Er spielte in Filmen wie „Ossi’s Ele-
ven“, „Wickie und die starken Männer“
(als strickender Pirat) und „Pizza und
Marmelade“; oder in Serien wie „Der
letzte Bulle“. Bekannt wurde er erst mit
„Hubert und Staller“. Nach seinem Aus-
stieg 2018 spielte er Nebenrollen in „Ra-
te Your Date“ oder „Eine ganz heiße
Nummer 2.0“. Und er veranstaltet Karl-
Valentin-Abende. sz
Die Vorabendserie mit Helmfried von
Lüttichau (als Polizeiobermeister Johan-
nes Staller) und Christian Tramitz (als
Polizeiobermeister Franz Hubert) lief
von 2011 bis 2018 in der ARD – und hatte
regelmäßig mehr als zwei Millionen Zu-
schauer. Die Serie wird im Ersten und in
den dritten Programmen häufig wieder-
holt. Hubert ist zynisch und misanthro-
pisch; er macht sich keine Illusionen.
Staller ist ein begeisterungsfähiger Toll-
patsch. Der Humor von Hubert und
Staller ist politisch nicht korrekt, er ist
originell und manchmal derb. Lütti-
chau stieg 2018 aus; er liebe „Hubert
und Staller“, sagte er, aber er verlasse
nun die „Serien-Käfighaltung“ und wol-
le frei sein für Neues. Die Serie läuft seit-
her als „Hubert ohne Staller“ weiter. Lüt-
tichau schließt eine Rückkehr aus. sz
„München ist nicht unbedingt
einParadebeispiel für die
Beschleunigung des Lebens.“
„Das System
München hat
etwas Autoritäres.“
FOTOS: STEPHAN RUMPF, MARC MÜLLER / DPA, CHRISTIAN KLEINER, ARVID UHLIG / ARD
„Humor entwickelt sich
langsam,da braucht man nur
bei Gerhard Polt schauen.“
„Hier sind sogar
die Hunde homogen“
Helmfried von Lüttichau über das besondere Licht der Stadt,
den Münchner Humor und die grassierende Gleichförmigkeit
Leben Karriere Hubert und Staller
R6 (^) LEUTE Donnerstag, 17. Oktober 2019, Nr. 240 DEFGH