Die Welt - 14.10.2019

(nextflipdebug5) #1

3


14.10.19 Montag, 14. Oktober 2019DWBE-HP


  • Belichterfreigabe: ----Zeit:Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: ---Zeit:---Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe:
    Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:






DW_DirDW_DirDW_Dir/DW/DW/DW/DW/DWBE-HP/DWBE-HP
14.10.1914.10.1914.10.19/1/1/1/1/For2/For2AMARKWOR 5% 25% 50% 75% 95%

DIE WELT MONTAG,14.OKTOBER2019* FORUM 3


WWWELT kooperiert mit „El País“ (Spanien),ELT kooperiert mit „El País“ (Spanien),
„Gazeta Wyborcza“ (Polen), „La Repubblica“
(Italien), „Le Figaro“ (Frankreich), „Le Soir“
(Belgien), „Tages-Anzeiger“ und „Tribune de
Genève“ (beide Schweiz)
VVVerantwortlich im Sinne des Pressegesetzes: erantwortlich im Sinne des Pressegesetzes:
Seite 1: Anne Heidrich Deutschland: Thomas

Exner Ausland: Thomas Exner Forum: Andrea Seibel
WWWirtschaft/Finanzen: irtschaft/Finanzen: Thomas Exner Sport: Volker
Zeitler Gesellschaft: Thomas ExnerWissen: Thomas
Exner Feuilleton:Thomas Exner Panorama: Thomas
Exner Alle: c/o Axel Springer SE, 10888 Berlin. Ham-
burg: Claudia Sewig, Axel-Springer-Platz 1, 20355
Hamburg Anzeigen: Kai-G. Ehrenschneider-Brink-
mann, Axel Springer SE, 10888 Berlin

AAAxel Springer SExel Springer SEvertreten durch den Vorstand
Dr. Mathias Döpfner (Vorsitzender), Jan Bayer,
Dr. Stephanie Caspar, Dr. Julian Deutz, Dr. Andreas Wiele
Geschäftsführer Print:Christian Nienhaus Verlagsleiter
Print:Petra Kalb, Stv. Heiko Rudat Anzeigen:Kai-G. Eh-
renschneider-Brinkmann WELT Editorial Studio:Mat-
thias Leonhard Verlag und Druck:Axel Springer SE Ver-
trieb: Sales Impact GmbH & Co. KG; alle 10888 Berlin,

AAAxel-Springer-Str. 65. Tel.: 030 / 25910. DIE WELTxel-Springer-Str. 65. Tel.: 030 / 25910. DIE WELT
wird als Zeitung und digital vertrieben. Alle Rechte
vorbehalten. Informationen zum Datenschutz finden
Sie unter http://www.welt.de/datenschutz. Sie können diese
aaauch schriftlich unter Axel Springer SE, Datenschutz,uch schriftlich unter Axel Springer SE, Datenschutz,
AAAxel Springer Straße 65, 10969 Berlin anfordern. Diexel Springer Straße 65, 10969 Berlin anfordern. Die
Rechte für die Nutzung von Artikeln für elektr. Pres-
sespiegel erhalten Sie über PMG Presse-Monitor

GmbH, http://www.presse-monitor.de, E-Mail: info@presse-
monitor.de. Für Syndication-Rechte wenden Sie sich
an [email protected]. Abonnementpreis in
Deutschland monatlich 58,90 Euro; das Kombi-Abon-
nement mit der WELT AM SONNTAG monatlich
6 0,90 Euro; Versandzusatzkosten im Ausland: Europa
1 9,40 Euro; weltweit 83,70 Euro. Das Abonnement
kann zum Monatsende beendet werden, Abbestellun-

gen müssen dem Verlag schriftlich sieben Tage vor
Monatsende vorliegen. Kundenservice: Tel. 0800 / 935
8 5 37. E-Mail: [email protected] ISSN 0173-8437.
DIE WELT, USPS No. 0603-590. Es gilt die WELT-
Preisliste Nr. 97a, gültig ab 1.1.2019, sowie die Preislis-
te Märkte, Ergänzung zur WELT-Preisliste Nr. 97a,
gggültig ab 1.1.2019. E-Mail: [email protected]. Fax:ültig ab 1.1.2019. E-Mail: [email protected]. Fax:
0 30 / 58 58 91. Amtliches Publikationsorgan aller deut-

schen Wertpapierbörsen. Keine Gewähr für unveröf-
fffentlichte Kursnotierungen. Für unverlangt einge-entlichte Kursnotierungen. Für unverlangt einge-
sandtes Material keine Gewähr.
Sie erreichen die Redaktion unter:
DIE WELT, Brieffach 2410, 10888 Berlin
Telefon:030/25 910
Fax:030 / 25 91 71 606
E-Mail:[email protected]

E


ine Fußballmannschaft salutiert
VVVolk und Vaterland. Die offen zurolk und Vaterland. Die offen zur
Schau gestellten Sympathiebe-
kundungen der türkischen National-
spieler nach dem Spiel gegen Albanien
sind vor allem zweierlei: geschmacklos
und überflüssig. Geschmacklos, weil sie
einem Militäreinsatz huldigen, der Hun-
derttausende Menschen mit Tod und
VVVertreibung bedroht. Überflüssig, weilertreibung bedroht. Überflüssig, weil
solche Zeichen des militanten Nationalis-
mus in einem Fußballstadion nichts zu
suchen haben. Sport ist keine Bühne für
chauvinistische Solidaritätsgesten; erst
recht nicht, wenn sie Erdogans zynischen
Plan stützen, durch eine auf Eskalation
setzende Außenpolitik von innenpoliti-
schen Problemen abzulenken und seine
Macht im Land zu konsolidieren.
Nun ist es zwar schön, wenn Fußballer
sich ab und an als aufgeklärte Bürger
outen, wenn sie sich mit gewissen gesell-
schaftspolitischen Entwicklungen kri-
tisch auseinandersetzen. Tun sie es aber
nicht, ist auch niemand überrascht. Wie
jeder andere Bürger haben auch Fuß-

baller das Recht auf freie Meinungs-
äääußerung, sie sollten sich angesichts derußerung, sie sollten sich angesichts der
Konsequenzen – immerhin repräsentie-
ren sie ihr Land und dessen Werte –
bewusst sein.
Ob der deutsche Nationalspieler Ilkay
Gündogan sich dessen bewusst ist, darf
bezweifelt werden. Er hat ebenso wie
Emre Can eines der Bilder gelikt, das die
türkische Fußballmannschaft am Sams-
tagabend über die sozialen Netzwerke
verbreitete. Das überrascht umso mehr,
als Gündogan bereits einmal mit einer
Sympathiebekundung für einen Eklat
sorgte. Er war es, der im Mai 2018 eine
Einladung zum PR-Termin mit dem tür-
kischen Präsidenten Erdogan annahm –
just als dieser vor einer wichtigen Wahl
jegliche Unterstützung brauchte.
Gündogan gab sich nach wochen-
langem Schweigen kleinlaut, zeigte sich
gegenüber der DFB-Spitze schließlich
geläutert. Seine halbherzige Distanzie-
rung geschah wohl aus Opportunismus.
Nun zeigt er mit seinem Like, wo er
wirklich steht. Er ist ein Überzeugungs-
täter. Vielleicht sollte der DFB überlegen,
ob er einen Spieler in seinen Reihen
haben möchte, der mit unseren Werten
nicht viel anfangen kann. Gündogan und
Can haben das umstrittene Bild unter-
dessen entlikt.
christoph.cö[email protected]

Gündogans Like


KOMMENTAR


CHRISTOPH CÖLN

D


ie Auszeichnung für die schä-
bigste Reaktion auf die antise-
mitischen und rassistischen
Morde von Halle geht – er-
wartungsgemäß – an die Alter-
native für Deutschland (AfD).
In den sozialen Medien ver-
öffentlichte die Parteiein Schwarz-Weiß-Foto mit
Thorarolle und Davidstern, versehen mit der Auf-
schrift: „Die Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel
und Alexander Gauland verurteilen den antise-
mitischen Terroranschlag in Halle und weisen
Versuche zurück, das Verbrechen zu instrumenta-
lisieren.“ Darunter das Parteilogo, draufgeklatscht
auf ein Foto, das suggerierte, dass es aus Halle
stamme, selbst wenn es irgendwo aus dem In-
ternet geklautwar.
Nun hat diese Partei oft bewiesen, dass sie für
ein paar Likes zu jeder Niedertracht bereit ist.
Doch dieses Posting ist selbst für AfD-Verhältnisse
eine unglaubliche Schamlosigkeit und – in Kom-
bination mit dem Wort „instrumentalisieren“ –
Dummdreistigkeit. Wem es derart an Takt und
Anstand mangelt, der ist eines gewiss nicht: eine
bürgerliche Partei.
Zumindest widerspruchsbedürftig ist aber auch
ein Text, den Mathias Döpfner, der Vorstands-
vorsitzende des Medienkonzerns Axel Springer,
am Freitag in WELT veröffentlichte. Doch zuvor
zwei Vorbemerkungen.
Erstens: Mathias Döpfner gehört zu den weni-
gen Zeitungsverlegern in Deutschland, die immer
wieder bei wichtigen Debatten das Wort ergreifen


  • als er sich etwa anlässlich der Affäre um Jan
    Böhmermanns „Schmähgedicht“ klar für die
    Kunstfreiheit aussprach. Derlei könnte man für
    eine Selbstverständlichkeit halten.
    Zweitens: Natürlich darfMathias Döpfner das
    schreiben und dürfte das auch, wenn er nicht ge-
    rade Chef eines Medienhauses wäre. Überhaupt
    ist das Verb „dürfen“ in diesem Zusammenhang
    irreführend, verweist es doch auf Regeln und Nor-
    men; einen Verstoß dagegen zu beanstanden be-
    deutet, Sanktionen zu fordern. Doch abgesehen
    von strafrechtlich relevanten Dingen, die fest-
    zustellen Sache der Gerichte ist, gilt für den poli-
    tischen Diskurs: Jeder darf alles.
    Doch der Kritiker, gerade der, muss sich seiner-
    seits der Kritik stellen, ohne einer aggressiven
    Weinerlichkeit zu verfallen – eine Übung, in der es
    die AfD zur Perfektion gebracht hat: in jedes Mi-
    krofon der Republik plärren zu können und sich
    zugleich darüber beklagen, man werde „mundtot“
    gemacht; einen Popanz von vermeintlichen Rede-
    verboten aufbauen, um sich sodann selber als
    „mutigen Kämpfer gegen Tabus“ zu inszenieren.
    Eine Strategie, der sich übrigens auch die haupt-
    beruflichen Israelkritiker von links, rechts und aus
    der Mitte gerne bedienen („Was gesagt werden
    muss, wird man ja wohl noch sagen dürfen“).
    Kurz: Die Frage lautet nicht „Darf man das?“,
    sie lautet: „Ist das richtig?“
    In seinem Beitrag schlägt Döpfner einen Bogen
    von der Mordtat in Halle über weitere Fälle, in
    denen der Staat, die Medien und die Gesellschaft
    bei der Bekämpfung des Antisemitismus versagt
    hätten, und benennt das skandalöse Urteil des
    Landgerichts Frankfurt, das Kuwait Airwaysge-
    stattet hatte, jüdische Passagiere abzuweisen –


und kritisiert, ebenfalls zu Recht, das Ausbleiben
einer Reaktion der Bundesregierung.
Doch Döpfner spannt den Bogen noch weiter,
zur „mangelnden Durchsetzung des Rechtsstaa-
tes“, zu einer „rechtsstaatlich sehr zweifelhaften
Flüchtlingspolitik“, auf verschlungenem Pfade
sogar bis zur Affäre um den HSV-Fußballer Bakery
Jatta beziehungsweise Bakary Daffeh. Man kann
ihm an vielen Punkten folgen, an manchen nicht.
Vor allem aber ist der Bogen irgendwann so weit,
dass der eigentliche Anlass – der rechtsterroristi-
sche Anschlag in Halle – zu quasi einer Neben-
sache verkümmert. So entsteht eine Schieflage,
die nicht in Döpfners Sinne sein kann.
Denn wenn man in Deutschland im Zusam-
menhang mit rechtsextremer Gewalt von einem
„Systemversagen“ sprechen möchte, drängen
sich zunächst ganz andere Fälle auf: das Attentat
im September 1980 auf das Oktoberfest etwa,
bei dem Ermittlungsbehörden, Justiz und Poli-
tik nichts als einen Einzeltäter wahrhaben woll-
ten, sodass der blutigste Terroranschlag der
bundesdeutschen Geschichte niemals aufgeklärt
werden konnte.
Oder, aus der jüngeren Vergangenheit, die
Mordserie des NSU, bei der die Ermittlungsbehör-
den, aber auch große Teile der Medien, jahrelang
die Opfer selbst unter Verdacht gestellt hatten.
Allein deshalb hätte die Politik noch mehr als
sonst in der Pflicht gestanden, jene vollständige
Aufklärung zu leisten, die Bundeskanzlerin Angela
Merkel bei der Trauerfeier den Angehörigen ver-
sprochen hatte – ein bis heute nicht eingelöstes
Versprechen.
Oder das Thema Flüchtlinge: Die Grenzöffnung
vom September 2015 war ein ungeplanter, auch
kopfloser Akt. Aber zuallererst war es eine große
humanitäre Geste. Nun muss sich die Gesellschaft
darüber verständigen, wie diese Menschen in-
tegriert werden können, sie muss sich anstrengen
und darf Anstrengungen einfordern.
Doch der Antisemitismus unter Einwanderern
aus muslimischen Ländern kam nicht über die
Balkanroute, sondern ist schon lange virulent. Es
ist allerdings nicht so, dass dies noch niemand
bemerkt hätte. NGOs wie die Kreuzberger Ini-
tiative gegen Antisemitismus versuchen seit gut 15
Jahren, an Schulen und Jugendzentren gerade
unter Jugendlichen aus Einwandererfamilien Auf-
klärungsarbeit zu leisten. Womöglich muss in
dieser Hinsicht noch mehr gemacht werden. Und
bestimmt wird man einige Leute nur mit polizei-
lichen Mitteln aufhalten können.
Doch – eigentlich unnötig zu erwähnen: Wir
sind in Deutschland; der Antisemitismus wurde
nicht erst 2015 oder 1955, mit den ersten Gast-
arbeiterabkommen, importiert. Er ist, ob in Form
des traditionellen Judenhasses oder verbrämt als
„Antizionismus“, immer noch virulent, oben und
unten, rechts und links, offen oder verdruckst.
Und er ist keine Reaktion auf eine verfehlte Ein-
wanderungspolitik, mangelnden Wohnraum oder
Langeweile.
Nach zwei rechtsextremen Attentaten binnen
vierer Monate; nach dem Mord am CDU-Politiker
Walter Lübcke, den die AfD im wörtlichen Sinne
zum Abschuss freigegeben hatte, nach dem Dop-
pelmord von Halle, bei dem der Attentäter nach
dem Vorbild des Massakers von Christchurch
noch viel mehr Menschen ermorden wollte, gehört
nicht viel dazu, festzustellen, sondern einiges
dazu, zu übersehen, dass es in Deutschland ein
Problem namens Rechtsterrorismus gibt.
Und es gibt ein Problem mit islamistischem
Terrorismus. Von beiden Seiten sind Juden in
Deutschland bedroht, hinzu kommt der Antise-
mitismus in all seinen Facetten.
Die jeweiligen Probleme muss man präzise be-
nennen, weil es ohne den richtigen Befund keine
Lösungen geben kann. Aber nichts davon sollte
man gegeneinander aufrechnen. Nicht, weil man
es nicht darf. Sondern weil es der Sache nicht
gerecht wird. Und nicht hilft.

Die ganzen

Probleme

Präzision ist angesagt,


denn ohne den richtigen


Befund gibt es keine


Lösungen. Aber nichts


sollte man


gegeneinander


aufrechnen: nicht den


Rechtsterrorismus,


nicht islamistischen


Terrorismus, nicht


den Antisemitismus


jeglicher Couleur


ESSAY


DENIZ YÜCEL

Er versprach Versöhnung undging seine Bemühungen mit ho-hem Tempo an: Äthiopiens Mi-
nisterpräsident Abiy Ahmedbeendete den jahrzehntelangenKonflikt mit dem NachbarlandEritrea und leitete Reformen in
seiner lange autoritär regiertenHeimat ein. Dafür wird er nunmit dem Friedensnobelpreisausgezeichnet.
DWSeite 2

UTE G RA BOWSK
Y/ P HO TOTH EK.NET

Mdann füren Frieden
**D3,00EUROBNr. 238

KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 SAMSTAG, 12. OKTOBER 2019
Dpaket verabschiedet. Es war einrührendes Schauspiel, denn deras Bundeskabinett hatsich am Mittwoch feier-lich von seinem Klima-
Scholz und die Schulze und dieanderen Klimakabinettsmit-glieder hatten mit sehr vielLiebe Selbstgebackenes und
unbeholfen zusammengeklebtesSelbstgebasteltes eingepackt.Alle winkten dem Paket nochlange hinterher und wünschten
ihm unter Tränen eine guteReise. Aber wohin ging dieseReise? Wer würde sich wohlüber ein Klimapaket freuen? Die
Erde? Der ist das egal, die istmal heißer, mal kälter, mal mitSauriern, mal ohne – die nimmt
es, wie es kommt und brauchtkeine Post vom Bundeskabinett,außerdem hat sie keine gültigeMeldeadresse. Leider war das
Paket nirgendwo so richtig zusehen, man redete immer nurdavon, was drin und was nichtdrin sei, aber ein Empfänger
scheint nicht bekannt. Wennaber wirklich die Anschriftvergessen wurde, geht das Paketzurück zum Absender. Dann
müssen der Scholz und dieSchulze und der Scheuer alleswieder auspacken, und wahr-scheinlich ist der Inhalt in-
zwischen verschimmelt.

ZZZippert zapptippert zappt

ANZEIGE

I
m Nordosten Syriens sind nach An-gaben der Vereinten Nationen (UN)rund 100.000 Menschen auf der
litäreinsatzes auf die Zivilbevölkerungseien bereits zu spüren, teilten die UNFlucht vor Angriffen des türkischenMilitärs. Die Auswirkungen des Mi-
gekommen. Aber eine immer größer wer-am Freitag mit. Rund 100.000 Menschenhätten ihre Häuser verlassen. Die meis-ten seien in anderen Ortschaften unter-
dende Zahl komme inzwischen in denLagern in Al Hassake und Tal Tamer an. tete über „verstörende Berichte“ von Bo-Das UN-Menschenrechtsbüro berich-
denangriffen türkischer Truppen odervon Gruppen, die dem türkischen Militärnahestünden. Es seien etwa die Wasser-versorgung, Dämme, Kraftwerke und Öl-
felder getroffen worden, sagte ein Spre-cher. Nach einem türkischen Luftangriffsei nach Berichten die Wasserversorgung
in der Region Aluk zusammengebrochen,hieß es.„Die Militäroperationen in Nordost-syrien dürften die bereits sehr ange-
für humanitäre Fragen. Alle appelliertenspannte humanitäre Situation noch ver-schärfen“, warnte Najat Rochdi, im Bürodes UN-Syrienbeauftragten zuständig
an die Akteure vor Ort und die Regie-

rungen, die Einfluss auf sie haben, Zivi-listen zu schützen. lichte auch die Hilfsorganisation ÄrzteEinen ähnlichen Appell veröffent-
ohne Grenzen (MSF). Sie rief am Frei-tag in einer Stellungnahme alle Kriegs-parteien dazu auf, den Schutz von Zivi-
listen, Gesundheitspersonal und Pa-tienten zu gewährleisten. Die Eskalati-on der Gewalt könne „das Trauma“,dass die syrische Bevölkerung in Jahren
des Krieges schon erlitten habe, nurverschlimmern. das von ihr unterstützte Krankenhaus inder syrischen Grenzstadt Tall Abjad ge-MSF berichtete, dass
Tdhschlossen worden sei, weil der größteeil der Angestellten mit ihren Familienie Stadt verlassen habe. Tall Abjad na-e der türkischen Grenzstadt Akcakale
ifensive. „Als das einzige öffentlichefensive. „Als das einzige öffentlichefKst ein Hauptfokus der türkischen Of-rankenhaus in der Gegend war das
Sür die Gesundheitsversorgung derfür die Gesundheitsversorgung derfTfStadt und des Umlands“, heißt es in dertellungnahme weiter.all-Abjad-Krankenhaus sehr wichtig
umstrittenen Militäroffensive in Syrienvon der Nato ein „klares und deutliches“Bekenntnis der Solidarität. In einer Pres-Die Türkei verlangt angesichts ihrer
sekonferenz mit Nato-Generalsekretär

dJens Stoltenberg sagte der türkische Au-ßenminister Mevlüt Cavusoglu: „Im Rah-men des Grundsatzes der Unteilbarkeiter Sicherheit ist es unsere natürlichste
uAAAand legitimste Erwartung, dass sich unserelliierten mit uns solidarisieren. Es reichtlliierten mit uns solidarisieren. Es reichtlso nicht, zu sagen, wir verstehen die legi-
timen Sorgen der Türkei. Wir wollen dieseSnachmittag läuft, richtet sich gegen dieolidarität klar und deutlich sehen.“Die Offensive, die seit Mittwoch-

kurdische YPG-Miliz, die auf syrischerSeite der Grenze ein großes Gebietkontrolliert. Die Türkei sieht in ihr ei-nen Ableger der verbotenen Kurdi-
schen Arbeiterpartei (PKK) und damiteine Terrororganisation. Die Offensivewar international auf scharfe Kritik ge-stoßen. Stoltenberg sagte, er habe die
Du„ernsten Bedenken hinsichtlich einerestabilisierung der Region“ geteiltnd habe die Regierung gebeten, „zu-
rdNückhaltend zu agieren“. Er betonte,ie Türkei sei ein starker und wichtigerato-Verbündeter.Derweil steigen die Opferzahlen.
Nach Angaben der Syrischen Beobach-tungsstelle für Menschenrechte sind seitBeginn der türkischen Offensive insge-samt 17 Zivilisten ums Leben gekommen.
Zu den Toten unter den Kämpfern derKurdenmiliz YPG gibt es stark wider-sprüchliche Zahlen. Die von den Kurdenangeführten Syrischen Demokratischen
Kräfte (SDF) gaben an, es seien bisher 22ihrer Kämpfer ums Leben gekommen.Aus dem türkischen Verteidigungsminis-
den. Unter den türkischen Streitkräftengab es offiziellen Angaben zufolge bisherterium hieß es hingegen am Morgen, esseien 277 Kurdenkämpfer getötet wor-
zwei Tote.AP/dpa/rtr

Syrien-Offensive der Türkei:
1 00.000 Menschen auf der Flucht
DHie Angriffe gegen kurdische Milizen haben massive Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, warnenilfsorganisationen. Regierung in Ankara ist empört über Kritik und fordert Solidarität von der Nato

Edie Schelte ihrer demokratischenGegner reagiert. Es sei niederträch-tig, durchtrieben, geradezu „infam“,s mutet merkwürdig, fast lach-haft an, mit welch jungfern-haftem Zartgefühl die AfD auf
der AfD vorzuwerfen, sie sei zu ei-nem Teil verantwortlich für eineStimmung im Land, die zu dem Ter-ror in Halle geführt habe, glaubt man
ihren so wehleidigen wie empörtenPolitikern. Sie haben es gerade nötig!Schamlos nutzen sie jedes Verge-
hen eines in Deutschland aufgenom-menen Migranten aus, um es nichtnur der Bundeskanzlerin, sonderngleich auch dem parlamentarischen
che die Kollektivschuld der Deutschenan den Verbrechen des Dritten Rei-ches als falsch, gehässig und ehrver-System anzukreiden. Diejenigen, wel-
letzend von sich weisen, sind die größ-ten Anhänger dieser Kollektivschuld,wenn es um Ausländer geht. Gern ge-ben sie in öffentlichen Reden die Axt
im Walde, neigen zu Verschwörungs-theorien, erfreuen sich an ihrem „gäri-gen Haufen“ und lassen – oft sogar au-
genzwinkernd – ihre geistigen Rauf-bolde mit völkischen Gaukeleien undeiner schweißfüßigen deutschnationa-len Metaphysik gewähren, um am En-
de aufzujaulen, wenn die andere Seiteauch mal zurückschlägt.Aus geistigen Brandstiftern mögennoch lange keine tätlichen werden.
ße Umfeld des Linksterrorismus abdem Ende der Sechzigerjahre. Da-mals wie auch im Rückblick war esAber dieser Satz galt auch für das gro-
gerechtfertigt, von ebendiesem „gäri-gen Haufen“ zu verlangen, sich ein-deutig von Gewalt und Extremismusabzuwenden und sich durch Radika-
lenerlasse und Parteiausschlüsse vonden schlimmsten Früchtchen zutrennen, so, wie es etwa die SPD mit
dem immer radikaler werdenden SDStat. Die AfD hingegen schwiemeltund schwurbelt sich davon. Ihr Par-teivorsitzender Gauland gibt immer
dann gern den alten Hecht, der schondurch zu viel Reusen und Schleusengeschwommen ist, als dass er sichfangen ließe, wenn es darum geht, der
eine Partei nicht schickt, die demo-kratisch sein will. Um es deutlich zueigenen Anhängerschar klarzuma-chen, dass sich dieses und jenes für
sagen: Ein Björn Höcke und sein Flü-gel haben in einer konservativ-demo-kratischen Partei nichts zu suchen!
Und dass der bekennende Antisemit,das AfD-Mitglied Wolfgang Gedeon,noch immer in den Reihen der Parteisitzt, ist schlichtweg unerträglich.
hat die AfD sich neu zu besinnen. Siemuss endlich entscheiden, ob sie einekonservative Partei im demokrati-Nach dem Terroranschlag von Halle
schen Lager sein will, deren Anhänger-schaft fest auf dem Boden des Grund-gesetzes steht, oder ein Systemgegner.Letzterer wird im Zweifelsfall mit den
Waffen der wehrhaften DemokratieWaffen der wehrhaften DemokratieWBekanntschaft schließen.

KOMMENTAR
Sgerade nötig!gerade nötig!gie haben es
JACQUES SCHUSTER

FMDie USA haben der Türkei all von Verbrechen gegen dieenschlichkeit mit Strafen ge-für den
dptRroht. Sie seien dann bereit zu di-lomatischen und finanziellen Sank-ionen, sagte ein Vertreter der US-egierung. Bestraft werden sollen
„inhumane und unangemesseneMnische Säuberungen, das betrifft imEinzelnen undifferenziertes Artil-aßnahmen“. „Das umfasst eth-
leriefeuer oder anderen Beschussauf die Zivilbevölkerung.“ rtr

USA drohen mit Sanktionen

IAAAHisten pp-Nachricht eine mehrjährigeaftstrafe. Atilio, der in derpp-Nachricht eine mehrjährigelVVn TVersenden einer Whats-aersenden einer Whats-ebastian AtilioSnsania droht dem Journa-ffür dasür dasf
THVaVVrbeitete, war am 7. Septemberörfunkreporter für Radio Mariaergangenheit unter anderem alsanzania und Key FM Tanzaniaergangenheit unter anderem als
dieses Jahreswhaftung war laut übereinstim-menden Medienberichten einorden. Anlass für seine Ver-festgenommen
Post in der Mufundi MediaGroup, einer WhatsApp-Chat-gruppe, in der sich mehr als 170Teilnehmer aus der Regierung,
den Medien und der Zivilgesell-schaft regelmäßig über sozialeund politische Themen aus-
AAaTAea Tanzania in Iringa geäußerttilio sich kritisch über die Land-tnsprüche des Konzerns Unileverauschen. In der Nachricht hattetilio sich kritisch über die Land-
Atilio vorgeworfen, „Falschnach-richten verbreitet“ und „ohneAkkreditierung gearbeitet“ zuLaut seinem Anwalt wird.
haben. Sollte der Journalistschuldig gesprochen werden,dann droht ihm gemäß demMedia Services Act, der in Tan-
sania seit 2016 gilt, eine Haft-strafe von bis zu sechs Jahren.

#tFree Free hemhem
aSebastian Atilioll GETTY IMAGES/DIMITRIS

In Kooperation mitREPORTER OHNE GRENZEN

HTAMubertus von Hohenlohe,om Wlaschiha, Kelvyn Colt,dam Driver: Stoff füränner mit Facetten
Beilage

Ihre Post an:
DIE WELT, Brieffach 2410, 10888 Berlin,
Fax: (030) 2591-71606, E-Mail: [email protected]
Leserbriefe geben die Meinung unserer Leser
wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen
uns über jede Zuschrift, müssen uns aber das
Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der
sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei
uns eingehen, sind wir leider nicht in der Lage,
jede einzelne Zuschrift zu beantworten.

hören. Man kann den Regierenden nur
zurufen: „Macht endlich euren Job, damit
vermeintliche Retter der Nation, ob von
links oder rechts, nicht auf den Plan
gerufen werden.“
ELLEN MURZIK, PER E-MAIL

Mit sehr eindringlichen und mahnenden
WWWorten haben Sie die Dinge benannt, dieorten haben Sie die Dinge benannt, die
sich in Deutschland gerade verändern
und keinesfalls von einem Rechtsstaat zu
dulden sind. Ich persönlich mag mir
nicht vorstellen, welche Erschütterungen
und Ängste Menschen jüdischen Glau-
bens heute wieder in unserem Land
fffühlen müssen. Der sich veränderndeühlen müssen. Der sich verändernde
Ton des Miteinanders in Diskussionen,
aaauch in den öffentlichen Sitzungen unse-uch in den öffentlichen Sitzungen unse-
res Bundestages, bleibt meines Erachtens
nicht ohne Einfluss auf die Bevölkerung.
Dieses „Man wird ja wohl noch sagen
dürfen“ gehört für sehr viele zum norma-

geistigen Nährboden für solche euphemi-
sierenden Formulierungspatzer sind, die
in Annegret Kramp-Karrenbauers
„Alarmzeichen“ münden.
DR. MED. NIELS BENATAR, BRAUNSCHWEIG

Einen solch außergewöhnlichen Text
kann nur Mathias Döpfner schreiben.
Unsere Demokratie ist heute nicht nur
durch Radikale gefährdet, sondern auch
durch einen weitreichenden rhetorischen
Totalausfall des politischen und medialen
Spitzenpersonals.
DR. RAINER MATEJKA, ZIERENBERG

Mathias Döpfner ist aus leider sehr nach-
vollziehbaren Gründen der Kragen ge-
platzt. Es ist in der Tat bitter einsehen zu
müssen, dass wir unser Versprechen „Nie
wwwieder“ wiederholt nicht halten, es zumieder“ wiederholt nicht halten, es zum
Teil überaus leichtfertig, naiv und auch
zzzynisch „Einzelschicksalen“ überlassen.ynisch „Einzelschicksalen“ überlassen.

WWWas zum Beispiel ist los bei deutschenas zum Beispiel ist los bei deutschen
Gerichten? Neben den von Döpfner ge-
nannten Vorfällen stellen Rassismus,
Diskriminierungen und Hetze generell
anhaltend gefährliche Tendenzen für
unsere freiheitliche demokratische
Grundordnung dar, Urteile jedoch werden
diesen Verhältnissen in einem eher zu-
nehmenden Maße nicht mehr annähernd
gerecht. Unserem Grundgesetz indes ist
die historische Verpflichtung und das
„„„Wehret-den-Anfängen“ immanent, undWehret-den-Anfängen“ immanent, und
zu ebendieser Verfasstheit sind Gesell-
schaft und Demokratie fortwährend auf-
gefordert. Es geht also nicht zuletzt um
die Verantwortung, Glaubwürdigkeit und
Reputation des Rechtsstaats. Und klar
muss sein, dass es Liberalität, zu oft ver-
wechselt mit Toleranz, und (rechtliche)
Liberalisierung nicht auf Kosten des ge-
sellschaftlichen Friedens geben kann.
MATTHIAS BARTSCH, LICHTENAU

LESERBRIEFE


len Gedankenaustausch. Es muss uns
gelingen, gegen derartige Äußerungen,
die mit unglaublichen Diffamierungen
einhergehen, gegenzusteuern, da die
Gewalt der Sprache, wie wir wissen, ein
erster Schritt zu weiteren Handlungen
bedeutet.
MARION DETZLER, BERLIN

Ich danke Ihnen, Herr Döpfner, für Ihre
ungeschönte Bestandsaufnahme der
völlig ungeniert ausgelebten antisemiti-
schen Realitäten im Nachkriegsdeutsch-
land. Es nützt offenbar nichts, wenn
Angela Merkel im Zusammenhang mit
dem Existenzrecht Israels (gibt es denn
ein anderes Land auf dieser Erde, dessen
Existenzrecht überhaupt infrage gestellt
wird?!) von der Staatsräson Deutschlands
spricht. Es sind ja nur leere Worte, Flos-
keln, Phrasen und Lippenbekenntnisse,
die auch den gesellschaftspolitischen und

Mathias Döpfners


Kommentar


Zu: „Nie wieder ’nie wieder‘!“
vom 11. Oktober

In Deutschland geben die jüdischen Ge-
meinden inzwischen 50 Prozent ihres
Budgets für Sicherheitsmaßnahmen aus,
dabei ist der Staat für die Sicherheit
seiner Bürger verantwortlich. In
Deutschland dürfte es grundsätzlich
keine Polizeipräsenz vor Kirchen, Mo-
scheen und insbesondere vor Synagogen
geben. Wie können wir so ein Armuts-
zeugnis hinnehmen? Am 9. Oktober
wwwurden zwei Menschen von einemurden zwei Menschen von einem
Rechtsextremisten ermordet, weil die
Politik versagt hat. Man kann diese ver-
logenen Betroffenheitsreden nicht mehr

D


as Leben ist zu kurz für schlech-
te Bücher oder nervtötende
KKKulturereignisse. Und es liegtulturereignisse. Und es liegt
durchaus eine gewisse Befriedigung
darin, lebenszeitvernichtende Veranstal-
tungen zu verlassen. Wobei es da sehr
aaauf das richtige Timing ankommt: Imuf das richtige Timing ankommt: Im
modernen Tanztheater oder in avantgar-
distischen Operninszenierungen muss
man eine Szene abpassen, in der gerade
niemand nackt ist und/oder auf der Büh-
ne kopuliert – sonst denken die anderen
Bildungsbürger im Publikum womöglich,
man sei spießig. Obwohl, das müsste
vielleicht irgendjemand den Theaterma-
chern mal sagen: Nacktheit, Sex und
Theaterblut schockieren ja seit etwa 40
Jahren nicht mehr so richtig. Sondern
eher das, was die Regisseure mit Origi-
naltexten anstellen.
In der vergangenen Woche habe ich
den Film „Joker“ verlassen – was sich
lohnte, da er enorme Überlänge hatte
und die Karten extrateuer waren. Die-
sem Film, der sich mit großer Hingabe
der psychosozialen Ausdeutung einer
Comicfigur widmet, haben die deutschen
Feuilletons Seite um Seite gewidmet.
Nicht alle Kritiker fanden ihn gut, aber
die allermeisten, und das ist das eigent-
lich Erschütternde, haben ihn ernst

genommen. Nachdem die Welle der
Kinostart-Rezensionen vorbei war, hatte
es Meldungen gehagelt, die Menschen
wwwürden massenhaft aus den Kinosälenürden massenhaft aus den Kinosälen
stürzen, weil der Film so unerträglich
hart und gewalttätig sei. Das machte
natürlich neugierig. Nach meinem
Selbstversuch kann ich nun eine andere
These anbieten: Wer bis zur 90. Minute
aaaus dem Kino rannte, flüchtete ver-us dem Kino rannte, flüchtete ver-
mutlich vor unerträglicher Langeweile
und geradezu gewalttätiger Banalität.
Der „Joker“, Batmans Antagonist in
der Zivilisationsruine Gotham City,
verkörpert der Idee nach das absolut
Böse – aber dieserJoker ist seinem Job
nicht gewachsen. Er heult herum über
seine schwere Kindheit und seine Trau-
mata – eine gute Therapie hätte ihn
gewiss retten können. Aber das New
YYYorker Sozialamt wollte für Gesprächeorker Sozialamt wollte für Gespräche
und Tabletten nicht mehr zahlen. Und
natürlich ist der Kapitalismus so
schrecklich gemein, dass man fast
zzzwangsläufig zum Massenmörder wer-wangsläufig zum Massenmörder wer-
den muss, wähähäää. Wenn der Film
üüüberhaupt einen Wert hat, dann alsberhaupt einen Wert hat, dann als
Beleg dafür, wie unfassbar holzhammer-
mäßig in der amerikanischen Populärkul-
tur inzwischen gedacht werden kann.
Jedenfalls, der Rotwein war alle, Joaquin
Phoenix tat sich immer noch leid, ich
trat hinaus auf die schmutzige Straße am
Berliner Zoo, voller Gewaltfantasien
gegen das deutsche Feuilleton: Künftig
wwwürde ich nur noch Filme ansehen, dieürde ich nur noch Filme ansehen, die
aaabsolut nirgends besprochen wordenbsolut nirgends besprochen worden
waren.

Der „Joker“ als Joke


PLATZ DER REPUBLIK


SUSANNE GASCHKE

© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung DIE WELT -2019-10-14-ab-22 f15286cb505d0a706b180da170a46c3d

UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws

Free download pdf