Die Welt - 14.10.2019

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Seit Anfang 2019 ist
Ulrich Kelber (SPD)
Bundesdatenschutz-
beauftragter

N


ach jedem terroristischen
Anschlag werden Forde-
rungen nach mehr Befug-
nissen für die Sicherheits-
behörden laut: Nachrich-
tendienste sollen Chats mitlesen und
die Polizei auf Gesichtserkennungs-
software zugreifen können, verlangen
Sicherheitspolitiker. Im Interview er-
klärt Ulrich Kelber (SPD), warum er
viele dieser Pläne für problematisch
hält. Er ist Bundesbeauftragter für den
Datenschutz.

VON RICARDA BREYTON

WELT:Herr Kelber, nach dem Atten-
tat in Halle gibt es Forderungen aus
der Unionsfraktion, die Befugnisse
der Sicherheitsbehörden zu erwei-
tern, auch wenn das mit „Eingriffen
in den Datenschutz“ einhergeht. Kon-
kret geht es etwa um den Zugriff auf
Nachrichten in verschlüsselten Chats.
Haben Sie Verständnis dafür?
ULRICH KELBER:Wir hören solche For-
derungen nach mehr Befugnissen für
die Sicherheitsbehörden ständig – inso-
fern überrascht mich der Vorstoß nicht.
Ich glaube aber nicht, dass das zum Ziel
führt. Dass Terroristen in den vergange-
nen Jahren nicht aufgehalten wurden,
lag sicherlich nicht an zu viel Daten-
schutz. Statt weitere Eingriffsbefugnis-
se in die Grundrechte der Bürgerinnen
und Bürger zu fordern, sollte die Politik
lieber bestehende Vollzugsdefizite ab-
bauen und bereits vorhandene Befug-
nisse evaluieren.

Einiges deutet darauf hin, dass der
Täter in Halle den Behörden im Vor-
feld nicht bekannt war. Bislang kann
der Verfassungsschutz zwar auf Brie-
fe und Telefone zugreifen – aber nicht
auf verschlüsselte Chats. Der Verfas-
sungsschutz argumentierte zuletzt,
das sei nicht auf der Höhe der Zeit.
Wenn eine Person im Fokus der Sicher-
heitsbehörden steht, kann deren Kom-
munikation auch nach geltendem
Recht überwacht werden. Etwas ande-
res ist es aber, pauschal die anlasslose
und automatisierte Auswertung von
Kommunikation zu ermöglichen. Das

wäre ein tiefer Eingriff in die Grund-
rechte auch von Menschen, die sich
überwiegend überhaupt nichts haben
zuschulden kommen lassen. Gleiches
gilt für das ebenfalls geforderte Ein-
bauen von Hintertüren in verschlüssel-
te Kommunikation. Diese würden im
Zweifel nicht nur von Sicherheitsbe-
hörden genutzt werden, sie könnten
auch ein Einfallstor für Kriminelle
sein. Damit würde die Kommunikation
insgesamt unsicherer.

Im Kampf gegen Rechtsextremismus
will auch die Bundesjustizministerin
tätig werden. Sie will soziale Medien
verpflichten, vermeintlich strafbare
Inhalte zu melden. Sehen Sie das auch
kritisch?
Schon heute kann jeder strafbare In-
halt angezeigt werden. Ob Plattformen
dazu gezwungen werden sollten, Infor-
mationen an die Behörden weiterzuge-
ben, muss der Gesetzgeber entschei-
den. Das ist nicht meine Aufgabe, das
zu bewerten.

Warum nicht? Eine solche Verpflich-
tung könnte doch ebenfalls dazu füh-
ren, dass Bürger ins Visier der Behör-
de geraten, die nichts Unrechtes ge-
tan haben. Nicht jeder Kommentar,
der gemeldet wird, ist tatsächlich
strafbar.

Die Frage des Ob liegt beim Gesetzge-
ber. Bei der konkreten Ausgestaltung ei-
nes möglichen Gesetzentwurfs würden
wir uns natürlich einbringen und auf die
Einhaltung des Datenschutzes hinwir-
ken. Solange es um echte strafbare In-
halte geht, steht der Datenschutz aber
weder einer Lösch- noch einer Melde-
pflicht der Plattformbetreiber entgegen.

Auf EU-Ebene gibt es Überlegungen,
Passagierdaten von Bahn-, Bus- und
Schiffskunden zu sammeln und an die
Sicherheitsbehörden weiterzuleiten.
Schon heute werden Daten von Flug-
reisenden registriert und beim Bun-
deskriminalamt ausgewertet. Ist die
Ausweitung auf andere Verkehrsmit-
tel konsequent?
Davon raten wir dringend ab. Wir halten
auch nichts von der Fluggastdatenwei-
tergabe. Es gibt unter anderem eine sehr
hohe Fehlerrate. Das System meldet
Tausende Personen als verdächtig, die
völlig unbescholten sind. Die Beamten
müssen das dann händisch aussortieren,
und die Reisenden werden dadurch zu
Unrecht verdächtigt oder im Extremfall
sogar aufgehalten. Zudem wird ver-
sucht, aus den Reisewegen problemati-
sches Verhalten abzuleiten. Wenn je-
mand aber häufig aus privaten oder be-
ruflichen Gründen zufällig Routen
nutzt, die auch Kriminelle wählen, kann

das eventuell schon dazu führen, unbe-
rechtigt in Verdacht zu geraten.

Was sind Ihre Sorgen, wenn es zu ei-
ner Ausweitung auf Bus- und Bahn-
kunden käme?
Eine solche Ausweitung würde ein un-
beobachtetes Reisen mit öffentlich zu-
gänglichen Verkehrsmitteln mehr oder
weniger ausschließen. Man käme immer
näher an das Risiko eines allumfassen-
den Bewegungsprofils.

Fürchten Sie den Überwachungs-
staat?
Ich nehme den Begriff nicht leichtfertig
in den Mund, weil es das Handeln auto-
ritärer Staaten verharmlost, wenn wir
dieses Etikett für die politische Diskus-
sion über unseren Rechtsstaat verwen-
den. Ich sehe aber, dass etwas ins
Rutschen gekommen ist. Die Zu-
rückhaltung des Staates bei der
Frage, an welchen Stellen er Da-
ten über seine Bürger erhebt
und auswertet, hat erheb-
lich nachgelassen – selbst
wenn viele unbescholte-
ne Bürger zu Unrecht

ins Visier der Behörden geraten. Ich bin
froh, dass meine europäischen Kollegen
das genauso problematisch sehen und
sich ebenfalls gegen die Ausweitung der
Befugnisse stellen.

Sie haben in der Vergangenheit Pro-
jekte des Innenministeriums kriti-
siert, das die Einführung von Ge-
sichtserkennungssoftware an großen
Bahnhöfen plant, um Kriminelle
schnell zu erkennen. Dem großen Teil
der Bevölkerung scheint es aber egal
zu sein, ob eine Kamera ihr Gesicht
erfasst. Ist das ein grundsätzliches
Problem ihrer Arbeit?
Nach meiner Erfahrung sieht ein großer
Teil der Bevölkerung biometrische Ge-
sichtserkennung sehr wohl kritisch. Mal
ganz abgesehen davon, dass nach wie vor
immer noch eine Rechtsgrundlage für
den flächendeckenden Einsatz die-
ser Technik fehlt, werden wieder
ganz überwiegend Daten von Un-
betroffenen verarbeitet,
und die Fehlerquote ist
sehr hoch. Gerade an
Plätzen wie Flughäfen
oder Bahnhöfen spre-
chen wir von Hunder-
ten oder sogar Tau-
senden von Men-
schen, die täglich
von einem solchen

System fehlerhaft erkannt und überprüft
werden würden. Zudem sehen wir ein
enormes Diskriminierungspotenzial.

Warum?
In den Tests haben wir erlebt, dass die
Fehlerrate nicht gleich in der Bevölke-
rung verteilt ist. Aus bestimmten Bevöl-
kerungsgruppen werden deutlich häufi-
ger Personen zu Unrecht als verdächtig
gemeldet. Vor allem Jüngere und Dun-
kelhäutige laufen Gefahr, fehlverdäch-
tigt und damit Ziel polizeilicher Maß-
nahmen zu werden.

Das Phänomen bleibt, dass viele Bür-
ger sich vor einer Erfassung der Da-
ten nicht fürchten. Nicht nur der
staatliche Zugriff scheint vielen keine
Sorge zu bereiten, sondern auch der
Zugriff von Unternehmen. Viele nut-
zen sorglos Messengerdienste und
Spracherkennungssoftware, die jede
Menge Daten sammeln.
Den Einsatz von Spracherkennungs-
software beobachten auch wir sehr ge-
nau. Insbesondere die Rechte von Drit-
ten sehen wir in Gefahr. Die meisten
Gäste, die sich im selben Raum aufhal-
ten, dürften einer Verwendung ihrer
Daten in der Regel nicht zugestimmt
haben. Grundsätzlich ist aber unser
Eindruck, dass das Bewusstsein für Da-
tenschutz deutlich zunimmt in der Be-
völkerung. Das merken wir an der Zahl
der Eingaben und Anfragen, die uns er-
reicht. Seit Anwendungsbeginn der Da-
tenschutzgrundverordnung hat sich die
Zahl der Anfragen und Beschwerden
pro Monat verdreifacht.

Was melden Ihnen die Bürger?
Da gibt es eine große Bandbreite. Bei
uns rufen Leute an, die sich wundern,
dass ein Callcenter Daten über sie ge-
sammelt hat, die es gar nicht haben
dürfte. Es gibt Personen, die sich wun-
dern, welche Daten Finanzbehörden al-
les abfragen. Manche melden, dass Da-
ten aus dem polizeilichen Informations-
system nicht gelöscht wurden, die dort
eigentlich nichts mehr zu suchen haben,
oder dass sie Post von Ihrer Kranken-
kasse erhalten haben, die eigentlich je-
mand anderen erreichen sollte.

„„„Jüngere und Dunkelhäutige laufenJüngere und Dunkelhäutige laufen


Gefahr, fehlverdächtigt zu werden“


Im Kampf gegen Extremisten wollen Politiker die Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausbauen.


Viele diese Maßnahmen seien aber problematisch, mahnt der Bundesdatenschutzbeauftragte


PA/DPAA/DPA/OLIVER BERG

Wenigstens einer, der gut zuhört.


Fortschritt in seiner schönsten Form: der neue Audi A4 mit natürlicher Sprachsteuerung*.


*Optionale Zusatzausstattung.

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14.10.19 Montag, 14. Oktober 2019DWBE-HP


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14.10.1914.10.1914.10.19/1/1/1/1/Pol2/Pol2 DSCHWENK 5% 25% 50% 75% 95%

DIE WELT MONTAG,14.OKTOBER2019* POLITIK 5


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