Handelsblatt - 14.10.2019

(Michael S) #1

Christof Kerkmann Düsseldorf


A


ls sich Christian Klein und Jennifer
Morgan auf die Reise machten,
wussten sie noch nichts von den
Plänen. Die beiden Vorstandsmit-
glieder von SAP flogen Anfang der
vergangenen Woche nach Kalifornien, weil Auf-
sichtsratschef Hasso Plattner sie zu einem Ge-
spräch über die Zukunft des Softwareherstellers
eingeladen hatte. „Extrem gespannt“ seien sie
gewesen, schrieben sie später in einer E-Mail an
die Mitarbeiter, die dem Handelsblatt vorliegt.
„Was wir dann gehört haben, hätten wir nie zu
träumen gewagt.“
Die Nachricht war nicht nur für die beiden Ma-
nager eine große Überraschung, sondern wohl
für die meisten der knapp 100 000 Mitarbeiter:
Bill McDermott, ihr Vorstandskollege und Chef,
hatte sich nach fast zehn Jahren an der Spitze von
SAP entschieden, sein Amt aufzugeben und zu-
rückzutreten. Christian Klein und Jennifer Mor-
gan sollten auf Vorschlag von Patriarch Plattner
die Nachfolge gemeinsam übernehmen – in der
wichtigen Zeit bis zum Jahresende mit dem Ame-
rikaner immerhin noch als Berater. In der Nacht
zu Freitag machte der Konzern die Personalien
offiziell.
Damit leitet SAP eine neue Ära ein. Einerseits
personell: Mit Christian Klein, 39, tritt der bislang
jüngste Manager an die Spitze eines Dax-Kon-
zerns, gleichzeitig übernimmt mit Jennifer Mor-
gan, 48, erstmals eine Frau den Chefposten. An-
dererseits stilistisch: Neben den großen Visionen,
die McDermott gerne zeichnet, gewinnt das klein-
teilige Tagesgeschäft wieder mehr an Bedeutung.
Dafür steht die Berufung von Klein, der zuvor be-
reits als Chief Operating Officer arbeitete und nun
als CEO diese Themen umsetzen kann.
Das ist auch nötig. Bill McDermott hinterlässt
zwar ein Unternehmen, das strategisch und fi-
nanziell solide aufgestellt ist – das bestätigen die
Zahlen fürs dritte Quartal, die der Konzern zum
Beleg gleichzeitig mit der Personalie veröffent-
lichte, wie auch die positive Entwicklung des Ak-
tienkurses in den vergangenen Jahren. Allerdings
hat es zuletzt Ärger mit den Kunden gegeben, die
sich bei der Produktplanung nicht ausreichend
informiert fühlen und die Integration der vielen
Programme fordern, die der Konzern im Portfolio
hat – das ist schließlich ein wichtiges Verkaufsar-
gument des Softwarekonzerns.
Diese Gemengelage zeigt sich auch in der Reak-
tion der Aktionäre: Am Freitag stieg die SAP-Aktie
um mehr als neun Prozent auf 114,72 Euro. „Zu
zwei Dritteln ist der Kursanstieg den tollen Zah-
len geschuldet, zu einem Drittel der Hoffnung,
dass mit einem anderen Management die Sorgen
der Anwender mehr im Vordergrund stehen“,
sagte Mirko Maier, Analyst bei der Landesbank
Baden-Württemberg (LBBW), dem Handelsblatt.
Die Citibank bewertete den Führungswechsel
zwar als unerwartet. Die neuen Chefs Klein und
Morgan seien aber wohl auf der Shortlist der In-
vestoren gewesen, der Nachfolgeplan daher keine
Überraschung.

Ein Manager als Markenzeichen


Bill McDermott war über Jahre das Gesicht und
die Stimme von SAP. Er präsentierte mit Schwung
und Überschwang Geschäftszahlen, warb auf der
Bühne der Kundenkonferenz Sapphire um die
Manager und klopfte US-Präsident Donald Trump
bei einer Gesprächsrunde auf dem Weltwirt-
schaftsforum in Davos kumpelhaft auf die Schul-
ter. Mit der getönten Brille, die er seit dem Ver-
lust des linken Auges bei einem Unfall 2015 trägt,
wurde er zu einem Markenzeichen.
Wichtiger noch als der öffentliche Auftritt war
jedoch das Wirken nach innen: Er entwickelte ei-
ne Strategie, um das Unternehmen auf den neu-
esten Trend der IT-Welt vorzubereiten. „Ich bin

überzeugt: Ohne Bill stünde die SAP heute nicht
dort, wo sie ist“, schrieb Chefaufseher Plattner
den Mitarbeitern. Der Amerikaner habe „frühzei-
tig die fundamentale Bedeutung von Cloud-Com-
puting für die gesamte Branche erkannt und
maßgeblich den hierfür erforderlichen kulturel-
len Wandel innerhalb der SAP vorangetrieben“.
In der Tat: Als Bill McDermott 2010 – zunächst
im Team mit Jim Hagemann Snabe – die Führung
übernahm, war SAP hinterher. Das Management
übernahm daraufhin für insgesamt knapp 30 Mil-
liarden Euro Spezialisten wie Success Factors,

Concur und Qualtrics, auch gegen innere Wider-
stände. „Von dieser strategischen Weichenstel-
lung wird SAP noch viele Jahre profitieren“, resü-
mierte Plattner im Nachhinein. Gleichzeitig ent-
wickelte das Unternehmen mit S/4 Hana auch
noch eine neue Version des Programmpakets,
mit dem zahlreiche globale Konzerne ihre Ge-
schäftsprozesse steuern – es ist das Kernprodukt
des Unternehmens.
Trotz dieser massiven Investitionen legte SAP
weiter regelmäßig solide bis gute Geschäftszahlen
vor. „Wenn Anbieter von Unternehmenssoftware

Beginn einer


neuen Ära


Nach fast zehn Jahren an der Spitze von SAP tritt


Bill McDermott als Vorstandschef zurück. Er


hinterlässt einen Konzern, der strategisch und


finanziell gut dasteht, aber unzufriedene Kunden


hat – auf seine Nachfolger Christian Klein und


Jennifer Morgan wartet viel Arbeit.


Bill McDermott (l.)
hinterlässt seinen
Nachfolgern Jennifer
Morgan und Christian
Klein einige große
Aufgaben.

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MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197


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